In den größten Langstrecken-Rennserien der Welt gibt es ein neues, sehr kosteneffizientes Regelwerk. Porsche hat auf dieser Grundlage entschieden, mit dem Hybrid-Prototypen 963 in diese neue Ära zu starten. Was macht die Szene ab 2023 so attraktiv?
Thomas Laudenbach: „Das neue Reglement, das in der Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC und der nordamerikanischen IMSA-Serie in Kraft tritt, hat uns sofort überzeugt. Hersteller haben die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten in einem harten Wettbewerb zu präsentieren. Gleichzeitig sind die Rahmenbedingungen so definiert, dass die Kosten in einem guten Verhältnis dazu stehen. Wir haben in der Vergangenheit viele Rennserien und Fahrzeugklassen gesehen, in denen die Kosten explodiert sind. Jetzt sind alle Voraussetzungen gegeben, dass es auf Dauer attraktiv bleibt. Kurzum: Es war schon lange nicht mehr so attraktiv, bei den großen Klassikern in Le Mans, Daytona oder Sebring um Gesamtsiege zu fahren. Erstmals seit Jahrzehnten ist es wieder möglich, mit baugleichen Autos in den Topklassen auf beiden Seiten des Atlantiks anzutreten – großartig!“
Unter dem Banner Porsche Penske Motorsport gehen jeweils zwei Werksautos in der Weltmeisterschaft und in Nordamerika an den Start. Mit welchem sportlichen Ziel?
Laudenbach: „Rennen gewinnen, bei den Highlights Le Mans, Sebring, Daytona und dem Petit Le Mans glänzen und Meisterschaften einfahren. Das Wettbewerbsumfeld wird hart sein – gar keine Frage. Zudem sorgt das Regelwerk dafür, dass alle Topfahrzeuge auf einem Niveau agieren werden. Seriensieger wird es nicht geben. Es wird kein Selbstläufer und wir unterschätzen dies nicht. Dennoch muss es für Porsche immer das Ziel sein, ganz oben auf dem Siegerpodest zu stehen.“
Teil der Tradition von Porsche bei Langstreckenrennen sind die 1980er-Jahre, in denen die legendären 956 und 962 großartige Siege errungen haben. Diese Erfolge wurden teilweise durch Privatteams realisiert. Auch der 963 wird ab 2023 von Kunden eingesetzt. In der siegreichen Zeit mit dem Hightech-Rennwagen 919 Hybrid war das nicht möglich. Warum damals nicht und jetzt schon?
Laudenbach: „Der 919 Hybrid war technologisch die Spitze. Unter dem damaligen LMP1-Regelwerk gab es umfangreiche Freiheiten. Das ist toll für Ingenieure, hat aber leider die Kehr-seite eines erheblichen finanziellen Aufwands. Die Autos waren faszinierend, aber teuer und anspruchsvoll im Einsatz. Daher haben sich diese Fahrzeuge nicht für den Einsatz durch Kundenteams geeignet. In der neuen LMDh-Kategorie, zu der auch der Porsche 963 gehört, ist dies anders: Die Kosten sind erheblich geringer, die Hybridkomponenten weniger kompliziert und der Einsatz für ein professionelles und erfahrenes Kundenteam leistbar. Das bietet die Chance, an die großartigen 1980er-Jahre anzuknüpfen. Damals sind die besten Privatteams in direkten Wettbewerb mit den Herstellern getreten und haben für tollen Sport und volle Starterfelder gesorgt. Das ist ab dem kommenden Jahr wieder möglich – hoffentlich mit dem gleichen Erfolg für Porsche wie vor 40 Jahren.“
Ebenfalls ab 2023 kommt ein neues Fahrzeug für den professionellen Kundensport: der Porsche 911 GT3 R auf Basis der Neunelf-Generation 992. Welche Erwartungen haben Sie an dieses Auto, das weltweit in zahlreichen GT3-Rennserien eingesetzt wird?
