Ein spezielles Siegerfoto fürs Familienalbum zu arrangieren übernahm auf der Heimfahrt mit dem Zug durch den Eurotunnel Ehefrau Brittany. Irgendwo unterm Ärmelkanal zwischen Calais und Folkestone stellte sie den Pokal auf die Sitzbank und setzte Töchterchen Eva davor. Doch der elf Monate alte Wirbelwind wollte nicht so wie Mama das gerne gehabt hätte. Erst krabbelte sie schleunigst davon, dann drehte sie der Fotografin kess den Rücken zu, schließlich flüchtete sie sich in Papas Arme.
„Kein Wunder, sie kann ja nicht wissen, was da in den letzten Tagen passiert ist und welche Bedeutung das für uns alle hat“, zeigte Nick Tandy Verständnis für das offensichtliche Desinteresse des Töchterchens. „Und wenn ich ganz ehrlich bin – so richtig begreifen kann ich es selbst noch nicht. Ich kann nur sagen, dass es ein tolles Gefühl ist, mit diesem Pokal nach Hause zurückzukehren.“
Irgendwann vor der Ankunft des Eurostar auf der Insel klappte es dann doch noch mit dem Foto. Schon wenig später war es in den sozialen Netzwerken zu bewundern. Seine Freunde überall auf der Welt auf diese sympathische Weise am größten Erfolg seiner Rennfahrerkarriere teilhaben zu lassen, ist typisch Nick Tandy. Der 30-jährige Brite, der das berühmteste Langstreckenrennen der Welt zusammen mit Earl Bamber (Neuseeland) und Nico Hülkenberg (Emmerich) gewonnen hat, ist kein Freund lauter Töne. Trommeln in eigener Sache ist nicht sein Ding. Für Paukenschläge sorgt er nur auf der Rennstrecke – so wie jetzt in Le Mans.
Nick Tandy ist auf einer Farm in Pavenham aufgewachsen
Nick Tandy hat nicht vergessen, wo er herkommt. Aufgewachsen ist er auf einer Farm in Pavenham, einem kleinen Dorf in der Grafschaft Bedfordshire. Die ländliche Umgebung und der Zusammenhalt der Menschen dort haben ihn geprägt. Er wohnt immer noch ganz in der Nähe und wenn es seine Zeit erlaubt, hilft er seinen Eltern auf dem Hof und bei der Ernte. Doch seine große Leidenschaft waren schon immer Autorennen. Seine ersten Erfolge feierte er als Britischer Meister bei den Short Oval Stock Cars (1999 und 2000) und in der Mini Se7en Championship (2003). Mit elf Siegen gewann er 2005 die BRDC Single Seater Series. Als Gewinner des Silverstone Scholarship wurde er im Jahr darauf Zweiter in der hart umkämpften Britischen Formel Ford Meisterschaft und 2007 Dritter – immerhin mit sechs Siegen und 16 Podiums. In diesem Jahr siegte er auch beim Formula Ford Festival.
Mit Porsche kam der ambitionierte Hobbygolfer und Mountainbiker erstmals 2008 bei einem Gaststart im Porsche Carrera Cup Great Britain in Berührung. Erstes Rennen, erster Sieg – dieser Einstand nach Maß brachte ihn auf den Geschmack. 2010 startete er im Porsche Mobil 1 Supercup und im Porsche Carrera Cup Deutschland, wo er jeweils Zweiter der Gesamtwertung wurde. „Mit dem Porsche 911 GT3 Cup in diesen hart umkämpften Markenpokalen zu fahren, hat sehr viel Spaß gemacht“, blickt Nick Tandy zurück. „Das war die Art von Rennen, die ich immer fahren wollte. Die Autos sind alle gleich, da kommt es wirklich auf den Fahrer an. Das ist Motorsport pur.“
Nachdem er 2011 den Porsche Carrera Cup Deutschland und 2012 den prestigeträchtigen Porsche Cup als weltweit bester Privatfahrer auf einem 911 gewonnen hatte, wurde er zum Werksfahrer befördert. „Davon habe ich immer geträumt“, sagte er damals. „Es ist großartig, so viel Vertrauen zu spüren. Ich werde immer mein Bestes geben, um dieses Vertrauen nicht zu enttäuschen.“ Damit hat er sofort begonnen: In die Saison 2013 startete er im Porsche 911 RSR mit einem dritten Platz beim 12-Stunden-Klassiker in Sebring.
