Der Wechsel von analoger zu digitaler Technik war Leica eine schwere Zäsur. Der Mann, der das deutsche Unternehmen gerettet hat, arbeitet im Nachbarland Österreich. In einer Villa am Rande der Salzburger Altstadt, in deren Glastüren Zitate großer Fotografen eingraviert sind, empfängt uns Andreas Kaufmann (60), seit 2006 Mehrheitseigentümer der Ikone. Das war nicht immer ein Traumjob. Als Kaufmann Leica übernahm, stand die einst so erfolgreiche deutsche Traditionsmarke am Abgrund der Zahlungsunfähigkeit. Doch der anthroposophisch geprägte, einstige Waldorf-Lehrer, dessen Kapital aus dem Verkauf des österreichischen Papierkonzerns Frantschach stammt, päppelte den Premiumhersteller mit einer Mischung aus privatem Vermögen, Liebhaberei und visionärem Mut wieder auf.

Heute steuert der ungewöhnliche Aufsichtsratsvorsitzende Leica auf einem internationalen Wachstumskurs. Mit modernsten Kameras und Objektiven sowie Flagshipstores in den Einkaufsboulevards der Welt stieg der Umsatz binnen weniger Jahre auf zuletzt über 300 Millionen Euro und soll bald eine halbe Milliarde erreichen. Danach sah es zwischenzeitlich nicht aus. Das Mutterhaus Ernst Leitz hatte sich von Leica Ende der 80er-Jahre getrennt. Auch der Börsengang 1996 brachte mehr Probleme als Geld ein.

„Das Unternehmen war deutlich unterfinanziert“, sagt Kaufmann. Der einstige Innovationstreiber, der stets Vorreiter in der Feinmechanik und für lichtstarke Objektive war, ließ revolutionäre Jahrhundertentwicklungen wie Spiegelreflextechnik, Autofokus und Digitalisierung brachliegen und sah zu, wie Konkurrenten mit neuen Trends vorbeizogen. Leica galt bald als verstaubt, Absatz und Umsatz brachen ein. Für Kaufmann sind die Entscheidungen gegen neuartige Technologien aus damaliger Sicht verständlich – erst rückblickend haben sie sich als Fehler erwiesen.

Neue Produkte werden zielgerichteter entwickelt

Doch der Mehrheitsaktionär hat den Turnaround gemanagt. Seit 2009 schreibt das Unternehmen schwarze Zahlen und legt ein Rekordjahr nach dem anderen hin. Ein Kraftakt: Kaufmann wechselt mehrfach Vorstände aus, die irgendwann nicht mehr zu Leica passen. Er trennt sich vom Luxusartikelhersteller Hermès als Miteigentümer und nimmt Leica von der Börse. Die Belegschaft von heute mehr als 1300 Mitarbeitern in Deutschland und Portugal wird indes kaum reduziert. Stattdessen holt sich Kaufmann Porsche-Berater als Unterstützung, um die gesamte Supply Chain von der Planung über den Einkauf und die Produktion sowie das Lieferantenmanagement und die Entwicklung zu optimieren.

Nachdem die finanzielle Restrukturierung gemeistert war, ließ sich das Unternehmen von Porsche Consulting unterstützen. Es galt, für das neue Wachstum zukunftsfähige Prozesse zu organisieren und neue Produkte zu platzieren, steigende Stückzahlen zu bewältigen und dabei höchste Leica-Qualität zu sichern.

Leica-Mitarbeiter brauchten Mut

Mittlerweile sind eine Handvoll Projekte bei der Kamera-Legende erfolgreich begleitet worden. Zentral dabei: ein ganzheitlicher Veränderungsprozess nach dem Prinzip „Vormachen – selber machen“. „Nach einer Zeit großer Verunsicherung für die Leica-Mitarbeiter war es besonders wichtig, ihnen Mut für Veränderungen zu machen, sie zu begeistern und sie zu qualifizieren. So konnten die Mitarbeiter Optimierungen anschließend eigenständig weitertreiben und in andere Bereiche hineintragen“, sagt Gregor Grandl, Partner bei Porsche Consulting.

Zunächst wurden in der Objektivmontage für die M-Serie Prinzipien der Lean Production umgesetzt Bis dato waren Linsen an Einzeltischen poliert und bearbeitet und zum nächsten Arbeitsplatz in Kisten getragen worden. „Wir haben das Flussprinzip eingeführt und einen Takt wie in der Automobilindustrie aufgelegt“, berichtet Grandl. Seither wird gleichmäßiger, stabiler und planvoller produziert. Die Einführung von Prüftoren an einzelnen Arbeitsstationen hilft dabei, Fehler frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden sowie das hohe Qualitätsniveau der Leica-Kameras sicherzustellen. Durch die Synchronisation von Lieferanten, Entwicklung und Produktion wurden Qualität und Stückzahlen gesteigert: Ein Rückstand von 20 Prozent konnte aufgeholt werden.

