Mental-Trainer

1985 baute Porsche einen Versuchsträger mit der Kennung „911 F 22, Prototyp Sportpaket 2“. Porsche Klassik holte den Prototyp aus der Asservatenkammer und schickte ihn über jene Strecken, auf denen er vor 31 Jahren getestet und geschliffen wurde.

Überall Geräusche. Vom Motor, Getriebe, dem gesamten Antrieb. Eine vertraute Klangkulisse; doch lauter und unmittelbarer als gewohnt. Es ist die Akustik eines Prototyps. Porsche baute ihn auf, um die Lehre des reinen Sportwagens zu präzisieren. Mit einem 911 Carrera, dessen asketisches Konzept die Nähe zum Motorsport suchte. Sie nannten ihn später Club Sport. Ein Coupé, das per Lastenheft 100 Kilo leichter sein sollte als der 231 PS starke Porsche 911 Carrera 3.2 jener Zeit. So entstand ein Porsche, der in seiner reduzierten Purheit die Faszination des 911 zu einem unvergleichlich authentischen Sportwagen-Erlebnis machte. Als Basis für den Prototyp diente ein Wagen mit der Fahrgestellnummer WP0ZZZ91ZF100848. Das „F“ steht für 1985, die „848“ ist die fortlaufende Produktionsnummer. Er gehört zu den Kronjuwelen des Sportwagenherstellers. Ein Einzelstück, mit dem Porsche sich in der Kunst des Verzichts übte. 

Drei Jahrzehnte nachdem dieser Wagen gebaut wurde, haben wir ihn dort übernommen, wo einst seine Geschichte begann: im Werk 1 in Stuttgart-Zuffenhausen. Wir folgen an Bord des ersten 911 Carrera Club Sport den Spuren seiner Geschichte, lassen das Porsche-Museum im Kreisverkehr des Porscheplatzes rechts liegen und drehen raus in Richtung Weissach. Eine Strecke, die seit dem Sommer 1971 als automobile Lebensader das Porsche-Werk 1 und das Porsche-Entwicklungszentrum verbindet. Leute wie Ferry und F. A. Porsche fuhren auf dieser Route, und mit ihnen Generationen von Ingenieuren und Designern. Wer selbst einen Porsche besitzt, ganz gleich ob Neuwagen oder Klassiker, sollte einmal – vor oder nach den Rushhours dieser Region – über diese Straßen pilgern. Es ist ein kurzer Trip durch das geografische Zentrum der Porsche-Welt. 

Porsche 911 Carrera Club Sport der G-Serie – nur 99 Mal gebaut

So wie 1985, als die „Zähl-Nummer“ 848 des Jahres zum ersten Mal diesen Weg nahm, treiben wir den 911 im Spätsommer 2016 erneut gen Weissach, biegen hinter dem kleinen Örtchen Schwieberdingen ab in Richtung Hemmingen, irgendwann geht es dann links weiter nach Weissach. Es sind schmale Landstraßen, auf denen große Autos abgestimmt wurden. Autos wie der 1987 eingeführte und nur 99 Mal gebaute Porsche 911 Carrera Club Sport der G-Serie. Wir erreichen mit dem Urmodell dieser Serie Weissach. Hier wurde es konstruiert, von hier aus ging es raus auf die Schwäbische Alb, um aus einer Idee eine faszinierende Fahrmaschine zu machen, die an den automobilen Hotspots der Welt Menschen aller Herren Länder begeistern sollte.

