Fingerspitzengefühl

Ein zukünftiges Auto real begreifen und erfassen – die Aufgabenstellung an die Modellbauer ist klar. Im Porsche-Entwicklungszentrum in Weissach wird gefräst, gesintert, modelliert. Ein Blick hinter die Kulissen.

Eine geheime Welt im Souterrain. Große verglaste Innenhöfe lassen das Tageslicht nur von oben in die langen Gänge mit hohen, hellen Wänden, die sich im glänzenden Boden zart spiegeln. In den Stockwerken darüber arbeiten Porsche-Designer an den noch geheimen Modellen der Zukunft. Dort vermischen sich Fantasie und Kreativität zu konkreten Ideen. Geballte Vorstellungskraft, die nur darauf wartet, Gestalt anzunehmen.

In den Werkstätten des Modell- und Konzeptbaus werden die Designentwürfe realisiert. Aus kreativen Impulsen und ersten Skizzen werden in der Designabteilung zunächst CAD-Modelle erstellt. Im Erdgeschoss wird aus den Entwürfen zum ersten Mal etwas wirklich Anfassbares geschaffen: Stoff, Materie und reale Masse. Vom kleinen Designmodell in Reisekoffergröße bis hin zu täuschend echt wirkenden Konzeptautos entsteht hier alles, in fast jeder Dimension.

Ein 1:1-Modell des zukünftigen Sportwagens mit Elektroantrieb

Philip Morsey, Leiter des gesamten Bereichs Konzeptbau, schaut konzentriert durch die Plexiglasscheiben der Sicherheitstüren zur Fünf-Achs-Portalfräse, deren riesiger Kopf gerade einen armdicken Fräser aufnimmt. Sanftes Zupacken mit dem Futter, dann laufen die scharfen Zähne an und bewegen sich in Richtung grünlicher Schaumklumpen auf der Oberfläche einer riesigen, noch recht rohen Holzkiste. Morsey lacht über die fragenden Blicke seiner Besucher: „Das wird ein 1:1-Modell des zukünftigen Sportwagens mit Elektroantrieb, das wird der Mission E. Für aerodynamische Versuche und für die Durchflutung der Hochleistungsbatterien mit Kühlluft sind die Ingenieure auf ein realistisches Modell angewiesen."

Bau eines 1:1-Modells, Porsche-Entwicklungszentrum, Weissach, 2016, Porsche AG
In der Fräse entsteht ein Fahrzeug aus Industrieplastilin, dem sogenannten Clay

Er deutet auf die Holzkiste. „Die geschäumten Elemente definieren millimetergenau die spätere Karosserieoberfläche, die Fräse setzt also im Moment präzise Bezugspunkte für den weiteren Aufbau. Wir können aber auch ganze 1:1-Modelle aus einem Block fräsen.“ Gespannt folgt das staunende Publikum noch einige Minuten, wie die Fräse von Punkt zu Punkt rückt, dann dreht sich Philip Morsey um und lehnt sich entspannt lächelnd an die Wand. Sein Blick tastet das Gebäude von innen ab und seine Hände machen eine Geste, die alles miteinschließt: „Sie werden es kaum glauben: Zuerst wurde das Fundament dieser Halle gegossen, dann die 116 Tonnen schwere Portalfräse aufgebaut und erst anschließend das Gebäude drum herum errichtet. Zuerst war die Fräse da, danach die Halle.“

Moderne Technologien und die Expertise der Modellbauer

Morsey wartet einen Moment, bis die Botschaft angekommen ist, dann geht er zu einem angrenzenden Raum voraus: „Designmodelle herzustellen ist aber nur ein Teil dessen, was wir hier tun – zugegebenermaßen sind sie besonders spannend und glamourös.“ Sie ermöglichen es auch dem Vorstand, anhand eines ersten Modells nachzuvollziehen, wie ein zukünftiges Auto real aussehen wird. „Sie schaffen es im wahrsten Sinne des Wortes, ein neues Produkt begreifbar zu machen, das ist ungemein wichtig.“

Dr. Christian Looman, im Team von Morsey zuständig für die Werkstätten des Modellbaus, hat bis jetzt aufmerksam zugehört: „Wenn Zeichnungen und Ideen zum Modell geworden sind, gibt das den Designern die Möglichkeit, ihre Idee weiterzuentwickeln: Die Designer können sehen, wo der Fahrzeugentwurf bereits stimmig ist oder eine Korrektur von Proportion und Gestaltung erfolgen soll.“ Ohne ein physisches Modell, beschreibt Looman die Wichtigkeit dieses Instruments, gäbe es kein belastbares Feedback. Und durch die Geschwindigkeit, die Loomans Leute mithilfe moderner Technologien und der Expertise der Modellbauer erreichen können, beschleunigt sich der gesamte Designprozess und die ganze Entwicklung ungemein. Philip Morsey stößt die Tür zu einem Bereich mit mehreren kleinen Werkstatträumen auf. In ihnen stehen kühlschrankgroße Maschinen, eine davon inmitten von Fässern voll weißem Pulver. „In der Welt draußen nennt man diese Anlagen wohl alle 3D-Drucker, insbesondere für unsere neueste Maschine gefällt uns aber der Fachausdruck selektives Lasersintern, kurz SLS, deutlich besser.“

