Macht Big Data aus dem Fußballspiel im Stadion künftig ein Computerspiel?
Fußball lebt von Spontaneität und Individualität. Wenn elektronische Auswertung alles standardisiert, objektiviert und überprüfbar macht, halte ich das für übertrieben. Dann könnten wir auch gleich den Schiedsrichter abschaffen. Aber im Training ist die Digitalisierung enorm wichtig. Mit den Daten kann der Trainerstab die Stärken und Schwächen jedes Einzelnen analysieren.
Was ändert sich für die Zuschauer durch noch mehr Technologie auf dem Rasen?
Fernsehzuschauer können aus diversen Kameraperspektiven auswählen, sich für ihren Lieblingsreporter entscheiden und individuell in die Stadionatmosphäre eintauchen – zum Beispiel durch die freie Auswahl von Tönen, die übertragen werden. Das alles ersetzt aber nicht den Besuch im Stadion. Das bleibt ein einzigartiges Erlebnis.
Meinen Sie, Big Data könnte dem Fußball die Spannung nehmen?
Ja, die Spannung und vor allem die Faszination. Wenn auf dem Platz 50 000 Daten pro Sekunde ausgewertet werden, dann gäbe es nach dem Spiel gar keinen Gesprächsstoff mehr. Es ist okay, wenn der Mensch Daten gewinnbringend einsetzt. In Abhängigkeit geraten darf er aber nicht, sonst regiert Big Data am Ende unsere Welt.
Aber auf ein paar Echtzeitdaten hätten Sie als Reporterin doch bestimmt gern Zugriff …
Manche wären Gold wert. Aus 50 bis 80 Meter Entfernung sehen wir von unseren Reporterplätzen auch nicht jedes Detail objektiv. Ich denke an das WM-Finale in Rio de Janeiro. Als Christoph Kramer nach einer schweren Kollision im Dreikampf die Orientierung verloren hatte, wusste keiner genau, was ihm eigentlich passiert war. Die Auswirkungen wurden erst nach dem Spiel klar. Auch Informationen zur Sauerstoffzufuhr im Blut würden uns helfen, dann wüssten wir genau, ob der Spieler noch „im Saft steht“ oder kaputt ist. Und natürlich brauchen wir die Torlinientechnik so schnell wie möglich. Wenn eine Mannschaft benachteiligt wird, weil ihr Tor nicht anerkannt wird, obwohl der Ball ganz klar hinter der Linie war, dann ist das hochgradig ungerecht. Die Spiele sind heute so rasend schnell geworden, dass der Schiedsrichter mit seinen Assistenten gar nicht mehr alles im Augenwinkel erkennen kann. Auf andere Informationen kann ich dagegen gut verzichten – zum Beispiel auf die individuelle Laufleistung. Die sagt kaum etwas darüber aus, ob eine Mannschaft gewinnt oder nicht.
Fernsehzuschauer und Radiohörer würden sich bestimmt freuen, wenn sie mitverfolgen könnten, was Spieler und Trainer sich zurufen. In der Formel 1 wird der Bordfunk ja bereits übertragen.
Das ist natürlich reizvoll, da hab ich mich bei der Formel 1 auch schon mal ertappt. Trotzdem: Im Fußball möchte ich das nicht. Solche Informationen könnten von denjenigen missbraucht werden, die einem Verein Böses wollen. Schon heute halten manche Trainer die Hand vor ihren Mund, wenn sie an der Außenlinie Instruktionen geben. Keiner soll die Botschaften von den Lippen ablesen können.
Ein wenig Geheimnis soll also bleiben?
Ein bisschen Nostalgie hat dem Fußball noch nie geschadet. Er lebt zum Teil sogar von seiner eigenen Geschichte. Dennoch bin ich für den technischen Fortschritt in unserer multimedialen Welt, aber in Maßen. Ich würde von keinem Spieler verlangen, dass er vor dem Anpfiff einen Chip schlucken muss – nur damit wir seine medizinischen Daten live verfolgen können. Das ginge mir zu weit.
Über Sabine Töpperwien
Die deutsche Sportjournalistin Sabine Töpperwien, geboren 1960, spielte in ihrer Jugend Tischtennis in der 2. Bundesliga. Durch ihren Bruder, den ZDF-Fußballreporter Rolf Töpperwien, kam sie bereits als Studentin der Sozialwissenschaften in Kontakt mit dem Sportjournalismus. Die heutige Hörfunk-Sportchefin des WDR arbeitet seit 1989 im Auftrag des Westdeutschen Rundfunks und machte sich einen Namen als erste Frau, die regelmäßig über die Bundesligakonferenz für die ARD berichtet.
Info
Text erstmalig erschienen in „Porsche Consulting – Das Magazin", Ausgabe 17
Autor: Andreas Weiher // Grafik: WDR/ Dirk Bohm