Der 3.125 cm³ große Motor (analog Fahrzeugschein) des ersten Club Sport aller Zeiten knistert auf den Parkplatz vor dem Tor zum Porsche-Entwicklungszentrum. Langsam lernen wir ihn näher kennen, diesen unbezahlbaren Solitär. Außen sieht er noch völlig anders aus, als die späteren Club-Sport-Serienmodelle. Vielmehr erinnert er optisch mächtig an den zwei Jahre zuvor in einer Auflage von nur 20 Exemplaren gefertigten Porsche 911 SC RS; die Serie entstand als Homologationsbasis der Gruppe B für den Rallyesport. Statt der typischen G-Modell-Stoßfänger hat der Prototyp in der Tat die komplett in Wagenfarbe lackierten Pendants des 911 SC RS; hinten ist die Karosserie des Club Sport allerdings schmal und nicht turbo-breit. Wie der „SC RS“ wurde auch der Club Sport in Weiß lackiert; selbst die Fuchsfelgen mit ihrem in Weiß gehaltenen Felgenstern scheinen direkt aus der Sonderserie zu stammen. Wir werden den Eindruck nicht los, dass man für den Prototyp einfach noch Teile des 911 SC RS genutzt hat. Selbst innen gibt es Parallelen. So fehlt dem Prototyp analog zum SC RS die Mittelkonsole (samt Warnblinkschalter und Taster für die heizbare Heckscheibe).

911 Carrera Club Sport, Weissach, 2016, Porsche AG
Der 911 Carrera Club Sport in Weissach

Allerdings ist der „CS“ keineswegs ein „SC RS“. Und doch, wir müssen uns mit dieser Homologationsserie beschäftigen, um den „Club Sport“ zu verstehen. Statt des „neuen“ 3,2-Liter-Motors hatten die „SC RS“ noch den „alten“ 3,0-Liter-Motor an Bord; das aber mit einer Motorsport-Einspritzanlage von Kugelfischer und nunmehr 250 statt 204 PS Leistung. Der Preis des extrem aufwendig konzipierten 911 SC RS: 188.100 D-Mark. Zum Vergleich: Einen „normalen“ Carrera 3.0 SC gab es 1983 zu Preisen ab 55.650 D-Mark. Für den Breitensport waren die „SC RS“ damit viel zu teuer. Die große Karriere im Werksrallyesport blieb ihnen ebenfalls versagt, da kurze Zeit später der Allradantrieb dem Heckantrieb auf schnellen Schotterpisten den Garaus machte.

Porsche begegnete dieser Tatsache mit seinen allradgetriebenen Werksrallyefahrzeugen, die 1984 (911 Carrera 4x4) und 1986 (959) die Rallye Paris–Dakar gewannen. Der heckgetriebene 911 SC RS indes blieb, was er war: ein genial leichter (1.057 kg) Straßensportwagen. Was allerdings im Porsche-Programm jener Tage fehlte, war eine günstigere Basis für den Breitensport. So, wie es einst der legendäre und exakt zehn Jahre vor dem 911 SC RS eingestellte 911 Carrera RS 2.7 gewesen war, den es in einer komfortablen Touring- und einer messerscharfen Sport-Version gab. Man darf unterstellen, dass beide Elfer – der 911 Carrera SC RS ebenso wie der 911 Carrera RS 2.7 – als Inspirationsquelle für den neuen 911 Carrera Club Sport dienten. 

911 Carrera Club Sport auf den Spuren seiner Geschichte

Wir schicken das Einzelstück von Weissach aus in die Schwäbische Alb. Es sind Strecken, auf denen vor Jahr und Tag die Porsche-Ingenieure Autos wie den ersten 911 Carrera Club Sport abstimmten und noch heute Prototypen unterwegs sind. Kurvenreiche Landstraßen, die an geschichtsträchtigen Koordinaten wie der altehrwürdigen Burg Hohenzollern – der Stammburg des Hauses Hohenzollern – im Städtchen Hechingen vorbeiführen. Der 3,2- oder je nach Belieben 3,1-Liter-Motor dreht bei 100 km/h auf der Landstraße im vierten Gang knapp über 2.000 U/min. Noch keine 34.000 Kilometer hat der bis 300 km/h reichende Tacho auf der Uhr. Bis zur Marke von 260 dürfte sich die Tachonadel in früheren Jahren vorgearbeitet haben; wir verzichten angesichts von mehr als drei Jahrzehnten seit der Inbetriebnahme dieses 911 auf den Selbstversuch und glauben den Papieren, die 245 km/h als Vmax ausweisen. Allerdings schalten wir auf vielen Strecken der Schwäbischen Alb – etwa im wunderbaren Glastal oder Großen Lautertal bei Hayingen – beherzt herunter, um dem Sauger im Nacken die Sporen zu geben. 

