Kopfschmerzen von der Beschleunigung

Ford GT40 oder Porsche. Richard Attwood entschied sich Ende der 1960er-Jahre für Porsche. Weil er dort die Zukunft sah. Er ist bis heute geblieben.

Wir treffen den Le Mans-Sieger im Credit Suisse Race Control-Gebäude auf dem Goodwood Revival und sprechen mit ihm über die Geheimpläne von Hans Herrmann, was es wirklich mit dem legendären 917K auf sich hat und worauf es bei einem Teamkollegen in Le Mans ankommt. Und dann setzt sich spontan noch ein ganz besonderer Freund hinzu.

Dem jungen Burschen am Eingang des Credit Suisse Race Control-Gebäudes in Goodwood ist das sichtlich peinlich. „Es tut mir leid“, wiederholt er mit gesenktem Blick. Kurz zuvor hatte er Richard Attwood den Zugang verweigert. Er hatte den Le Mans-Sieger schlicht nicht erkannt. Oder besser: gekannt. Attwood nimmt es britisch gelassen. „Selbst seine Eltern dürften zu jung sein, um sich an Le Mans 1970 zu erinnern“, lacht er. Dann nimmt er im Garten Platz. Und einen Tee.

Mister Attwood, welche Gefühle kommen in Ihnen auf, wenn Sie hier im Garten des wiedereröffneten Race Control-Gebäudes sitzen?
Ich war erst vor ein paar Tagen hier, als wir eine Fahrpräsentation mit dem Porsche 918 gemacht haben. Ich kenne noch das ursprüngliche Gebäude, und das war wie eine Art Festungsanlage mit engen Korridoren und kleinen Zimmern, es hatte viel Charakter. Ich mochte es. Die Neueröffnung musste stattfinden. Die Menschen kommen nicht nur hierher, um Spaß zu haben, sie sind hier, um Rennen zu fahren – und es ist immer noch eine schnelle Strecke.

Was bedeutet Goodwood für Sie?
Goodwood ist sehr speziell. Ich glaube, ich bin hier 1957 das erste Mal gefahren. Und ich bin wirklich viel hier gefahren, bevor die Strecke 1966 geschlossen wurde. Es kommen so viele Menschen von früher zum Revival, und auch die jüngeren Menschen lieben es. Gerade die jungen Fahrer schätzen das Ambiente. Alle fühlen sich wohl hier, die Menschen nehmen teil, jeder trägt ein wenig dazu bei – auch mit seiner Kleidung.

Mit Hans Herrmann haben Sie 1970 den ersten Sieg in Le Mans für Porsche eingefahren und blieben der Marke bis heute treu. Was bedeutet Porsche für Sie?
Das ist sehr schwer zu beantworten für mich. Ich habe so viele emotionale Verbindungen zu Porsche, und diese Marke spielt in meinem Leben eine so große Rolle. Ich bin bereits privat Porsche gefahren, lange bevor ich es als Rennfahrer tat. Was ich sagen kann: Ein großer Teil des Mythos Porsche liegt für mich vor allem in der Ingenieurskunst begründet. Deshalb übt diese Marke auch eine solche Faszination auf viele rennsportbegeisterte Menschen aus.

Woran machen Sie das konkret fest?
Als ich noch aktiver Rennfahrer war, war es egal, wo wir in Europa hingefahren sind, um Rennen zu fahren, immer sagte man uns, wir sollen mit unseren 911ern hinfahren – denn die Menschen wollten genau diese Autos sehen. Sie wollten sehen, wie diese Autos von Rennfahrern gefahren werden. Porsche baute und baut nunmal die besten Straßenautos.
 
Sagen Sie das jetzt aus Verbundenheit zur Marke oder als überzeugter
Rennfahrer?

Schauen Sie, auf einem dieser Trips traf ich in meinem 911er auf einen 300 SL. Wir fuhren gemeinsam eine sehr schöne Strecke in der Nähe von Genf. Wir hatten viel Spaß auf dieser Strecke, wenngleich ich gestehen muss, dass der SL ein klein wenig schneller war. Ich konnte es zunächst nicht glauben, doch dann machte ich mir bewusst: Der SL wird von einem Drei-Liter-Motor angetrieben. Mein Porsche hatte aber nur zwei Liter Hubraum – trotzdem konnte ich an ihm dranbleiben. Das sagt doch alles.

Welcher ist Ihr liebster Porsche?
Da gibt es nicht wirklich ein Modell. Es hängt immer davon ab, was du vorhast, wo du hinwillst und welche Ansprüche du an das Auto stellst. Am einen Tag finde ich den Panamera gut, Hybrid oder Diesel, am anderen Tag bevorzuge ich den 911, oder wenn du am Wochenende mal etwas Spaß haben willst, dann gerne auch den Boxster. Es gibt für jeden Anspruch ein anderes Auto. Aber ein Auto, das wirklich jeden in jeder Phase beeindruckt, das wäre dann wohl der 911 Turbo. Es ist einfach ein absolut fantastisches Auto.

