Jay Leno: Es gibt Autos, die sind einfach bloß Autos. Aber ein Porsche ist für mich nie nur ein Auto. Wie machen Sie das, Herr Müller?

Matthias Müller: Jeder Porsche verfügt nicht nur über eine eigene Identität, sondern auch über eine Seele. In einem Porsche spüre ich das Produkt, habe ich ein Erlebnis. Der Elfer ist ein gutes Beispiel dafür, da Fahren anders ist als in jedem anderen Auto. Ich glaube, kaum ein anderes Unternehmen hat so starke, unverwechselbare, reizvolle Produkte.

Leno: Für mich ist die Marke Porsche eine Ikone. Wer hat mit seinen Erfindungen sonst schon so früh die Entwicklung des Automobils beeinflusst, wie hieß das erste Hybrid-System noch gleich? Lo..., Low.. ah, Lohner! Und gilt nicht die gleiche Grundphilosophie noch heute? Gute, solide und kreative Ingenieurskunst, das gefällt mir. Das darf Porsche niemals ändern!

Müller: ... und das werden wir auch nicht ändern! Der Lohner Porsche Semper Vivus ist wirklich ein perfektes Beispiel. Ferdinand Porsche hat sich als Vordenker schon vor über 110 Jahren mit dem Thema Elektro-Antrieb auseinandergesetzt. Zukunftsweisende Ingenieurskunst, das treibt uns auch heute.

Leno: Qualität gehört für mich zwingend zur Identität. Ich kenne ein paar Autos aus dem Sportwagensegment, denen traue ich keine 30 000 Meilen zu. Aber jeden Morgen, wenn ich nach Hollywood ins Studio fahre, sehe ich Porsche, die sind schon seit 60 Jahren auf den Straßen. Und sie gefallen einem immer noch.

Müller: Der Begriff Nachhaltigkeit wird inzwischen leider beinahe inflationär gebraucht, er passt aber wirklich zu uns. Das macht es für unsere Designer nicht immer einfach. Ikonen sind standfest, man darf sie nicht grundlegend verändern. Man muss sie anpassen, einordnen, integrieren. Ich bin überzeugt, dass gerade diese Kontinuität Porsche so einzigartig macht.

Leno: Viele Firmen behaupten alle paar Jahre wieder, dass sie das Auto der Zukunft gefunden haben. Aber nur Porsche gibt mir ein Auto, mit dem ich zum Einkaufen, aber auch auf die Rennstrecke fahren kann.

Müller: Der Elfer ist mehr als nur ein neues Auto, er ist unsere Marke, er ist unser Maßstab für heute, morgen und übermorgen. Wenn wir uns mal nicht mehr sicher sein sollten, was wir wollen, dann können wir immer auf diesen ­Elfer schauen. Der 911 ist unsere Messlatte.

Leno: Na bitte, sag ich doch, die Geschichte wiederholt sich. Wenn du heute einen Elfer kaufst, wird er im nächsten Jahr nicht schon wieder komplett verändert auf den Markt kommen. Ich mag es, wenn Menschen und Marken bei ihrer Philosophie bleiben. Ich mag aber auch Evolutionsprozesse wie beim Elfer. Wenn es zum Modellwechsel kommt, dann ist es nicht einfach nur ein anders gemachter Wagen, dann ist es ein wirklich viel besserer.

Müller: Die Leute wissen, dass sie etwas Unverwechselbares bekommen. Das greift auch auf die Markenidentität über. Diese Einmaligkeit, nicht beliebig zu sein. Ich glaube, dass es mehrheitlich Menschen sind, die etwas erreicht haben, die sich etwas leisten wollen, die sich aber eine Erdung bewahrt haben. Sie müssen nichts zur Schau stellen, aber sie wollen sich etwas leisten, für das sie sich nicht rechtfertigen müssen. Wer einen Porsche fährt, trifft diese Entscheidung ganz bewusst und gezielt.

Leno: Ich glaube schon, dass ein Auto seinem Fahrer auch Identität verleihen kann. Im Rahmen meiner Fernsehshow „Leno’s Garage“ werde ich häufig gefragt: Jay, welchen Sportwagen soll ich kaufen, damit ich bei Frauen besser ankomme? Darauf kann ich keine Antwort geben. Denn ich kaufe meine Autos nur für mich und niemand sonst. Das ist vergleichbar mit der Faszination, die ich für mechanische Armbanduhren empfinde. Ich mag es, wenn ich die Gänge klicken höre, ich muss die Balance des Autos spüren, ich brauche das Gefühl, das Lenkrad fest in den Händen zu halten. Das ist für mich gelebte Identität.