Danach gewann er noch die GT-Wertung beim Rennen der European Le Mans Series in Budapest und feierte mit dem GT-Sieg beim Petit Le Mans auf der anspruchsvollen Traditionsrennstrecke Road Atlanta einen seiner bis dahin größten Erfolge. Ein weiterer Höhepunkt folgte zum Saisonauftakt 2014, als er mit dem 911 RSR auch beim 24-Stunden-Rennen in Daytona den Klassensieg holte. Als Porsche einigen seiner GT-Piloten die Möglichkeit gab, den innovativen Porsche 919 Hybrid zu testen, nutzte Nick Tandy auch diese Chance. Mit überzeugenden Leistungen sicherte er sich einen der freien Plätze im dritten Auto für die 24 Stunden von Le Mans.
„Von so einem Cockpit träumt jeder Rennfahrer“, sagte er nach seinem Aufstieg in die Königsklasse des Langstreckensports. „Es ist großartig, wie in der weltweiten Porsche-Motorsportfamilie beobachtet und gefördert wird. Jetzt werde auch ich alles tun um zu beweisen, dass ein guter GT-Fahrer auch ein erfolgreicher LMP1-Pilot sein kann.“
Das hat Nick Tandy in Le Mans auf eindrucksvolle Art und Weise getan. Auch einer seiner Teamkollegen, mit denen er sich den Traum vom Sieg beim härtesten Autorennen der Welt erfüllte, hat in den Porsche-Markenpokalen seinen letzten Karriereschliff erhalten: Earl Bamber. Als Belohnung für den Gewinn einer Nachwuchssichtung der weltweit talentiertesten Markenpokal-Rennfahrer ermöglichte Porsche dem Neuseeländer in der Saison 2014 mit einer Fördersumme von 200.000 Euro den Aufstieg in den internationalen Porsche Mobil 1 Supercup.
Porsche-Motorsportchef Walliser: „Wir sind alle sehr stolz auf Earl und Nick“
Auch in der Topserie der Porsche-Markenpokale, die im Rahmen der Formel-1-Rennen ausgetragen wird, sorgte er schnell für Aufsehen und holte als Porsche-Junior auf Anhieb den Gesamtsieg. Im Carrera Cup Asia verteidigte er erfolgreich seinen im Vorjahr gewonnenen Titel. In seinem ersten Rennen mit dem Porsche 911 RSR wurde er Zweiter beim Petit Le Mans auf der Road Atlanta, einem der Langstreckenklassiker in den USA.
Nach ihrem Erfolg in Le Mans bestreiten Earl Bamber und Nick Tandy am 28. Juni mit dem Porsche 911 RSR in Watkins Glen/USA einen Lauf zur Tudor United SportsCar Championship. Tandy teilt sich das Cockpit mit Patrick Pilet (Frankreich), Bamber fährt gemeinsam mit Jörg Bergmeister (Langenfeld).
„Wir sind alle sehr stolz auf Earl und Nick. Ihr Sieg in Le Mans ist ein weiterer Beleg für den Erfolg und die Nachhaltigkeit der Porsche-Nachwuchsförderung“, sagt Porsche-Motorsportchef Dr. Frank-Steffen Walliser. „Darüber hinaus unterstreicht er auch die Bedeutung der Porsche-Markenpokale als Karrieresprungbrett für junge Rennfahrer, die wie Earl und Nick das nötige Talent, eine große Lernbereitschaft und den erforderlichen Durchsetzungswillen mitbringen. Wer richtig schnell ist, dem stehen bei Porsche alle Türen offen.“