911 GT3 R: Schwarze Magie

Der neue Kundenrennwagen 911 GT3 R erlebt auf dem nordamerikanischen Flugplatzkurs von Sebring den Höhepunkt seiner Erprobungsphase. Ein 30-Stunden-Absicherungs-Dauerlauf unterstreicht seine Renntauglichkeit für die Saison 2016.

Den ganzen Sommer und Herbst war der 911 GT3 R im ebenso klassischen wie förmlichen Outfit unterwegs: ganz in Schwarz. Natürlich nicht wegen einer offiziellen Kleiderordnung für den neuen Kundenrennwagen von Porsche im GT-Bereich, sondern aus schlicht praktischen Gründen: „Alle Teile aus Kohlefaser“, erläutert Projektleiter Sascha Pilz, „sind während der Erprobungsphase natürlich noch schwarz.“

Also gruppierten sich im Spätsommer im Fahrerlager des Sebring International Raceway einige Trucks um ein einziges schwarzes Biest. Der 911 GT3 R hatte da bereits einige heiße Phasen hinter sich: Komponententests und Erprobungsfahrten auf diversen europäischen Rennstrecken, darunter auch ein Hitzetest in Italien. Auf der amerikanischen Traditionsrennstrecke in Zentralflorida stand nun eine Masterarbeit auf dem Programm: insgesamt 30 Stunden Dauerlauf, wegen eingeschränkter Streckensicherheit auf drei mal zehn Stunden einigermaßen bekömmlich portioniert. „Wir wollen dann während des Dauerlaufs nur zum Nachtanken inklusive Fahrer- und Reifenwechsel an die Box“, beschreibt die Testmannschaft den geplanten Ablauf. Schließlich soll der neue Rennwagen im Jahr 2016 ja diverse 24-Stunden-Rennen bestreiten, am liebsten natürlich erfolgreich.

Daten, Daten, Daten und nochmals Daten

Noch ruht der 911 GT3 R aufgebockt unter einem Zelt. Ohne Hauben und Räder erinnert das Erprobungsfahrzeug mehr an ein fahrendes Versuchslabor als an ein Sportgerät für Privatrennfahrer. Die armdicken Rohre des Überrollkäfigs sind so sehr mit Leitungen verziert, dass sich automatisch eine Assoziation zum klassischen Kabelsalat aufdrängen würde, wären die verschiedenfarbigen Kabelverbindungen nicht ordentlich an Steuergeräte angeschlossen. Schließlich soll der 911 GT3 R nicht nur zehnstündige Turns fahren, sondern dabei auch ununterbrochen Daten, Daten, Daten und nochmals Daten liefern. Selbst auf den Querlenkern sind Dehnmessstreifen angebracht, um Informationen über Beanspruchung und Veränderungen zu sammeln.

Sebring, südlich von Orlando in einer eher eintönigen Sumpflandschaft gelegen, repräsentiert immer noch unverfälschte amerikanische Rennsport-Romantik. Ein ehemaliger Militärflughafen wurde Ende der Vierzigerjahre des vorigen Jahrhunderts in eine anspruchsvolle Rennstrecke verwandelt. Die Start-Ziel-Gerade, damals noch die Landebahn, war nur durch Strohballen von den Zuschauertribünen abgetrennt. Obwohl die Strecke mehrmals verändert worden ist, hat sie sich ihren archaischen Charakter bewahrt. Immerhin wurden inzwischen die Strohballen durch Betonwände ersetzt.

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Fahrbahnbelag und Kurven sind eine Herausforderung für Reifen und Bremsen

Seit 1952 ist Sebring durch sein 12-Stunden-Rennen eine feste Größe in der Motorsportwelt. Porsche ist wichtigster Bestandteil der Sebring-Folklore. Anfangs mischten sich die kleinen 550 Spyder vorlaut unter die riesigen Frontmotor-Roadster von Cunningham, Maserati und Ferrari, um zielstrebig das Fundament für eine nachhaltige Tradition zu schaffen: Mit 18 Gesamtsiegen ist der Sportwagenhersteller aus Zuffenhausen die mit Abstand erfolgreichste Marke. Im Jahr 2008 sorgten Timo Bernhard, Romain Dumas und Emmanuel Collard in Sebring für den bislang letzten Sieg auf einem RS Spyder. Der 911 GT3 R würde dadurch quasi Heimvorteil genießen, wäre die Strecke nicht unverändert anspruchsvoll: Die Kombination aus Asphalt und Betonplatten gilt als besonders fordernd für Fahrwerk und Bremsen, und im Spätsommer hält das Klima dann weitere Spezialitäten bereit: Wirbelstürme vor der rund 60 Kilometer entfernten Atlantikküste, sintflutartiger Regen und subtropische Hitze.