Gleichzeitig wurden im Supply Chain Management die durchgängige Planung und Steuerung des Bedarfs und der Kapazitäten verbessert – sowohl im eigenen Unternehmen als auch auf Lieferantenseite. Außerdem unterstützte das Porsche-Consulting-Team die Entwicklung neuer Produkte, zum Beispiel der bahnbrechenden S2-Mittelformatkamera. Der termingerechte Produktionsstart konnte gesichert, das Kostenziel verwirklicht und das Projektbudget eingehalten werden. Eine neu entworfene Plattform für die Objektiventwicklung ermöglicht, dass Objektivfamilien künftig stärker in Baukastenkonzepten gefertigt werden.

Die gesamte Supply Chain im Fokus

Alles in allem galt es, die gesamte Supply Chain inklusive der Lieferantenprozesse zu optimieren. Dafür mussten in erster Linie die Unternehmensbereiche Entwicklung, Planung, Produktion und Einkauf besser verzahnt und organisiert werden. So wurden beispielsweise Entwickler des Unternehmens in Teams konzentriert und damit von einer Vielzahl interner Meetings, E-Mails und Reportings entlastet. Mittlerweile ist Leica massiv gewachsen – und die operative Exzellenz wurde deutlich verbessert.

Zukunftsfähige Prozesse und Strukturen bilden die Basis für diesen Erfolg. Der entscheidende Faktor jedoch war, da ist sich Firmeninhaber Dr. Andreas Kaufmann sicher, die Überzeugung der Mitarbeiter. Nach den turbulenten Jahren mussten die Leica Mitarbeiter komplett umdenken und mit alten Gewohnheiten brechen. „Wir haben die Spinnweben in der Manufaktur entfernt und stehen nun selbstbewusster da denn je“, so Kaufmann.

Dr. Andreas Kaufmann, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Leica Camera AG (Foto: Leica)
Dr. Andreas Kaufmann, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Leica Camera AG (Foto: Leica)

In der schwierigsten Zeit, den Jahren 2008 und 2009, als drei Großinvestitionen bei Leica mit der Finanzkrise zusammenfallen, übernimmt Kaufmann als CEO selbst das angeschlagene Schiff. Als Kapitän, der mit seiner Person und seinem Kapital für Leica einsteht, gewinnt er Vertrauen bei Kunden und Mitarbeitern zurück. Mit Alfred Schopf findet er schließlich einen versierten Vorstandsvorsitzenden aus der optischen Industrie, der Leica seither erfolgreich führt. „Mit ihm ist Ruhe eingekehrt“, sagt Kaufmann. Um die Wachstumspläne zu untermauern, holt er zudem die Investmentgesellschaft Blackstone als strategischen Partner ins Boot und verkauft 45 Prozent der Anteile.

Der Schlüssel zum Erfolg liegt allerdings in der Rückbesinnung auf die technologische Meisterschaft. „Wir mussten uns auf unsere Kompetenzen konzentrieren, etwa in der Optik, die auch in elektronischen Kameras eine zentrale Rolle spielt“, sagt Kaufmann. Er achtet darauf, dass neue Produkte zielgerichteter und schneller entwickelt werden und sich konsequent an Kundenwünschen orientieren, statt allein den Eingebungen der Entwickler zu folgen. Mit Produkten für verschiedene Preiskategorien sorgt er für die richtige Positionierung am Markt. Schließlich gelingt mit der Präsentation von drei neuen Modellen der Durchbruch.

„Wichtig ist, dass immer mehr Menschen fotografieren.“

Mit einer neuen digitalen Mittelformatkamera der S-Reihe stellt Leica eine überlegene Spiegelreflex-Version für Berufsfotografen vor. „Damit haben wir unsere Kompetenz wieder unter Beweis gestellt“, sagt Kaufmann. In dieser Nische hat Leica inzwischen seinen Marktanteil auf 25 Prozent gesteigert. Es folgt die handliche X-Serie, ein kleiner Reportagebegleiter mit großem Sensor im unteren Preissegment, die den Erfolg festigt. Schließlich reüssiert die digitale Generation der legendären M-Serie, eine extrem leise Messsucherkamera. Sie ist Leicas Aushängeschild und Hauptprodukt seit den 50er Jahren. „Der Sommer ’09 war ein Switch“, sagt Kaufmann. „Die Spinnenweben sind weg. Man sagt wieder: Schau, was die können.“

Dass das Geschäft mit Kompaktkameras durch die massenhafte Smartphone-Nutzung einbricht, stört Kaufmanns Strategie nicht. Im Gegenteil. „Wichtig ist, dass immer mehr Menschen fotografieren.“ Etwa 20 Prozent von ihnen würden das „Knipser-Stadium“ verlassen und mit ihrer Fotografie mehr erreichen wollen als mit dem Handy. „Sie kommen irgendwann zu uns, weil sie feststellen: Leica ist etwas ganz Besonderes.“ Zu diesen Werten gehören für Kaufmann einst wie heute deutsches Design und deutsche Ingenieurskunst, Material, Haptik und die Überlegenheit der präzisen Optiken. Hinzu kommt die nahezu lautlose Mechanik der Sucherkameras, die besonders Theaterfotografen seit Urzeiten schätzen, weil sie weder Publikum noch Darsteller stören.

Ebenso wichtig bleibt, dass Prestige und Markenmythos weiterleben. „Mit einer Leica hat man etwas Besonders“, sagt Kaufmann. „Man kauft ihre faszinierende Geschichte mit und wird Teil einer Community, zu der die besten und berühmtesten Fotografen der Welt gehören.“

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