Eine Nummer 1 darf sich auch mal verschlucken. Vor allem, wenn draußen drückende 31 Grad herrschen. Und die Ampeln in der Schweizer Hauptstadt Bern kommen dem allerersten Porsche, dem Mittelmotor-Roadster von 1948, auch nicht entgegen – sie lassen pro Grünphase vielleicht gerade einmal drei Autos durch. Wenn dann noch die Steigungen ins Berner Oberland anstehen, können sich im Benzinsystem schon mal Blasen bilden und zur Pause zwingen. Das Gute daran: Es verlängert die Zeit mit diesem einzigartigen Relikt der größten deutschen Sportwagenmarke.
Porsche, seit 1958 wieder im Besitz der Nummer 1, hat den Wagen nach langer Standzeit fahrfähig gemacht. Grund genug, ihn wieder auf dem Asphalt seiner Frühzeit rollen zu lassen – und der befindet sich in der Schweiz. Sein Mittelmotor schnurrt im Rücken der Insassen und heizt gleichzeitig mächtig auf. Das unsynchronisierte Vierganggetriebe lässt sich trotz Zwischengas und Doppeltritt auf die Kupplung nur leicht krachend einlegen, und die Tachonadel tanzt ihren eigenen Takt.
Technisch ist nicht viel dran am weltersten Porsche. Über einem Gitterrohrrahmen wurde eine Alu-Karosserie gedengelt – Achsen, Lenkung, Räder und Bremsen stammen vom VW Käfer. Ebenso der 1.1-Liter-Motor, doch der wurde einst von Porsche dank neu konstruierter Zylinderköpfe um zehn PS gestärkt, was immerhin 35 PS bedeutete. Die mussten nur 585 Kilo Wagengewicht bewegen, was eine Höchstgeschwindigkeit von immerhin 135 km/h ermöglichte. Der Motor trägt noch heute die Originalnummer.
Flankiert wird die Nummer 1 in der Schweiz von vier weiteren Klassikern: einem 356 A 1600 S Coupé, einem 356 B 1600 Super 90 Coupé, einem 356 A 1600 S Speedster und einem ultraseltenem, weil nur 34 Mal gebauten 356 B 2000 GS Carrera 2 Cabriolet mit Fuhrmann-Königswellen-Motor von 1962. Der Konvoi fällt auf – vielleicht auch gerade deshalb, weil die Nummer 1 nicht sofort von jedem erkannt wird.
Vom „VW Sport“ zum Urahn aller Porsche-Modelle
Der kam tatsächlich als „Typ 356 VW Sportwagen“ zur Welt, kurz „VW Sport“. Schon im Sommer 1947 entstand die Idee zu dem Auto. Am 5. Februar 1948 fuhr Ferry Porsche zum ersten Mal im neuen Chassis. Und zwar im österreichischem Gmünd, wohin das Konstruktionsbüro Porsche 1944 umgesiedelt war. Im Zusammenhang mit der Karosserie der Nummer 1 taucht dann auch zum ersten Mal die Schweiz auf: Im Nachkriegsösterreich war kein Leichtmetall zu bekommen, bei den Eidgenossen dagegen schon. Porsche musste für die Einkaufserlaubnis der Regierung in Wien versprechen, die daraus gebauten Wagen im Ausland abzusetzen – Österreich brauchte Devisen.
Bis das Auto standfest und fertig war, vergingen aber noch einige Monate. Tatsächlich begann Porsche noch während der Fertigstellung von Nr. 1 mit dem Bau der 356-Serienmodelle – die allerdings den Heckmotor trugen und keinen Mittelmotor. Porsche vergab trotzdem keine neue Entwicklungsnummer. Vermutlich deshalb, weil er gleichzeitig mit anderen Entwürfen beschäftigt war wie zum Beispiel dem Typ 360, dem Cisitalia-Rennwagen.
Für die Präsentation des offiziell „Sport 356/1“ genannten Roadsters suchte sich Porsche wiederum die Schweiz aus, und zwar das Umfeld des bestens besuchten Grand Prix von Bern um die Rundstrecke von Bremgarten, wo sich ohnehin die Fachpresse tummelte. Hier testeten die ersten Journalisten den Wagen vor dem Rennen auf der 7,26 Kilometer langen, gefährlichen Rundstrecke. So erschien am 7. Juli 1948 in der Schweitzer Automobil-Revue der erste Fahrbericht über einen Porsche überhaupt: „Volles Vertrauen“ in das Auto, „moderner, niedriger, handlicher Sportwagen“, tauglich für den „...täglichen Gebrauch des Sportfahrers, aber auch für die Teilnahme an sportlichen Veranstaltungen...“, „in engen Kurven handlich und stabil“ prägten das Urteil.