Und wir sprechen hier über den aktuellen Turbo, den 991?
Natürlich. Warum einen älteren nehmen, wenn man auch den neuen haben kann.

Ist das das typische Rennfahrerdenken? Die neueste Technologie, die neuesten Innovationen sind dem Alten zumeist überlegen?
Nun ja, die Autos entwickeln sich weiter und werden offensichtlich besser und effizienter. Es wäre schlecht, sich hier dem Fortschritt zu verweigern. Das heißt nicht, dass man einen Klassiker verschmäht. Wenn ich frage: Welches Auto möchte ich gerne besitzen? Dann sage ich: einen 911er aus den späten 1960er-Jahren. Und da ist der Stand der Technik 50 Jahre alt, noch dazu ist es schwer, ein solches Auto zu bedienen – aber es ist ein sehr befriedigendes Gefühl, damit gut zu fahren.

Welchen Porsche sind Sie nie gefahren, hätten es aber gerne
getan?

Ich glaube, da gibt es keinen. Das heißt jetzt nicht, dass ich bereits alle gefahren bin. Im Gegenteil, die neuen Prototypen bin ich definitiv nicht gefahren. Aber möchte ich sie fahren? Ich glaube nicht. Die Maschinen entwickeln viel zu viel Abtrieb für mich, da wäre die Belastung für meinen Körper zu hoch, schon alleine, was die G-Kräfte angeht.

Besitzen Sie einen Porsche?
Nein, nicht mehr. Ich hatte einige, ausschließlich Straßenfahrzeuge, und ich besaß einen 917 von 1978 bis ins Jahr 2000. Ich hatte den Wagen gekauft, weil ich wusste, er würde im Wert steigen – und es war das Auto, das ich am meisten mochte. Ich habe es stets als meine Altersvorsorge betrachtet und 2000 habe ich diese dann eingelöst. Die Frage war: Verkaufe ich das Haus oder das Auto? Und dann musste das Auto weg.

Nach dem Sieg 1970 in Le Mans beendete Hans Herrmann seine Rennfahrerkarriere. Er hatte es seiner Frau versprochen. Wie war das für Sie im Rennen? Belastet es einen Fahrer zusätzlich, wenn er weiß, der Teamkollege will seine Karriere im Falle eines Sieges beenden?
Ich wusste davon während des Rennens die ganze Zeit über nichts und ich bin wirklich glücklich darüber. Der Druck wäre nur noch größer geworden. So aber war es einfach ein Rennen. Wir haben unseren Job gemacht und hatten ein tolles Ergebnis am Ende.

Wann haben Sie vom Karriereende Ihres Teamkollegen erfahren?
Ich kann es gar nicht genau sagen. Da war nach dem Sieg so viel Trubel und Aufregung. Sicherlich hörte ich es irgendwo an der Strecke, vielleicht aber auch erst ein paar Tage später.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Hans Herrmann heute?
Sehr gut. Wir sehen uns hin und wieder und das sind immer schöne Momente. Als Hans und ich Teamkollegen wurden, war das mein zweites Jahr bei Porsche. Hans sprach kein Englisch und ich kein Deutsch. Aber das spielte keine Rolle. Denn wenn man ein gemeinsames Ziel verfolgt, dann stellt die Sprachbarriere kein Hindernis dar. Wir verstanden uns sehr gut mit Zeichensprache. Und die Kurven haben wir mit ihren Namen bezeichnet. So war klar, welche gemeint ist.

Haben Sie im Laufe der Zeit etwas Deutsch gelernt?
Nicht wirklich. Ich kann Frühstück bestellen und ein Zimmer im Hotel buchen. Ansonsten sind es ein paar Ausdrücke wie „Alles klar!“, zum Beispiel. Ich habe versucht, Deutsch zu lernen, aber ich habe es nie wirklich hinbekommen. Französisch spreche ich, aber für Deutsch hat es nie gereicht...

Le Mans-Sieger Richard Attwood
Le Mans-Sieger Richard Attwood

Und während Richard Attwood in seinen Erinnerungen noch nach ein paar Brocken Deutsch kramt, schleicht sich plötzlich Derek Bell heran. Der saß nur ein paar Meter weiter eben noch mit Sir Stirling Moss und Jochen Mass am Tisch, die alle am Credit Suisse Historic Racing Forum teilgenommen haben, und entdeckte dabei seinen ehemaligen Teamkollegen Attwood.

Er erkundigt sich neugierig nach dem Anlass dieses Interviews, und plötzlich befinden sich die beiden schon im angeregten Plausch. Ihr zentrales Thema: freilich Le Mans und freilich Porsche. Nur bei den Autos gehen die Meinungen dann etwas auseinander: Prägte der eine, Attwood, doch den Mythos des 917, und der andere, Bell, die beispiellose Überlegenheit des legendären 962. Zwei Rennfahrer, die die Geschichte von Porsche maßgeblich mitschrieben. Hochinteressant: der Teamkollege…

BELL: Das Verhältnis zum Teamkollegen ist in Le Mans etwas völlig anderes als zum Beispiel in der modernen Formel 1.

