Der Besuch im streng geheimen Designlabor bei Porsche in Weissach ist verbunden mit der Hoffnung, dass Porsche mit dieser frischen Ansage möglichst bald ernst macht. Denn tatsächlich könnten wir schon jetzt einsteigen und loslegen ...
Als der charismatische Mission E 2015 auf der IAA in Frankfurt vorgestellt wird, geht ein Aufschrei durchs Land der Porsche-Puristen, vergleichbar mit dem, als wassergekühlte Motoren die luftgekühlten ersetzten. Mission E definiert jedoch neue Standards, bewegt die automobilistische Landkarte und wird – nach und nach – als der 911er unter den E-Cars akzeptiert. Nicht zuletzt, weil wir das Designstück mit Begeisterung als echten Porsche identifizieren.
Das Vor- und Weiter- und Querdenken hat Tradition in Zuffenhausen. Als vor vielen Jahren der Cayenne kam, wurde der Untergang des Abendlandes vorausgesagt. Dann wurde Porsches SUV zum Verkaufserfolg, nicht nur unter Porsche-Fahrern. Der Panamera war gar eine Luxuslimousine! Eine sehr sportliche, immerhin, aber – mein Gott, so hieß es, was soll aus Zuffenhausen werden!
„2015 hat Porsche ein Modell gezeigt, ein Konzeptauto, mit dem wir Antwort geben wollten auf: Wie könnte ein Elektrofahrzeug von Porsche aussehen für die Zukunft?“, sagt Peter Varga, Leiter Exterieur Design Style bei Porsche. „Das war eine große Herausforderung, aber rückblickend ein sehr großer Erfolg für uns. Das Auto wurde positiv angenommen, obwohl wir sehr viel geändert haben. Auf der einen Seite erwartet man von uns, dass wir die Tradition und Historie nicht vergessen. Und gleichzeitig ist Porsche berühmt dafür, dass wir immer bereit sind für eine neue Geschichte, für neue Kapitel. Gehen Sie einfach mal durch unser Museum.“
Nun wagt sich Porsche elektrisch ins Gelände. Nicht mit einem massentauglichen Hybriden, sondern – voll unter Strom – auf der Basis jenes einst als häretisch verschrieenen Mission E. Und wie der ist auch die neue Studie ein beeindruckendes Fahrzeug: eine hochsitzende Shooting Brake-Variante, ganz bewusst darauf angelegt, auch im Gelände Sport und Luxus mit Umweltverträglichkeit zu vereinen.
Solche Studien sind im Allgemeinen Spielwiesen für Designer; Prototypen, die im besten Fall eine generelle Neuausrichtung der Modellpolitik eines Herstellers demonstrieren. Nicht so bei Porsche. Was in Zuffenhausens Thinktanks ausgetüftelt wird, hat eine sehr konkrete Zukunft. Was gezeigt wird, kommt, ist die Maxime. Also unterliegen die Designer des Sportwagenherstellers einer besonders konkreten Realitätsvorstellung: Was auf dem Papier versprochen wird, muss das Messefahrzeug liefern. Wo andere Hersteller Hüllen mit Rädern und einem schmucken Datenblatt glänzend polieren und ein paar hübsche Messemädchen unsaubere Spaltmaße verdecken, da baut Porsche ein voll funktionsfähiges Auto. Spitzengeschwindigkeit: 250 km/h. Man kann das für übertrieben halten, oder es als Spiegel verstehen, für das Anspruchsdenken in Weissach und Zuffenhausen. Immer ein bisschen mehr, immer ein Stück weiter, und immer wieder alles infrage stellen. Vor allem sich selbst. Nur so kommt man wahrscheinlich auch auf die Idee, ein nahezu seriennahes Auto in Genf vorzustellen, das nicht nur rein elektrisch fährt und sich an entsprechenden Ladestationen in Rekordzeit auflädt, sondern darüber hinaus auch noch tatsächlich Offroad-Eigenschaften aufweist. In Zeiten, in denen die Allgemeinheit über den Ausbau flächendeckender Ladestationen und einer Elektro-Infrastruktur an vielfrequentierten Reiserouten diskutiert, beschließen die Köpfe in Weissach: Wir können elektrisch auch Wald und Wiesen.
„Das Fahrzeug bietet eine besondere Erfahrung seiner Offroad-Fähigkeiten“, sagt Ivo van Hulten, Leiter Interieur-Design Style bei Porsche, „was bedeutet, dass ich damit wirklich mal an einen besonderen Ort fahren kann.“ Die zitierte automobilistische Erfahrung abseits konventioneller Straßen sei bislang nicht in vollem Maße ausgeschöpft. Dies zu ändern, war mit eine Aufgabe bei der Entwicklung des elektrischen Cross Turismo. „Und dann geht es wirklich darum: Wie gestalte ich das?“
Das Hauptthema sei abgeleitet aus dem Mission E und zeige die nächste Stufe in Richtung Serientauglichkeit, fügt Peter Varga hinzu. „Die Priorität liegt draußen auf der Straße. Wir haben nach Details gesucht, was ein Elektrofahrzeug ausmacht. Wir suchen etwas Eigenständiges.“
Porsches Neuer soll nicht nur als Stromer Pionierarbeit leisten. Vernetzung, heute schick Connectivity genannt, bieten auch andere Autoproduzenten. Porsche will den Mission E Cross Turismo konzeptionell auf einen erweiterten Aufgabenbereich designen. „Moderne Autos beschränken sich nicht aufs Fahren“, erklärt Ivo van Hulten.
„Mit einer einfachen App, die wir zum Fahrzeug entwickeln würden“, so van Hulten weiter, „kann man mit wenigen Handgriffen ein komplettes Erlebnis buchen – egal, ob das ein Tagesausflug oder ein ganzer Wochenendtrip ist –, bei dem man sagt: Okay, ich buche einfach die Destination, die mit Porsche abgestimmt ist. Wir bieten dann eben für unsere Elektrofahrzeuge das Charging vor Ort an. Es beinhaltet, dass wir sagen: Welche Route wähle ich? Wähle ich praktisch die schnellste Route, will ich schnell zum Ziel? Wähle ich eine Route am Ozean entlang, oder was will ich vor Ort tun? Kann ich in irgendeinem Öko-Supermarkt meine Foodbox in der Destination vorbestellen? Wie wäre es denn, wenn das Fahrzeug mit mir interagiert? Wenn ich zum Beispiel von der Autobahn runterfahre und auf der Landstraße in den Cruise-Modus gehe und das Auto mich fragt: Soll ich das Dach öffnen? Soll ich die Musik ein bisschen chilliger machen?“
Info
Text erstmalig erschienen in ramp#41.
Text: Michael Köckritz // Fotograf: Steffen Jahn, aus ramp#41 Übern Berg ist schneller als zu Fuß.