Der Weg der Nummer 1 durch die Schweiz
Ständig an Geldmangel leidend, weil die in Arbeit befindlichen 356er vorfinanziert werden mussten, verkaufte Porsche die Nr. 1 letztlich – in die Schweiz. Sie erhielt als erster zugelassener Porsche am 20. Dezember das Nummernschild ZH 20640. Erster Privatbesitzer war der in Zürich wohnende deutsche Architekt Peter Kaiser – er zahlte stolze 7500 Franken. Er ersetzte die Seilzugbremsen durch eine hydraulische Vorrichtung und bastelte den Namenszug „Porsche“ um in „Pesco“ – das sollte italienisch klingen und Werbung für Porsche vermeiden. Wegen diverser Mängel am Wagen verkaufte er ihn nach rund einem Jahr an einen Autohändler. Danach ging das gute Stück alle paar Monate in neue Schweizer Hände über, bis 1952 der Sportwagenfreund Hermann Schulthess das Juwel entdeckte. Der ließ von Porsche neue Bremsen installieren sowie den Motor auf 1,5-Liter umrüsten und nahm an Schweizer Slalomveranstaltungen teil, bis ihm sechs Nonnen im Opel bei einer Alpenfahrt ins Heck fuhren. Die aufwendige Reparatur nutze er für weitere Verbesserungen wie größere Radausschnitte und runde Heckleuchten. Nach weiteren Besitzerwechseln kam Nr.1 zurück zu Porsche – Eigner Franz Blaser erhielt im Tausch einen nagelneuen 356 Speedster.
Porsche dachte übrigens damals tatsächlich auch daran, den neuen Sportwagen 356 komplett in der Schweiz zu fertigen. Denn ein Serienbau in Gmünd war hauptsächlich aus politischen Gründen nicht denkbar. Deswegen entstanden hier letztlich nur 52 Chassis. Übrigens: Der zweite Porsche, 356/2, wurde zum Karosseriebauer Beutler nach Thun im Berner Oberland geschickt, damit dieser die Möglichkeiten eines Cabrios prüfen konnte. Ernst Beutler war beeindruckt: Im Juli 1948 entstanden die ersten 1:1-Zeichungen. Nun war Porsche begeistert. Es folgte ein Auftrag über weitere fünf Exemplare.
Von der Schweiz zurück nach Deutschland
Auch der erste Messeauftritt fand in der Schweiz statt – beim Genfer Salon 1949 glänzten in der Haupthalle auf Stand 11 erstmals ein Gmünd-Coupé (356/2-001) für 15.000 Franken und ein Beutler-Cabrio (356/2-002) für 17.000 Franken.
Die Schweizer Verbindung wurde erst lockerer, als Porsche sich Ende 1949 in Deutschland niederließ und nicht im Alpenland. Seine neu gegründete „Porsche Konstruktionen GmbH“ bezog eine 600 Quadratmeter große Halle der „Karosseriewerke Reutter & Co. GmbH“ in Stuttgart-Zuffenhausen. Reutter erhielt im Gegenzug den Auftrag zum Bau von 500 Stahlkarosserien. Ab März 1950 wurden die ersten 356er gefertigt und für 10.500 Mark (Coupé) verkauft.
Wir genießen die letzten Kilometer in der Nummer 1, deren Motor sich nach rund zehn Minuten genug abgekühlt hat und wieder schnurrt wie einst. Die Köpfe überragen die zweiteilige Frontscheibe, die eigentlich nur ein Windabweiser ist. Porsche-Museumsmechaniker Jan Heidak (24) tanzt vorsichtig auf den stehenden Pedalen und sorgt mit seiner Aufmerksamkeit dafür, dass das Auto in diesem Jahr noch im englischen Goodwood, in Vancouver sowie in Kalifornien und China einzigartiger Botschafter von 70 Jahre Porsche sein kann.
Vergleichsfahrt in A- und B-Modellen
Wie sehr sich die Serien-356er von der Nummer 1 unterscheiden – abgesehen von dem Motor, der aus Platzgründen ins Heck wanderte – zeigt die Vergleichsfahrt. Ältester „junger“ 356 ist hier das 1600er Coupe, Baujahr 1956. Alle vier Gänge sind synchronisiert, die Schaltung aber ist recht unexakt. Das geschüsselte Lenkrad erscheint im Vergleich riesengroß, die Sitze sind Sessel, und die 60 PS haben keine Mühe mit dem 850-Kilo-Sportler. Und die Hitze lässt ihn kalt. Auch die anderen 356 mucken nicht auf: Je jünger das Baujahr, desto einfacher zu fahren. Das gipfelt im offenen Carrera 2 – 130 PS wollen gefordert werden, und der kraftvolle Boxersound findet sofort seinen Platz in der Hirnecke für Unvergessliches.
Das Gleiche gilt für die Zeit im einmaligen „VW Sport“ – dem ersten und einzigen Mittelmotor-356 auf der Welt.