ATTWOOD: Absolut. Man bildet ein echtes Team und keine Konkurrenz. Man möchte ja gemeinsam ein Ziel erreichen.

BELL: Im Grunde schläfst du mit deinem Teamkollegen. Dabei fällt mir eine Anekdote ein. Ich habe mal zu einem Rennen meinen Sohn mitgenommen, und damals übernachteten wir noch in diesen kleinen Caravans. Als wir so durch das Lager schlenderten, bewegte sich der Caravan meines Teamkollegen rhythmisch auf und ab. Sehr verdächtig! Mein Sohn fragte mich: „Papa, was ist da los?“ Und dann stehst du da und fragst dich: Wie erklärst du das jetzt?

Hieß der Teamkollege zufällig Richard?
BELL: Nein, nein. Das war aus der Ära des 962. Aber den Namen des Teamkollegen werde ich jetzt sicher nicht verraten.

Einfache Frage: 917 oder 962?
BELL: Einfache Antwort: 962.

Die Überlegenheit des 962 war beeindruckend. War es wirklich so einfach, mit diesem Auto zu siegen, wie es aussah?
ATTWOOD: Ja.

BELL: Nein, sicher nicht. Man muss sich bewusst machen, du startest in ein Rennen und weißt: ich kann gewinnen. Aber du weißt auch: Die anderen können nur gewinnen, wenn ich nicht gewinne. Das ist eine völlig andere Situation und es ist keineswegs leichter. Ich erinnere mich an ein Rennen in Silverstone: Wir durften nur im fünften Gang fahren, weil der 962 für das Reglement ansonsten zu viel Sprit verbraucht hätte.

ATTWOOD: Bei mir ist die Entscheidung nicht ganz so einfach. Dennoch würde ich wohl den 917 wählen.

BELL: War er wirklich so schlimm?

ATTWOOD: Zu Beginn war der Wagen grauenhaft. Ich hatte Kopfschmerzen vom Dröhnen des Auspuffs und der Beschleunigung. Ich konnte gar nicht so viele Ohrstöpsel auftreiben, wie ich gebraucht hätte. Als der Wagen 1969 in Le Mans liegenblieb, führten wir zwar mit extremem Vorsprung, aber ich war heilfroh, aus diesem Auto raus zu sein. Die Menschen kamen zu mir und meinten: Du hättest Le Mans gewinnen können, ihr wart in Führung. Aber mir war das völlig egal. Im Laufe der Zeit haben wir den Wagen Schritt für Schritt verbessert, und zum Ende hin ist es wirklich ein tolles Auto gewesen.

Was sagen Sie beide zum Comeback von Porsche in Le Mans?
ATTWOOD: Das ist eine tolle Sache. Und auch das Ergebnis finde ich sehr gut. Zwei Stunden vor Schluss in Führung. Hut ab. Jetzt haben sie ein Jahr Zeit, die Probleme zu beheben, und wir werden im kommenden Jahr ein sehr starkes Porsche Team erleben.

BELL: Ich finde die Entwicklung ganz allgemein spannend. Nicht nur aus Porsche Sicht. Das ganze Thema Hybrid, die verschiedenen Ansätze: Porsche fährt hier als einziger Hersteller mit zwei Energierückgewinnungssystemen. Ich frage mich nur: Interessiert das nur mich und dich, Richard, oder interessiert das auch den Zuschauer? Und da habe ich keine klare Antwort mehr. Für den Zuschauer zählt das Entertainment …

So spontan die Plauderrunde zustandegekommen ist, so spontan löst sie sich an dieser Stelle auch wieder auf. Die Betriebsamkeit, nicht nur im Credit Suisse Race Control-Gebäude, sondern ganz allgemein in Goodwood ist sehr hoch. Derek Bell muss weiter, und ein Blick auf die Uhr verrät auch Richard Attwood: Es ist Zeit zu gehen. Eine kurze Verabschiedung. Man sieht sich ja wieder. Irgendwo. Irgendwann. Und zurück bleibt eine leere Tasse. Und ein beschämter Junge am Eingang des Race Control-Gebäudes, der zumindest an diesem Tag einiges gelernt hat.

Weitere Informationen zur diesjährigen Diskussionsrunde im Credit Suisse Race Control-Gebäude finden Sie unter: www.credit-suisse.com/classiccars

Stattgefunden hat unser Interview im Credit Suisse Race Control. Im vergangenen Jahr öffnete das ursprüngliche Wartime Airfield Building nach einer langen Renovierung erstmals wieder seine Tore. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Flughafenbau im Jahr 1948 zum Race Control-Gebäude umfunktioniert, hat seither eine Schlüsselrolle in der Renngeschichte inne und beherbergt die Rennleitung des Motor Circuit.

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