Porsche, das ist für viele Menschen vor allem der 911 …
Hans-Jürgen Wöhler: Der 911 ist zweifellos das Herz der Marke. Doch zum Erfolg von Porsche tragen die SUV-Baureihen Macan und Cayenne mittlerweile maßgeblich bei.
Mittlerweile gibt es bei Porsche nicht nur deutlich mehr Modellreihen, sondern innerhalb der Baureihen deutlich mehr Varianten.
Wöhler: Im Grunde war es schon Teil des Erfolgs beim 911, den Kunden innerhalb der Baureihe möglichst viele Varianten anzubieten. Da ist es nur konsequent, dass wir auch bei den SUVs das Angebot auffächern und so unseren Anteil in diesem wachsenden Marktsegment steigern. Mit dem Cayenne Coupé bringen wir nun ein Modell auf den Markt, das die Alltagstauglichkeit eines SUVs mit den Fahreigenschaften eines Sportwagens verbindet.
Wie genau definieren Sie den Begriff Derivat?
Michael Schätzle: Wir verwenden den Begriff, sobald es gegenüber dem Basismodell zu Änderungen an der Karosserie kommt. Eine Besonderheit bei Porsche besteht darin, dass jede Antriebsvariante sich auch optisch differenzieren soll und daher auch mit Änderungen an der Karosserie verbunden ist.
Dr. Peter Schäfer: Wobei der Komplexitätsgrad von Derivaten sehr verschieden sein kann. So weist das Cayenne Coupé eine komplett neue Karosserieform auf, die es so bei Porsche noch nicht gab.
Wie viel Mehraufwand bedeutet ein solches Derivat in der Entwicklung?
Wöhler: Das hängt davon ab, wie hoch der Änderungsumfang gegenüber dem Basisfahrzeug ist. Da sich Änderungen an Karosserie, Antrieb und Fahrwerk zum Teil gegenseitig bedingen – etwa um für eine stärkere Motorisierung ausreichend Kühlleistung zur Verfügung zu stellen –, sind pauschale Aussagen hierzu sehr schwierig. Idealerweise sind die Derivate schon definiert, wenn das Lastenheft für das Basisfahrzeug verabschiedet wird. Aber: Der Markt richtet sich nicht nach unseren Entwicklungszyklen, deshalb reagieren wir gegebenenfalls auch kurzfristiger. Für uns als Ingenieure ist es eine besonders spannende Aufgabe, dann trotzdem noch ein Derivat zu ermöglichen.
Das klingt nach hoher Komplexität, zumal die gesetzlichen Anforderungen an die Fahrzeughomologation steigen.
Schätzle: Es ist alles komplexer geworden. Auf der anderen Seite haben wir heute einfachere und durchgängigere Entwicklungsprozesse. Das wiegt sich gegenseitig auf. Und damit erreichen wir unser Ziel: unseren Kunden mehr Vielfalt bieten zu können.
Schäfer: Ohne den massiven Einsatz von Simulationsmethoden wäre die heutige Modellvielfalt überhaupt nicht mehr denkbar. Bei dem Cayenne Coupé sind wir noch einen Schritt weitergegangen und haben auf die erste Prototypen-Baustufe komplett verzichtet. Die Erprobung fand fast ausschließlich mit Fahrzeugen statt, die bereits auf Serienwerkzeugen basierten.
Wöhler: Das funktioniert allerdings nur, wenn das entsprechende Know-how in der Entwicklung vorhanden ist. Das war für uns ein wesentlicher Grund dafür, große Umfänge an der Entwicklung des Cayenne Coupé an Porsche Engineering abzugeben.
Worin besteht das Erfolgsgeheimnis, um ein solches Projekt erfolgreich abzuschließen? Ein ausgefeiltes technisches Projektmanagement?
Schäfer: Es geht nicht nur um Projektmanagement, sondern auch um technische Expertise in der Breite und in der Tiefe. Denn keine Entwicklung ist ohne Überraschung – und dann benötigt man technischen Sachverstand, um auftretende Probleme rasch zu lösen.
Wöhler: Ohne Expertise geht da nichts, ohne flexibles Projektmanagement aber auch nicht. Wir drei sitzen ja hier auch nur stellvertretend für unsere Teams, in denen intensiv zusammengearbeitet wurde. Ich habe das als integrierte Arbeit empfunden.xa
Wo haben Sie bei der Entwicklung des Cayenne Coupé besonders eng zusammengearbeitet?
Schätzle: Die Entwicklung der Heckklappe – der größten und schwersten, die Porsche je realisiert hat – war alles andere als eine Routineaufgabe. Bei dieser Klappe sowie bei Auslegung der Crashsicherheit haben wir intensiv zusammengearbeitet. Alles andere, von der Projektsteuerung bis zur Abstimmung mit dem Produktionswerk in Bratislava, hat Porsche Engineering weitgehend eigenständig gelöst.