Laudenbach: „Hoffentlich wird es genauso erfolgreich wie der Vorgänger. Mit dem bisherigen 911 GT3 R haben unsere Kunden die größten GT3-Langstreckenrennen der Welt gewonnen: Nürburgring, Spa-Francorchamps und die GTD-Klasse in Daytona. In der DTM haben unsere Partner geglänzt. Nicht weniger erwarten wir in den kommenden Jahren vom neuen GT3 R. Das Auto ist eine Evolution – jetzt auf Basis der Elfer-Generation 992. Wir haben unzählige Elemente des Vorgängers weiter optimiert. Der Input von Kundenseite war dabei immens wichtig. Unsere Partner werden sofort merken, dass unser neues Auto ein spürbarer Schritt nach vorn ist. Ich bin ganz sicher: Mit dem neuen 911 GT3 R sind unsere Kundenteams in den stark umkämpften Rennen und Meisterschaften ganz vorn dabei.“
Der 963 und der 911 GT3 R bilden die Spitze der Kundensport-Pyramide. Etwas darunter sind der 718 Cayman GT4 RS Clubsport und der 911 GT3 Cup angesiedelt. Vom Cup-Auto ist kürzlich das 5000. Exemplar vom Band gelaufen – ein Erfolgsmodell im wahrsten Sinne. Dieses Fahrzeug fährt unter anderem im Porsche Mobil1 Supercup, der bislang im Rahmen der Formel 1 ausgetragen wird. Auch in Zukunft?
Laudenbach: „Wir haben den Vertrag mit der Formel 1 um acht Jahre verlängert. Das ist ein wichtiges Statement von unserer Seite – nicht nur bezüglich des Supercups, sondern für den Motorsport generell. Nicht vergessen: Kundensport ist der Kern von Porsche Motorsport. Kaum eine andere Marke bietet eine solch schlüssige und nachhaltige Pyramide, angefangen beim Clubsport und dem Porsche Sports Cup, über GT4 und die weltweit über 30 Markenpokale mit dem 911 GT3 Cup bis hin zum GT3-Auto und dem Porsche 963. Uns ist es wichtig, dass wir unsere Fahrzeuge auf den besten Bühnen sehen. Im Fall des Cup-Autos ist das zweifellos das Grand-Prix-Umfeld der Formel 1.“
Der GT4 e-Performance hat für große Begeisterung gesorgt. Der über 1000 PS starke Prototyp eines rein elektrischen Rennautos stellt einen Blick in die mögliche Zukunft des Kundensports dar. Wie geht es 2023 mit diesem Projekt weiter?
Laudenbach: „Dieses Projekt ist eine echte Herzensangelegenheit. Das Thema Elektrifizierung bleibt nicht auf Straßenfahrzeuge begrenzt, sondern ist auch im Motorsport ein sehr wichtiges. Unsere Rennsportaktivitäten müssen jederzeit relevant sein bezüglich dessen, was auf der Straße passiert. Im Spitzensport setzen wir das Thema in der Formel E um, auf der Langstrecke haben wir die Hybridisierung und im Kundensport ist unsere Vision der GT4 e-Performance. Das Auto ist spektakulär, es sorgt für Begeisterung, Staunen und Faszination. Nicht nur bei den Fans, sondern auch bei unseren Werksfahrern – die steigen nach jeder Fahrt mit einem breiten Grinsen aus dem Auto. Da es noch keine Rennserien für den Einsatz solcher Elektrorennwagen gibt, schicken wir den GT4 e-Performance auf eine Art Welttournee: Das Auto soll unter anderem im Januar beim GP Ice Race in Zell am See fahren und im April unter der Sonne von Long Beach nahe Los Angeles. Die Faszination der Elektrifizierung im Motorsport wollen wir nach außen tragen.“
Faszinierenden Wettbewerb bietet auch die Formel E, in der Porsche sein Engagement 2023 noch einmal ausbaut. Was ist neu für das kommende Jahr?
Laudenbach: „2023 wird die neue Generation von Fahrzeugen eingesetzt, das sogenannte Gen3-Auto. Es ist erheblich leistungsstärker, leichter und insgesamt performanter sowie effizienter. Zudem haben wir für die neue Saison den erfahrenen Portugiesen António Félix da Costa als Werksfahrer engagiert. Er soll gemeinsam mit Pascal Wehrlein zu Erfolgen fahren. Erstmals werden außerdem nicht nur zwei, sondern gleich vier Porsche 99X Electric Gen3 auf die Strecken gehen. Unser TAG Heuer Porsche Formel-E-Team setzt weiterhin zwei Autos ein. Neu sind aber zwei Fahrzeuge des Partnerteams Avalanche Andretti Formula E. Der große Vorteil: Wir bekommen in den kurzen Trainings die doppelte Datenmenge. So sollten wir noch besser vorbereitet in die Rennen gehen können. Unsere Ziele sind hoch: Wir streben Rennsiege an und möchten bis zum letzten Lauf ein Wort um die Meisterschaft mitsprechen.“