Damals, als es nur einen einzigen „Turbo“ gab, lebten Saugaggregate wie der 930er des ersten Club Sport noch mächtig von der Drehzahl. Der alte Motor beantwortet die Leistungsanfrage so, als wäre er erst gestern produziert worden. Bis 6.840 U/min darf er gedreht werden; der rote Bereich des Drehzahlmessers wurde dafür eigens verschoben. Aus dem Stand heraus würde der Sechszylinder den 911 wohl noch heute in 5,9 Sekunden auf 100 km/h katapultieren. Aber wer macht das schon, einen Motor wie diesen im Stand bis an die Drehzahlgrenze drehen, dann die Kupplung fliegen lassen und den zweiten Gang voll ausdrehen, bis die 100-km/h-Marke erreicht ist. Den wenigsten Menschen ist ja überhaupt bewusst, dass dieser für viele so magische Wert auf diese unsinnige Art und Weise herausgefahren wird. Intern nannten sie den Club Sport-Versuchswagen übrigens „911 F 22, Prototyp Sportpaket 2“.

911 Carrera Club Sport, Hechingen, 2016, Porsche AG
Unterwegs in Deutschland: Burg Hohenzollern in Hechingen

Ein liebevoll aufgebautes Auto, das allerdings an der Zielvorgabe vorbeischrappte, mit einem „kostengünstigen“ Club-Sport-Paket ausgestattet zu werden. Denn die Entwicklungsmannschaft – man ahnt es natürlich – übernahm vom 911 SC RS teure Teile wie etwa die Kotflügel, Türen und Fronthaube aus Aluminium. Doch die Leichtmetallteile überlebten die Phase bis zur Serienentwicklung ebenso wenig wie die auf drei Anzeigen reduzierten Instrumente des Versuchsträgers. Was ungewöhnlicherweise schon auf dem linken Kotflügel und dem rechten Dachlauf des Prototyps klebte und blieb, waren die Schriftzüge „CS Club Sport“. Ansonsten setzten die Porsche-Leute auch bei der Serienversion mit dem Ausstattungspaket „M637“ auf pursten Minimalismus, um ein Maximum an Agilität herauszukitzeln. Unterbodenschutz: weg. Rücksitzanlage: weg. Automatische Heizungsregelung: weg. Beifahrersonnenblende: weg. Dämmung und Dämpfung (außer Motorraum und Dachhimmel): weg. Carrera-Schriftzug am Heck, Kleiderhaken und Deckel der Türablagekästen: weg. Im Werk gelassen wurden zudem die Nebelscheinwerfer, die Motor- und Kofferraumbeleuchtung und natürlich die elektrischen Fensterheber.

Als Fahrer eines Porsche 911 Carrera Club Sport wirst du freier

Motorseitig kamen neue Einlassventile und ein neues Steuergerät (höhere Maximaldrehzahl), ein modifiziertes Kurbelgehäuse und andere Zylinderköpfe zum Einsatz – alles abgestimmt auf die Rundstrecke. In dieses Bild passten die sportlicher ausgelegten Stoßdämpfer und härteren Motorlager. Nicht erhältlich: Klimaanlage, Komfort-, Leder- oder elektrische Sportsitze, Heckscheibenwischer, Alarmanlage, Zentralverriegelung, Radio und Schiebedach. Das alles vermisst an Bord eines Porsche 911 Carrera Club Sport respektive „911 F 22, Prototyp Sportpaket 2“ kein Mensch. Im Gegenteil. Als Fahrer wirst du freier; weil du nicht ständig irgendwas bedienen, verstehen und kommunizieren musst. Weil nur noch der 911 da ist. Eine Maschine, die einem mit jedem Geräusch des Antriebs und jedem Feedback des ESP-freien Fahrwerks zuruft, dass sie in Bewegung ist und dass man sich gefälligst darauf zu konzentrieren hast. Nur darauf. Eine Art mentales Training, das den Blick schärft und die Gedanken sortiert.

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