Wer als Mechaniker echtes Talent hatte und Inspiration, wer genau so viel Begeisterung wie Sachverstand für Automotoren mitbrachte, für den stand in den 1950er Jahren ein Arbeitsort ganz oben auf der Liste: Zuffenhausen. In- und auswendig kannten die Mitarbeiter der Dr. Ing. h.c. F. Porsche KG ihre Motoren, bis auf die kleinste Schraube. In der exklusiven Sportwagenmanufaktur im Stuttgarter Norden wurde jeder Motor für den Porsche 356 in stundenlanger Handarbeit komplett von einem Mitarbeiter montiert, vom rohen Motorblock bis hin zum fertigen Triebwerk. Akkuschrauber und elektronische Drehmomentschlüssel, Fließbänder und Roboterarme gab es nicht, dafür zählte bodenständige Handarbeit, Detailkenntnis und ein ausgeprägter Mechanikerinstinkt.
Am Qualitätsanspruch, an der Begeisterung für Motoren und an der Leidenschaft für sportliche Automobile hat sich bis heute nichts geändert. Darüber hinaus allerdings erinnert in Zuffenhausen wenig an die überschaubare Werkstatt, in der die frühen Porsche-Modelle montiert wurden. Aus einer angemieteten Halle wurde ein Weltkonzern – und aus bedachter Handarbeit ein perfekt getimtes Hightech-Automobilwerk mit einem einzigartigen Produktionssystem.
Aus dem Kessel in den Norden Stuttgarts
Die Wurzeln reichen bis 1931. In der Kronenstraße 24 im Zentrum Stuttgarts, direkt am Hauptbahnhof, hatte Ferdinand Porsche sein Konstruktionsbüro eingerichtet. Dort führte er Auftragsarbeiten für verschiedene Firmen aus: eine Limousine für die Firma Wanderer aus Chemnitz etwa, einen Fünfzylinder-Sternmotor für die Phänomen-Werke in Zittau oder einen Kleinwagen für Zündapp in Nürnberg. Schon bald wurde der Platz mitten im Stuttgarter Kessel knapp. Ab 1937 ließ Porsche ein Entwicklungswerk am nördlichen Rand der Großstadt bauen: das Porsche-Werk 1 in Zuffenhausen. Es wurde bestens ausgestattet mit Schreinerei, Lackiererei, Blechbearbeitung und Montagehallen. 1938 erfolgte der Umzug auf das rund drei Hektar große Gelände – der Grundstein für Zuffenhausens Weltruhm in Sachen Automobilität.
Noch im selben Jahr erreichte der zuvor entwickelte VW-Käfer Serienreife. Im Jahr darauf konnte Ferdinand Porsche dann seiner wahren Passion nachgehen. Mit dem Typ 64 schuf er Anfang 1939 einen Sportwagen, der die Richtung des exklusiven Konstruktionsbüros im Stuttgarter Norden vorgeben sollte: Eleganz und Performance, Tempo und Komfort. Porsche hatte den sogenannten Berlin-Rom-Wagen für eine geplante Rekordfahrt zwischen den beiden Metropolen gebaut, die wegen des mittlerweile ausgebrochenen Krieges allerdings nie stattfand.
Der Krieg war auch verantwortlich für den vorübergehenden Auszug aus Zuffenhausen im Sommer 1944. Als Industrieknotenpunkt war der Norden Stuttgarts ein Schwerpunkt der alliierten Luftangriffe. Verwaltung und Teile der Produktion von Porsche wurden nach Österreich ausgelagert, in das Porsche-Werk Gmünd in Kärnten. Unter der Leitung von Ferry Porsche, dem Sohn Ferdinands, entstand dort nach Kriegsende der erste Wagen unter dem offiziellen Label „Porsche“ – der legendäre Porsche 356, der Ur-Porsche, unverkennbarer stilistischer Vorfahr eines jeden späteren Porsche-Modells.
Zurück nach Zuffenhausen
Doch die Wurzeln des Konzerns lagen eindeutig in Stuttgart, und so setzten die Porsches alles daran, gegen Ende des Jahres 1949 wieder nach Zuffenhausen umziehen zu können. Die alten Werkshallen waren jedoch von US-Streitkräften in Beschlag genommen worden. Als Aushilfslösung mietete Porsche beim benachbarten Karosseriewerk Reutter eine Halle an –; sie sollte dem 356 zur neuen Heimat werden. Im März 1950 war es soweit. Wie als Zeichen eines Neubeginns stand er da, eine Vorahnung von Versöhnung, Wiederaufbau und Wirtschaftswunder. Der allererste Zuffenhausener Porsche 356 glänzte in der Frühlingssonne, nagelneu, blank poliert, sportlich elegant. Bis zum Jahresende sollten ihm 368 weitere folgen.