Der 911 GT3 R basiert auf dem aktuellen GT3 RS, also dem schärfsten der bisher entstandenen GT-Saugmotor-Derivate auf 911-Basis mit 368 kW (500 PS, Kraftstoffverbrauch/Emissionen* kombiniert 12,7  l/100 km; CO₂-Emission: 296 g/km) starkem Vierliter-Sechszylindermotor. Die Grundstruktur der Karosse entsteht im Werk in Stuttgart-Zuffenhausen am Montageband der Serien-Elfer, wird danach aber umgehend ausgesteuert. Nach dem Einbau des Überrollkäfigs erfolgt das umfangreiche Fahrzeug-Finish in der Rennsportabteilung im Entwicklungszentrum Weissach. Das neue Triebwerk mit Benzin-Direkteinspritzung basiert auf der Generation 9A1 des Straßen-RS und wird auf der GT-Motorenlinie ebenfalls in Zuffenhausen gefertigt.

Mit einer ordentlichen Portion Zwischengas

Neue Lager für die geschmiedete Kurbelwelle, eine neue Einlass-Nockenwellenverstellung und eine wettbewerbstaugliche Motorsteuerung helfen mit, die maximale Drehzahl noch anzuheben. Erst bei 9500/min fährt ein Begrenzer dazwischen und regelt ab. Das sequenzielle Sechsganggetriebe ist eine Entwicklung von Porsche, die vom englischen Renngetriebe-Spezialisten Ricardo hergestellt und über Wippen hinter dem Lenkrad geschaltet wird. Auch die Kupplung unterscheidet sich von der im Straßen-RS: Sie ist aus Carbon und hauptsächlich ehrenamtlich tätig. Im Wochenend-Rennbetrieb werden Kupplungen nur noch zum Anfahren beim Start oder aus der Box benötigt, beim normalen Hoch- und Runterschalten würde Aus- und Einkuppeln nur Zeit kosten. Die Motorelektronik regelt die Gangwechsel schneller und effizienter, beim Runterschalten auch gerne mit einer ordentlichen Portion Zwischengas.

Das Bild auf den langen Start- und Landebahnen des ehemaligen Militärflughafens ist – trotz flirrender Hitze und diffuser Luft – scharf und präzise: In seinem technischen Kohlefaser-Look sieht der 911 GT3 R aus wie ein erdgebundener Stealth-Bomber, der mit null Millimeter Flughöhe für einen Einsatz im Grenz­bereich trainiert. Die Oberfläche aus nackter Kohlefaser verschluckt alle Radien, Kurven, Kanten, Luftöffnungen, Wölbungen. Übrig bleibt die Silhouette eines Porsche 911: unverwechselbar, klar, eindeutig.

Über allem schwebt der Heckflügel, ein stattliches Brett mindestens in Brusthöhe über dem Heck und gefühlt noch mal deutlich breiter als die ohnehin brutal wuchtigen Radkästen. Ein schärferer Blick offenbart eine präzise durchkomponierte Form dieses Flügels, nicht unähnlich jenem der Straßenversion RS.

Beim Klang dagegen verkörpert der 911 GT3 R den Gentleman Racer. Die beiden Endrohre des Auspuffs sind dick und wuchtig wie ein klassisches Soundrohr, allerdings verbreiten sie High-End-Klänge anstatt his­torische, ungebremste Lautstärke. Der GT3 R klingt klar und kontrolliert, kippt bei hohen Drehzahlen nicht ins schrille Diskant, verliert sich bei größerer Distanz zu einem konstanten, nicht aufdringlichen Zustandsbericht der aktuellen mechanischen Situation. Beim Runterschalten allerdings, am Ende der Start-Ziel-Geraden, überstimmt die Motorsteuerung den guten Ton: „Bumm, bumm, bumm“, die Klangwellen stehen noch senkrecht in der Luft, als der 911 GT3 R längst um Turn One herum verschwunden ist.