Funktionsfähige Bauteile mit der SLS-Technologie

Morsey greift ein kleines Zahnrad aus weißem Kunststoff mit rauer Oberfläche und dreht es langsam in den Fingern: „Die Kollegen aus der Motorsportentwicklung haben uns vor Kurzem darum gebeten, einen kompletten Zahnradsatz für ein Verteilergetriebe herzustellen, um im lastfreien Prüfstandsbetrieb Versuche durchzuführen. Normalerweise würde man solche Teile sehr arbeits- und zeitintensiv aus einer hochfesten Metalllegierung fertigen, aber die Kollegen haben unseren SLS-Zahnradsatz trotzdem einfach so behandelt, als wären es Metallzahnräder. Dabei bedeutet selektives Lasersintern, dass ein spezielles Kunststoffpulver von einem computergesteuerten Laser an genau definierten Stellen verschmolzen wird.

Dann wird die Pulveroberfläche abgesenkt, Pulver wird neu aufgetragen, der Laser sintert entsprechend dem im Computer gespeicherten Geometriemodell die nächste Ebene und so weiter. Am Ende entsteht ein beliebiges Bauteil mit homogener Dichte. Nur eben aus Kunststoff.“ Philip Morsey erklärt: „Nach dem Testabschluss war man doch auf die Belastungsgrenze des Materials gespannt: Erst bei maximalem Drehmoment eines 911 Turbo S im Overboost ist der erste Zahn gebrochen, an einem kleinen Rad aus Kunststoff. Bestimmt verstehen Sie jetzt, weshalb uns der Ausdruck 3D-Drucker sehr unzutreffend erscheint.“

Bau eines 1:1-Modells, Porsche-Entwicklungszentrum, Weissach, 2016, Porsche AG
Feinarbeiten am Modell des zukünftigen Sportwagens mit Elektroantrieb

Christian Looman übernimmt: „Tatsächlich stellen wir mit der SLS-Technologie funktionsfähige Bauteile für die Entwicklung her. Komplexe Einzelstücke in wenigen Stunden. Die Entwickler können dann belastbar testen und Änderungen festlegen. Eine zweite Version entsteht, erneut in kürzester Zeit – und am Ende haben wir einen ganzen Entwicklungsschritt in Hochgeschwindigkeit realisiert.“ Porsche könnte solche Teile auch bei Zulieferern fertigen lassen. Doch gerade die kurzen Wege und die Vertraulichkeit in diesem sehr geheimen Entwicklungsbereich sind ausschlaggebend für die Entscheidung, auf internes Know-how zu setzen. Philip Morsey ergänzt, während er seine Gäste durch stille Katakomben zum nächsten Punkt lotst: „Und die 3D-Drucktechnologie funktioniert nicht nur bei Kunststoff, sondern auch bei Metall und anderen Werkstoffen.“

Der Mission E: schneeweiß, ultramodern, hinreißend proportioniert

Looman zeigt durch offene Glaswände in einen Bereich, wo an mehreren Werkbänken offensichtlich Sperrholz verarbeitet wird: „Wir haben sehr talentierte, sehr besondere Mitarbeiter. Viele beschäftigen sich auch privat mit Modellbau, legen eine unglaubliche Leidenschaft und Kreativität in diese Arbeit. Sie finden deshalb oftmals verblüffende Lösungen für sehr schwierige Aufgaben – der Gedanke, dass dieser Porsche-Spirit selbst in einem so frühen Stadium der Entwicklung zum Tragen kommt, gefällt mir unglaublich gut.“

Aufgetaucht aus dem unterirdischen Labyrinth, wartet der Höhepunkt des Rundgangs durch die Modellwerdung eines Porsche. Hell beleuchtet steht er vor uns: der Mission E. Schneeweiß, ultramodern, hinreißend proportioniert. Geradezu magnetisch zieht der Wagen die Besucher an. Doch der Versuch, eine der Fahrzeugtüren zu öffnen, bleibt erfolglos. Erst beim dritten Blick und als Morsey und Looman hinter uns leise zu lachen beginnen ist klar, dass die Camouflage geglückt ist. Zwar besitzt der Wagen täuschend echt wirkende Türfugen, aber keine Türen. Ein Designmodell. Ein meisterhafter Traum von den Moderatoren zwischen Idee und Materie.

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