Nicht nur die Verkaufszahlen kletterten von nun an beständig, auch der weitere Ausbau der Produktionsanlagen in Zuffenhausen zeugte vom Erfolg des Sportwagenbauers. Der bekannte Stuttgarter Architekt Rolf Gutbrod entwarf das Porsche-Werk 2. 1952 wurde es fertiggestellt. Bis 1956 hatten die Zuffenhausener Monteure stolze 10.000 Exemplare des Porsche 356 gefertigt, vier Jahre später waren es bereits 25.000 Sportwagen „Made in Zuffenhausen“. 1960 wurde aus einem benachbarten Gebäude das Werk 3. Dort fanden auch Verkaufs- und Kundendienstabteilungen Platz.
Die Modellpalette wuchs. Bereits 1953 hatte Porsche dem Ur-Modell 356 einen rassigen kleinen Bruder zur Seite gestellt: den 550 Spyder. 1963 dann die Geburt einer Legende: der erste 911. Zum technischen kam der wirtschaftliche Erfolg. Porsche übernahm das Karosseriewerk Reutter mit rund 1.000 Beschäftigten.
Zuffenhausen wächst
Von da an ging es steil nach oben. Die Porsche KG, ab 1972 die Porsche AG, baute die bestehenden Werke kontinuierlich aus, investierte in weitere Montagehallen und Prüfstände. Heute befinden sich am Standort im Stuttgarter Norden sechs Porsche-Werke, ein Porsche-Zentrum, das Porsche-Museum und vieles mehr. Mit einer intelligenten Raumnutzung und kreativen Lösungen konnte Porsche trotz engem Raum in Zuffenhausen perfekte Bedingungen schaffen: Mehrstöckige Produktionshallen oder Gebäudebrücken zwischen den Straßen für weitläufige Produktionslinien sind für die über 7.800 Mitarbeiter am Standort selbstverständlich.
Heute werden hier pro Tag 200 Sportwagen gefertigt. Insgesamt laufen 29 Derivate mit schier unendlichen Möglichkeiten an individuellen Kundenwünschen auf ein und derselben Linie. Einmalig in der gesamten Autoindustrie: Sogar die Rennversionen der Modelle werden auf demselben Band produziert. Hinzu kommen die Otto-Motoren für alle Porsche-Baureihen. „Porsche ist auf dem Weg von einem gewachsenen Mittelständler zu einem Großunternehmen. Unsere Stärken in der Flexibilität bei der Fertigung stark individualisierter Fahrzeuge werden wir weiter ausbauen“, sagt Vorstandsvorsitzender Dr. Oliver Blume. „Das Stammwerk Zuffenhausen ist das Aushängeschild der Marke Porsche und gilt nicht nur in der Automobilwelt als Inbegriff für höchste Qualität, Produktivität und Flexibilität in der Produktion.“
Neues Motorenwerk, modernste Ausbildungsstätten
Porsche in Zuffenhausen wächst. Unter anderem durch den Kauf der ehemaligen Layher-, Deltona- und Daimler-Gelände hat sich die Grundfläche des Werks seit 2011 von 284 .000 auf 614.000 Quadratmeter mehr als verdoppelt. Auf einer Fläche von nur 10.000 Quadratmetern entsteht bis Anfang 2016 ein neues Motorenwerk. Dazu kommt ein komplett neuer Karosseriebau. Das Werk verfügt bereits über eine hochmoderne Lackiererei, 200 Millionen Euro flossen in den Bau. Und auch an die nächste Generation ist gedacht: Ende 2013 begannen die Bauarbeiten für das neue Ausbildungszentrum, das im Herbst 2015 eröffnet wurde.
In Zuffenhausen kommt alles zusammen: Handwerkskunst und Hightech-Produktion, Weltkonzern und Verantwortung für jeden einzelnen Mitarbeiter, die Stammwerke und das Porsche-Museum. Die Geschichte des Sportwagens. Und seine Zukunft. Zum Beispiel mit dem Mission E. Allein in Zuffenhausen entstehen mehr als 1.000 neue Arbeitsplätze für den neuen Elektro-Porsche, der Ende dieses Jahrzehnts auf den Markt kommen soll. Etwa 700 Millionen Euro investiert das Unternehmen dafür an seinem Stammsitz – zusätzlich zu den bereits im Rahmen der Standortsicherung beschlossenen 800 Millionen. So entstehen hier unter anderem eine neue Lackiererei und eine eigene Montage. Das bestehende Motorenwerk wird für die Herstellung der Elektroantriebe ausgebaut. Außerdem wird der vorhandene Karosseriebau erweitert. Zuffenhausen wird also auch in Zukunft das Zentrum der Porsche-Welt bleiben.