Was hinter den transparenten Schutztüren der Hightech-Maschinen von
DECKEL MAHO vor sich geht, ist für Experten wie Laien gleichermaßen faszinierend: Aus einem simplen Metallblock entsteht ein komplexes Pumpengehäuse oder ein Flugzeugbauteil, das höchste Anforderungen an Funktionalität und Präzision erfüllt. In diesem anspruchsvollen Aufgabenfeld der Metallbearbeitung hat sich der Konzern DMG MORI SEIKI – einer der international führenden Werkzeugmaschinenhersteller – in den vergangenen Jahrzehnten vom Pionier zum Technologieführer bei Fünf-Achs-Maschinen entwickelt.

Innerhalb der Unternehmensgruppe der DMG MORI SEIKI AKTIENGESELLSCHAFT (vormals GILDEMEISTER Aktiengesellschaft) ist DECKEL MAHO in Pfronten das größte Werk. Der Standort im Ostallgäu ist mit über 25 Jahren Erfahrung in der simultanen Komplettbearbeitung für Fünf-Achs-Fräsmaschinen das Kompetenzzentrum im Konzern. Die Bearbeitungszentren, die hier produziert werden, können Werkstücke mit einer Länge von bis zu sechs Metern und einem maximalen Gewicht von 40 Tonnen bearbeiten. Die Produktionskapazität beläuft sich auf bis zu 1500 Maschinen pro Jahr.

Den Teufelskreis durchbrechen

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor des Werkes ist es, individuelle Kundenwünsche von Technologieentwicklungen bis hin zu ganzheitlichen Fertigungslinien umzusetzen. Die Fünf-Achs-Fräsanlagen werden immer für einen Kundenauftrag inklusive kundenspezifischer Optionen oder als komplette Turnkeys, also schlüsselfertige Lösungen, gebaut. Eine wichtige Basis bildet dabei das zukunftsweisende Qualitäts-Managementsystem „First Quality“ zur stetigen Optimierung der Qualität im Entwicklungsprozess – von der Produktentstehung bis zum Maschineneinsatz.

Das Wachstum des Werkes infolge seiner hohen Innovationsrate sowie die Ausweitung des Produktbaukastens führten das bestehende Produktionssystem an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Fehlende Teile, die nicht zeitgerecht für die Montage bereitgestellt werden konnten, gefährdeten zunehmend die termingerechte Fertigstellung. Wenn dieser Problematik mit kurzfristigen Umplanungen begegnet wird, bindet dies weitere Kapazitäten: Es beginnt ein Teufelskreis, der unter Maschinenbauern bekannt ist.

Dabei war das Werk von DECKEL MAHO in Pfronten bereits gut organisiert. Aber die Verantwortlichen wollten es noch besser machen – und sie waren entschlossen, auch althergebrachte Prinzipien über Bord zu werfen. Deshalb initiierte Christian Thönes als damaliger Geschäftsführer der DECKEL MAHO Pfronten GmbH im Jahr 2010 einen gemeinsamen Besuch mit den zehn Top-Führungskräften bei Porsche in Zuffenhausen. In einem anschließenden Workshop wurde gemeinsam mit Porsche Consulting der Status quo näher betrachtet und diskutiert. „Besonders wichtig war uns eine durchgängige Prozesskette und eine Harmonisierung der Supply Chain mit den Zielen besserer Planbarkeit und höherer Liefertreue – und zwar über den gesamten Prozess vom Kunden bis zum Kunden, das heißt vom Vertrieb über Planung, Engineering, Beschaffung und Logistik bis zur Produktion und Auslieferung“, so Thönes.

Perlenkette und Lachstreppe

Die Vorschläge der Berater waren ganzheitlich ausgerichtet. Gemeinsam mit DECKEL MAHO entwickelten sie eine grundlegend andere Philosophie des Auftragsdurchlaufs, bei dem alle Schritte im Zuge einer durchgängigen Planung intelligent verzahnt und im Sinne eines Horizonte-Modells auf einer Zeitschiene abgetragen werden.

Dabei kommen zwei Prinzipien mit „sprechenden Namen“ entlang des Modells zum Einsatz. Erstens die Perlenkette: eine festgelegte Maschinenreihenfolgeplanung, mit definierten Restriktionen zur Bedarfsglättung in den jeweiligen Montagelinien. Und zweitens die Lachstreppe zur Absicherung der Baubarkeit: Der nächste Freigabeschritt entlang der Auftragsabwicklung erfolgt erst dann, wenn die gewünschte Qualität erreicht wurde. Die Schritte bauen also aufeinander auf – über den gesamten Prozess hinweg. Sie sind jeweils genau definiert und gemäß dem Horizonte-Modell zeitlich aufeinander abgestimmt – im Takt oder, um es bildlich auszudrücken, im Herzschlag, den letztlich die Kundenaufträge vorgeben. Gesteuert wird der Herzschlag vom Hirn des ganzen Prozesses: der Planung.

Das klingt wie ein enges Korsett, das den Akteuren jegliche Flexibilität nimmt. Dieser Eindruck ist falsch und richtig zugleich. Christian Thönes erklärt: „Um die Produktivitätssteigerung zu erreichen, benötigten wir verstetigte Prozesse und ein optimal abgestimmtes Zusammenspiel der angrenzenden Abteilungen.“ In der Tat zwingt das Horizonte-Modell den Maschinenbauer zu stabiler Planung und zur Entwicklung klarer Material-Bedarfsbilder, damit ein gleichmäßiger Abruf bei den Lieferanten sowie eine gleichmäßige Auslastung von Maschinen und Kapazitäten stattfindet. Durch so ein klares Bedarfsbild entstehen mehr Effizienz und ein geplanter Freiraum für Flexibilität. Ebenso führen geordnete Prozesse zu einer verbesserten Qualitätssicherung.

