Als Internatsschüler durfte ich damals die Entwicklung des neuen 911 meist an den Wochenenden miterleben. In unserem Haus in Stuttgart war die Entwicklung des 356-Nachfolgers ein heißes Thema innerhalb der ganzen Familie. Mein Vater Ferry und meine Brüder F. A. und Peter diskutierten ausführlich über alle Möglichkeiten dieses Projekts. Einerseits wollte man die sogenannten Gusseisernen nicht vergraulen, die Kunden und Liebhaber des 356, für die Heckantrieb, Luftkühlung, Boxer-Motor ein Glaubensbekenntnis darstellten. Ihr Credo lautete: Der 356 darf nicht verändert werden, ein Porsche lebt von seinem unverwechselbaren Charakter. Andererseits war meinem Vater seit Längerem bewusst, das alles besser und moderner werden musste: Motorleistung, Fahrverhalten, Innenraum.
Ich konnte als Teenager intensiv an der Abenderprobung teilnehmen. Die bestand hauptsächlich darin, auf der Autobahn Richtung Leonberg und durch den Tunnel Vollgas Richtung Weissach zu fahren. Die ersten Crashtests hingen damals im wahrsten Sinne des Wortes am Haken: Wir ließen die Prototypen von einem Kran hochziehen und dann auf den Boden fallen. Als Peugeot gegen die ursprünglich vorgesehene Typenbezeichnung 901 protestierte, schlug mein Vater Ferry vor: „Mach’ ma halt eine 10 dazu.“ Die Geburtsstunde des 911.
Porschefahren als Belohnung
Nach dem Abi durfte ich als Auszeichnung einen Porsche 912 fahren, die Einstiegsversion des 911 mit Vierzylinder-Boxer-Motor. Während meines Studiums war ich im typischen Studentenauto der frühen 60er Jahre unterwegs, einem VW Käfer. Allerdings mit leichten Modifikationen: einem 70 kW (95 PS) starken Porsche-Motor, Scheibenbremsen, Nardi-Lenkrad sowie Porsche-Sitzbezügen aus Schnürlsamt, auf Hochdeutsch: Cord. Wichtig war damals, dass ich den Mercedes-190-Limousinen mit Benzinmotor davonfahren konnte.
Der 911 wurde unser Familienauto schlechthin. Meine Mutter mochte ihn besonders in Grün, auch mein Vater verzichtete immer auf auffällige Farben und bevorzugte Grünnuancen wie Oak Green und Brewster Green. Ich habe dieses Faible gerne von meinen Eltern übernommen und konnte mich dann ja mit Begeisterung durch alle Modellgenerationen fahren.
Der 993 Turbo S zum Beispiel ist einfach toll: knapp, puristisch, echt, er vermittelt das gleiche Gefühl, als sitze man in einem Gmünd-Coupé. In den 911-Speedster-Modellen erlebe ich zusätzliche Glücksmomente von Abenteuer und Authentizität, besonders bei meinen morgendlichen Fahrten auf der anspruchsvollen Großglockner-Hochalpenstraße über den höchsten Berg Österreichs. Diese Fahrten durfte ich schon als Kind mit meinem Vater mitmachen, und heute, nach 50 Jahren Porsche 911, genieße ich dieses Gefühl wie damals. Denn die Kernwerte unserer Marke sind heute, auch dank des wieder besonders gelungenen 991, so visionär wie seit dem ersten Porsche 356 Nummer 1 aus dem Jahr 1948.
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche-Kundenmagazin Christophorus, Nr. 360
Verbrauchsangaben
911 Carrera: Kraftstoffverbrauch kombiniert 8,3 – 7,4 l/100 km; CO2-Emission 190 – 169 g/km