Im Cockpit herrschen Saunatemperaturen

Am ersten Testtag werden alle Systeme kontrolliert. Raus aus der Boxengasse, eine fliegende Runde, wieder an die Box, Laptops anschließen, Daten auslesen, wieder raus. Von den für die Woche vorgesehenen sechs Piloten sind bereits Jörg Bergmeister und Wolf Henzler anwesend, die einander abwechseln. Die Daten werden jeweils in der Nacht ins Entwicklungszentrum Weis­sach übermittelt. Zusätzliche Erkenntnis: Im Cockpit herrschen Saunatemperaturen.

Am nächsten Tag stehen Stints von der Länge einer Tankfüllung auf dem Programm. Zeitgemäße Boxen gelten in Sebring als Zivilisationskrankheit, deshalb passiert an der Boxenmauer alles unter freiem Himmel. Die Performance- und Antriebsingenieure kontrollieren ihre Laptops auf einem mobilen Kommandostand. In der GT3-Klasse wird aus Kostengründen auf Bremsscheiben aus Kohlefaserverbund verzichtet, weshalb die klassischen Grauguss-Stahlscheiben verwendet werden. Außerdem werden in der Tudor United SportsCar Championship (TUSC) Einheitsreifen von Continental verwendet, an die sich 911 GT3 R, Piloten und Techniker nun gewöhnen können. Wolf Henzler, Jörg Bergmeister und Bryan Sellers sind jeweils knapp eine Stunde unterwegs, bevor sie „Box, Box, Box“ über Funk hören und zu den Technikern zurückkehren.

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Routinestopp beim 30-Stunden-Dauertest in Sebring: Jeder Handgriff sitzt

Die Boxenstopps verlaufen mit geradezu gelassener Routine. Sehr spätes Abbremsen vor dem Lollipop, Aufbocken, Reifenwechsel, Auftanken, Fahrerwechsel. Der Bremsentechniker kontrolliert die Temperatur der Bremsscheiben, der Mechaniker den Gummiabrieb der Reifenoberflächen. Ein Mechaniker im feuerfesten Overall und mit Helm steht auf der Wagenfront und presst den Schlauch zur Schnellbetankung in die Tank­öffnung. Der nächste Herr, derselbe Rennwagen. Obwohl die Telemetrie den 911 GT3 R kontrolliert wie die NSA den E-Mail-Verkehr, drücken einige Techniker automatisch auf ihre Stoppuhren. Das geschieht aus einer gelebten Tradition heraus: Bei Testfahrten kommt es nicht nur auf die Maschinen, sondern auch auf die Eindrücke der Menschen an.

Die Fahrer melden am Ende der Start-Ziel-Geraden Unregelmäßigkeiten der Bremsen. Genau um solche Meldungen aus dem Grenzbereich zu erhalten, wird in Sebring getestet. Die Strecke fordert Material und Abstimmung. Doch obwohl die Bremsleistung nachlässt – immer späterer Druckpunkt, verzögerte Reaktion – bleiben die Rundenzeiten konstant. Sellers, Henzler und Bergmeister können das mit ihrem Talent überspielen und ausgleichen, und liefern dann an der Box präzise Analysen ab. Der US-Amerikaner Bryan Sellers, in der TUSC-GT-Serie Partner des Deutschen Wolf Henzler, schließt seinen Bremsenmonolog mit der von einem Grinsen begleiteten Aufforderung ab: „Sagt mir, wenn ich zu viel rede.“

Der 911 GT3 R kann 2016 als Kunden-Rennwagen in allen nach dem Reglement des Automobil-Weltverbandes FIA ausgetragenen Serien und in der TUSC eingesetzt werden, also auch in den populären und besonders fordernden 24-Stunden-Rennen von Daytona, Nürburgring, Spa-Francorchamps und Dubai. Im Carbon-Look sind dann nur noch die Anbauteile, die Auslieferungsfarbe der Karosserie ist Weiß.

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