Bei der Umsetzung dieser Prinzipien konnten sich die Berater auf die hocheffizienten Prozesse der Porsche-Werke Stuttgart-Zuffenhausen und Leipzig stützen – mit einem entscheidenden Unterschied. Gregor Grandl, Partner bei Porsche Consulting und verantwortlich für die Branche Maschinen- und Anlagenbau: „Die Automobilhersteller konstruieren ein Fahrzeug in allen Varianten aus und starten dann die Produktion. Konstruktion und Produktion verlaufen also sequenziell. Im Maschinenbau hingegen greifen die Prozesse ineinander, und in jeder gefertigten Maschine stecken individuelles Engineering und Komponenten, die individuell beschafft oder produziert werden müssen. Das macht die Optimierung im Vergleich zum Automobilbau komplexer, weil zum Beispiel bei jeder einzelnen Maschine die Baubarkeit geprüft und sichergestellt werden muss.“

Planen bis zum Horizont

Nach einer gründlichen Bestandsaufnahme, die Handlungsbedarf zum Beispiel bei der durchgängigen Taktung der gesamten Auftragsabwicklung und bei den Einkaufs- und Logistikprozessen ergab, startete der Optimierungsprozess direkt in der Fertigung. Alfred Geißler, Technischer Geschäftsführer von DECKEL MAHO Pfronten: „Das schlüssige Konzept für die gesamte Auftragsabwicklung von Porsche Consulting hat uns direkt überzeugt, und es hat für uns heute Vorbildcharakter. Es wird davon ausgegangen, dass die Produktion die Basis für die Verstetigung der Prozesse ist. Sie muss immer stabil laufen.“

Deshalb hat DECKEL MAHO in Pfronten als erste Maßnahme eine durchgängige Planung und Steuerung nach dem Horizonte-Modell etabliert und zur Absicherung ein effizientes Shopfloor-Management eingeführt. Zugleich wurde die Montage in Pfronten neu strukturiert. Alfred Geißler: „Bei Maschinen mit hoher Stückzahl setzen wir auf die Fließmontage. Hier haben wir die Materialversorgung optimal getaktet. Die Maschinen, die in geringeren Stückzahlen nachgefragt werden, produzieren wir jetzt an getakteten Standplätzen, bei denen eine autonome Gruppe von circa zehn Mitarbeitern für vier Montageplätze zuständig ist.“

Das Ziel dieser Maßnahmen – ein gleichmäßig getakteter, gut durchgeplanter Auftragsdurchlauf – haben die Verantwortlichen in Pfronten erreicht. „Wir haben die Produktivität deutlich gesteigert, die Liefertreue auf rund 95 Prozent erhöht und die Durchlaufzeit um zehn Prozent verkürzt. Zugleich haben wir aufgrund der Verstetigung des gesamten Durchlaufs die Bestände um einen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag abbauen können“, so Steffen Burghoff, Kaufmännischer Geschäftsführer. „Wir arbeiten daran, Material in kleinen Mengen und höheren Frequenzen taktgenau in die Montagelinie zu liefern. Das Material wird auf Rollen kommissioniert und Routenzüge übernehmen die Materialanlieferungen im ,Milkrun-System‘. Dadurch wird der Staplerverkehr in der Montage auf ein notwendiges Minimum reduziert.“

Operative Exzellenz im Auftakt

Christian Thönes, der als Mitglied der Geschäftsführung des Werkes die Optimierungsprozesse angestoßen hatte, wechselte im Januar 2012 von Pfronten in den Vorstand der Muttergesellschaft DMG MORI SEIKI AKTIENGESELLSCHAFT und ist dort verantwortlich für die Ressorts Produktentwicklung, Produktion und Technologie. Auch in dieser Funktion treibt er werksübergreifend die Optimierungsprozesse voran: „Wir wollen von den Besten lernen und uns kontinuierlich verbessern.“ Das zeitlich befristete Projekt mit Porsche Consulting setzte mit dem Horizonte-Modell erste Ansätze in Pfronten, die Christian Thönes überzeugten und so auch an anderen Standorten in Eigeninitiative auf die Produktionswerke ausgerollt werden.

„Mit der konzernweiten Initiative ,TAKT‘ schaffen wir standortübergreifend einen klaren Handlungsrahmen für die kontinuierliche Verbesserung unserer Unternehmensabläufe. Jetzt werden wir diese Planungssystematik auf weitere Werke übertragen.“ Die wesentlichen Ziele von TAKT sind reibungsärmere Abläufe in allen Bereichen, die zu einer spürbaren Verbesserung der Qualität, einer Verbesserung der Liefertermintreue, einer Reduzierung der Komplexität und einer Verringerung der Bestände führen.

Dabei wurde und wird nicht vergessen, die Mitarbeiter der jeweiligen Werke einzubeziehen. „Gerade die Kollegen auf der Shopfloor-Ebene waren anfangs skeptisch“, erinnert sich Steffen Burghoff. „Sie waren es gewohnt, sehr eigenständig Montageschritte vorzubereiten und sich beispielsweise auch um Fehlteile zu bemühen oder Material aus dezentralen Lagern zu kommissionieren.Unsere Mitarbeiter mit ihrem breiten Qualifikationsspektrum sind nun viel mehr auf die Montageinhalte und -fortschritte fokussiert. Such- und Wegezeiten entfallen und der Produktivitätsschub hilft uns, unser Unternehmenswachstum zu bewältigen.“ Die Ergebnisse der neu strukturierten Auftragsabwicklung sind beeindruckend, wie Burghoff erklärt: „Die Prozesse laufen viel effektiver und störungsfreier ab.“

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