Porsche und Le Mans – das ist eine Liebesbeziehung. Über Le Mans erzählen harte Männer mit glänzenden Augen von Magie, Gänsehaut, Tränen, Verzweiflung und Überschwang. Phantomgleich erhebt sich der Rausch ihrer Erinnerungen und wirft doch nur irre Schatten in die Gegenwart des Zuhörers. Wer es nicht erlebt, wird dieses Rennen nie verstehen. „And then I go and spoil it all by saying something stupid like ‚I love you‘“, sangen Nancy und Frank Sinatra das Scheitern großer Gefühlsäußerungen auf den Punkt.

LMP1-Reglement verpflichtet Hersteller zur Hybridisierung

Während sich allerdings in Sachen Liebe eine ganze Ratgeberindus­trie in bemühter Versachlichung verbiegt, ist das Thema Le Mans besser dran: Es hat parallel eine maximal zielorientierte technische Ebene zu bieten. Bei Porsche ist Alexander Hitzinger für sie zuständig. Als Technischer Direktor des LMP1-Programms verantwortet er den Prototyp, mit 
dem Porsche zur zweiten Saison seit der Rückkehr in die Topliga antritt.

LMP1 steht für einen Le-Mans-Prototyp der Klasse 1 – einen geschlossenen Rennwagen für die FIA-Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) mit dem 24-Stunden-Rennen von Le Mans am 13./14. Juni. Das LMP1-Reglement verpflichtet Hersteller zur Hybridisierung und knüpft die sportliche Leistungsfähigkeit der Prototypen direkt an ihre Energieeffizienz.

Rendezvous bei der Saisonvorbereitung in Bahrain

Es geht auf Mitternacht zu. Der 2015er Porsche 919 Hybrid dreht seit Stunden seine Runden und wirbelt mächtig Staub auf. „Der sandige Wüstenwind erschwert es, eindeutige Ergebnisse zu erfassen“, bedauert Hitzinger, „aber nachts sind die Bedingungen etwas konstanter, deshalb haben wir die Testzeiten nach hinten verschoben.“

Mittlerweile haben alle neun Fahrer, die sich drei der Prototypen in Le Mans teilen werden, den Neuen erprobt. Das Feedback ist positiv. „Ein gutmütigeres Fahrverhalten war eines der Entwicklungsziele“, erklärt Hitzinger. Bei Langstreckenrennen ist das keineswegs ein Komfort-Argument. Es geht um möglichst geringen Reifenverschleiß und darum, das Risiko für Fehler zu minimieren.

„Wir wollen 2015 ein siegfähiges Paket haben“

Die neue Hinterwagen- und Fahrwerksstruktur ist leichter, unkomplizierter, steifer und hat dem Porsche 919 Hybrid seinen Hang zum Untersteuern ausgetrieben. Überhaupt sollte alles am 919 für die Saison 2015 effizienter, steifer, leichter und gleichzeitig robuster werden. Wolfgang Hatz ordnet das LMP1-Programm ein: „Wir wollen 2015 ein siegfähiges Paket haben. Aber genauso wichtig sind zukunftsträchtige Technologien für Straßensportwagen“, sagt der Vorstand für Forschung und Entwicklung. „2014 hat sich unser mutiges Antriebskonzept bewährt. Die zweite Generation 919 ist deshalb keine grundlegende Neuentwicklung, sondern eine umfassende Evolution.“

Hitzinger und seine Mannschaft haben den Evolutionsgedanken umgesetzt. Das klingt nach Justierung von ein paar Stellschrauben, bedeutet aber faktisch, dass zwar das Grundkonzept beibehalten, doch jedes Detail angefasst wurde. Der 919 Hybrid verfügt weiterhin über einen Downsizing-Turbo-Benziner mit Direkteinspritzung und zwei verschiedene Energie-Rückgewinnungssysteme. Die Systemleistung liegt jetzt bei nahezu 735 kW (1000 PS).

Die Liste der Verbesserungen ist lang

Die Verbrennungseffizienz des nun noch leichteren und steiferen Zweiliter-Vierzylinders wuchs weiter. Die tragende Funktion des 90-Grad-V-Motors im Chassis wurde durch Geometrieanpassungen für eine bessere Gesamtsteifigkeit ebenfalls optimiert. Zur Leistungssteigerung und für eine effizientere Aerodynamik löste eine Doppelrohrauspuffanlage den zuvor zentralisierten Abgastrakt ab. Der Verbrennungsmotor treibt die Hinterachse mit klar über 368 kW (500 PS) an. Auch beim mittragenden, sequenziell geschalteten und hydraulisch betätigten Siebengang-Renngetriebe gelang der Spagat, es gleichzeitig leichter, aber auch steifer und robuster auszulegen. „Parallel haben wir die Schaltzeiten weiter reduziert“, ergänzt Hitzinger. 