Wöhler: Das ist umso beachtenswerter, als dass der Cayenne sich eine Plattform mit anderen Fahrzeugen im Konzern teilt – und somit ein Derivat nicht losgelöst vom Know-how anderer Marken entwickelt werden kann.
Was war denn die größte technische Herausforderung, die Sie zu bewältigen hatten?
Schätzle: Das war wohl die Aerodynamik, wo ein erheblicher Zielkonflikt zwischen Akustik, Design und Fahrdynamik bestand.
Schäfer: In solchen Situationen ist man in einer Welt voller komplexer Wechselwirkungen. Um dann rasch Vorschläge zu erarbeiten, wie ein bestehender Zielkonflikt gelöst werden kann, muss man in interdisziplinären Teams eng vernetzt arbeiten. Zumal der zeitliche Spielraum sehr gering ist, insbesondere wenn es um Themen geht, die die Fahrwiderstände beeinflussen und damit die Typzulassung des Fahrzeugs. Die Aerodynamik gehört definitiv zu diesen Themen.
Wöhler: Da zeigt sich dann wahre Ingenieurskunst. Es gab aber auch sehr positive Überraschungen. Etwa die ersten Prototypen aus den Serienwerkzeugen. Die sind sofort gefahren, und zwar nicht schlecht.
Neben technischen und damit objektivierbaren Entwicklungszielen gibt es aber auch so etwas wie ein Porsche-typisches Fahrgefühl. Wie haben Sie sich darüber verständigt?
Schätzle: Man muss ja erst mal festhalten, dass das Fahrwerk und der Antrieb grundsätzlich von einem sehr guten Basisfahrzeug übernommen wurden. Für das abgeleitete Derivat geht es dann darum, dass die Gesamtkomposition stimmt.
Wöhler: Allerdings gehen einem Entwickler die Ideen ja nie aus. Wenn die Entwicklung des Basisfahrzeugs bereits zu weit vorangeschritten ist, um etwas Neues noch einzubringen, kann ein Derivat auch einen Schritt vorangehen. Man wird spüren, dass das Fahrwerk des Cayenne Coupé deutlich sportlicher ausfällt.
Schäfer: Um sich über den für Kunden relevanten Fahreindruck abzustimmen, gibt es nichts Effektiveres, als sich gemeinsam ins Auto zu setzen und einfach zu fahren. Das konnten wir schon immer gut miteinander.
Blicken wir zum Abschluss in die Zukunft: Wie verändert sich die Derivatentwicklung durch den Trend zur Elektrifizierung?
Wöhler: Kunden werden auch bei batterieelektrischen Fahrzeugen verschiedene Karosserie- und Antriebsderivate nachfragen – die Vielfalt bleibt also. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Funktionen aber weiter zu. Unsere Aufgabe als Entwickler besteht darin, diese Komplexität zu meistern.
Schätzle: In einem Übergangszeitraum wird ein Teil unserer Kunden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor wählen, ein anderer Teil reine E-Fahrzeuge. Beiden wollen wir die volle Spreizung unseres Angebots bieten.
Schäfer: Es gehört zur Strategie von Porsche Engineering, dass wir neben der Gesamtfahrzeug und Derivatentwicklung die Zukunftsfelder automatisiertes Fahren, Digitalisierung und Elektromobilität besetzen. Darauf bereiten wir uns, unter anderem mit dem Aufbau spezialisierter Auslandsstandorte, seit Jahren vor – und jetzt geht es in diesen Bereichen richtig los. Unser Ziel ist dabei, Porsche-typische Funktionen zunächst einmal unabhängig von einem bestimmten Fahrzeugmodell zu entwickeln. Das wiederum ist Voraussetzung dafür, eine Derivatentwicklung effizient zu gestalten. Der wichtigste Erfolgsfaktor sind aber die hoch motivierten und kompetenten Mitarbeiter, die Tag für Tag in ihren Teams einen tollen Job machen.
Info
Michael Schätzle leitet die Karosserie-Entwicklung bei Porsche. Zuvor war er verantwortlich für die passive Sicherheit aller Porsche-Modelle und hat als Projektleiter Gesamtfahrzeug bis 2013 die Entwicklung des 911 geprägt.
Hans-Jürgen Wöhler leitet seit 2013 die Baureihe SUV. Damit trägt er die technische und wirtschaftliche Gesamtverantwortung für alle Modellvarianten des Cayenne und des Macan.
Dr. Peter Schäfer ist seit Mitte 2018 Geschäftsführer von Porsche Engineering. Zuvor war er im Entwicklungszentrum Weissach der Porsche AG für die Fahrwerkentwicklung und später für die Gesamtfahrzeugentwicklung verantwortlich.
Text erstmalig erschienen im Porsche Engineering Magazin, Ausgabe 01/2019
Interview: Johannes Winterhagen // Fotos: Frederik Laux