Mehr Leistung bei reduziertem Gewicht ist das Resultat der kompletten Überarbeitung des Hybridsystems. An der Vorderachse wird beim Bremsen kinetische Energie in elektrische umgewandelt. Das zweite Rückgewinnungssystem sitzt im Abgastrakt. Der Abgasstrom treibt – praktisch pa­rallel zum Turbolader – eine Turbine an. Der so erzeugte Strom wird ebenso wie jener von den vorderen Bremsen in Lithium-Ionen-Batteriezellen zwischengespeichert. Von dort kann der Fahrer die Energie abrufen. Wenn er sich den vollen Boost gönnt, presst ihn eine Zusatzkraft in der Größenordnung von 294 kW (400 PS) in den Sitz. Diese Leistung treibt über einen Elektromotor die Vorderachse an und verwandelt den 919 in einen Allradler.

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Markant in der Heckansicht: die neue Doppelrohrauspuffanlage

Wie bei der Wahl des Antriebskonzepts sind die Ingenieure in der WEC auch bei der Wahl der Speichermedien frei. „Dabei muss man das Speichermedium auswählen“, erklärt Hitzinger, „das am besten zum jeweiligen Hybridsystem passt. Es ist immer ein Abwägen zwischen Leistungsdichte und Energiedichte.“ Je höher die Leistungsdichte des Speichers, desto schneller kann Energie zugeführt und abgerufen werden. Je höher die Energiedichte, desto mehr Energie kann gespeichert werden.

Beide Werte maximal hochzuhalten, ist physikalisch unmöglich. Hitzinger: „Unsere Lithium-Ionen-Batterie hat bei der Leistungsdichte fast das Niveau von Superkondensatoren, aber eine viel höhere Ener­giedichte. Sie kann schnell viel Leistung aufnehmen und abgeben, hat ein überschaubares Gewicht und eine relativ hohe Speicherkapazität.“

Chancenausgleich zwischen den Konzepten

Beim Einsatz der elektrischen Energie wägen die Fahrer ab: Boosten sie den Speicher irgendwo auf der Runde im Zweikampf weitgehend leer, werden sie vielleicht auf der Geraden abgehängt, weil ein Konkurrent noch Reserven hat. Je größer die elektrische Energiemenge ist, die ein Fahrer pro Runde abrufen kann, desto weniger Kraftstoff darf er einsetzen. So fördert das Reglement innovative Hybridtechnik und sorgt gleichzeitig für Chancenausgleich zwischen den Konzepten.

Der Porsche 919 Hybrid ist 2015 erstmals in der höchsten Megajoule-Klasse homologiert und darf auf der 13,6 Kilometer langen Runde in Le Mans acht Megajoule boosten, dafür aber nur 4,76 Liter Benzin verbrauchen. Für einen 1000-PS-Rennwagen, der 70 Prozent der Zeit unter Volllast gefahren wird und auf der Geraden Tempo 335 km/h erreicht, ist das revolutionär.

Keine Kompromisse

Die Prototypen verbrauchen gegenüber 2013 rund 30 Prozent weniger Kraftstoff – und sind trotzdem schneller geworden. Das Monocoque aus Carbonfaser in Sandwichbauweise ist jetzt in einem anstatt zwei Teilen gefertigt, deutlich leichter und dennoch steifer. „Das ist einem verbesserten Lagenaufbau zu verdanken“, erklärt der Technikchef. Kompromisse bei der Sicherheit würde er nie eingehen. Das hat sich schon ausgezahlt: Keine halbe Stunde vor dem ersten Sieg des Vorgängerautos beim Saisonfinale 2014 in Brasilien entkam Mark Webber einem haarsträubenden Unfall nahezu unverletzt.  

Für andere Rennstrecken braucht man mehr Abtrieb

Bei der Aerodynamik ging es neben der Effizienz auch um Sensitivität: eine geringere Anfälligkeit gegen Wind, Lenkwinkel, Schwimm- und Rollwinkel. Diese Störfaktoren verändern den Luftfluss um das Auto, beeinträchtigen die Fahrstabilität und kosten dadurch Speed. Grundsätzlich fahren die Aerodynamiker zweigleisig: Die langen Geraden von Le Mans verlangen derart geringen Luftwiderstand, dass der Abtrieb auf das Nötigste begrenzt werden muss. Für die anderen Rennstrecken braucht man mehr Abtrieb.

Es wird wieder laut. Mit seiner neuen Doppelrohrauspuffanlage klingt der 919 noch satter. Nico Hülkenberg schaltet in den siebten Gang, boostet und staubt. Marc Lieb, die schnellste Symbiose aus leidenschaftlichem Rennfahrer und Ingenieur, schaut den Sandwirbeln nach. Und was bedeutet es nun, mit diesem neuen Porsche in Le Mans zu starten? Lieb lächelt in die Dunkelheit, schüttelt den Kopf. „Das kann man gar nicht beschreiben, das muss man fühlen.“

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