Müller: Ein interessanter Gedanke. Ich habe Charakterzüge bisher immer mit Menschen, nicht mit Firmen oder Autos in Verbindung gebracht. Porsche ist für mich ein sehr ehrgeiziges Gebilde, stolz, sehr familiär, intelligent, manchmal schwäbisch und in einem hohen Maß sozial kompetent. Und der Einzelne nimmt sich bei uns nicht so arg wichtig.

Leno: Das merkt man den Autos an. Ich besitze einen 911 von 1963 und einen Carrera GT aus dem Jahr 2005 – und bei allen Unterschieden spüre ich doch Gemeinsamkeiten.

Müller: Sehen Sie, das meine ich mit Porsche-Gefühl. Es geht darum, dass die Technik wirklich spürbar und erlebbar ist. Nicht Technik um der Technik willen, nein, Technik für das Gefühl, einen Porsche zu fahren. Ich bin kürzlich mit dem 550 Spyder die Mille Miglia gefahren, das war authentisch, wirklich puristisch. Gang einlegen, pure Mechanik und dann ein Kraftausbruch, wenn Motor und Getriebe zusammenwachsen, wenn die Energie sich entfaltet und sich auch im Sound ausdrückt. Da bekomme ich eine Gänsehaut.

Leno: Wird sich denn die Identität von Porsche verändern, wenn mehr Fahrzeuge gebaut und verkauft werden? Im Business ist es doch nun mal so – entwickle dich oder stirb! Ich bin kein großer Fan von sportlichen Geländewagen, aber ich verstehe, dass eine Firma sie braucht, um zu überleben. Und wenn es dazu beiträgt, dass für immer ein 911 gebaut werden kann, dann kann ich damit leben.

Müller: Die Frage, wo die Exklusivität aufhört, bewegt viele Menschen. Wir haben das fest im Blick. Andere Baureihen haben eindrucksvoll gezeigt, dass es funktioniert. Ein Porsche muss einfach immer das sportlichste Angebot in einem Segment sein, mit Wesens- und Charakterzügen, die nur wir für unsere Marke in Anspruch nehmen können. Beispiel Panamera: Er ist für mich keine sportliche Limousine, sondern ein Sportwagen mit Limousinenformat. Das verstehe ich unter Identität!

Leno: Wir diskutieren viel über alternative Antriebe. Ich finde nicht, dass der Hybrid das Ende des Sportwagens ist. Eher ein neuer Anfang. Ich erinnere mich, wie wir einst über die Einführung der Wasserkühlung gestritten haben. Hey, Leute, aufwachen! Die Zeit, in der wir jetzt leben, braucht andere Konzepte. Der 918 Spyder ist für mich der erste neue Sportwagen des Jahrtausends. Aber es darf nicht nur darum gehen, mit einer Gallone Sprit auf 60 Meilen auszukommen – wo bleibt der Spaß, wenn man nur langsam vorankommt?

Müller: Es gibt immer Dinge, die auf den ersten Blick nicht zueinander passen. Natürlich ist ein Hybrid-Antrieb beim Sportwagen nicht die Präferenz. Doch Porsche kommt auch aus dem Rennsport, da gilt es immer, neue technische Lösungen auszuprobieren. Mit dem 911 GT3 R Hybrid haben wir schon bewiesen, wozu wir in der Lage sind. Die Einstellung der Menschen zur Mobilität ändert sich, ein Unternehmen hat sich an eine sich ändernde Gesellschaft anzupassen. Jeder will sich individuell fortbewegen, aber nicht mehr mit dem
Energieverbrauch von früher. Und dem trägt der neue Elfer voll und ganz Rechnung. Er ist leichter und hat daher bessere Fahrleistungen.

Leno: Mir gefällt die Einstellung der Porsche-Ingenieure. Sie haben doch schon früh im Sport gelernt: Gebt uns die Regeln, wir finden die Lösung. Alle die, die ich kennengelernt habe, sind Kämpfer. Das sehe ich als Bestandteil der Identität. Mehr noch: für mich sind das die  größten Werte Ihres Unternehmens.

Müller: Unser Anspruch ist, dass wir die Gegensatzpaare beherrschen. Dass wir beispielsweise Design und Funktionalität, also zwei Dinge, die auf den ersten Blick im Widerspruch stehen, in Einklang bringen. Das gilt genauso für Tradition und Innovation. Der Elfer ist auch dafür unsere Benchmark.

Leno: Porsche wird seinen Autos hoffentlich immer Charakter verleihen und deshalb auch seine Identität nicht verlieren. Es ist wichtig, sich seiner Vergangenheit bewusst zu sein. Für mich muss ein Automobilhersteller, der bestehen will, Perfektion und Passion zusammenbringen. Wer in dieser Industrie überleben will, braucht die Schulnote eins. Wer Porsche sein will, strebt eine Eins plus an.

Müller: Stillstand wäre für mich Rückschritt. Und aus unserer Tradition heraus wissen wir: Besser geht immer.

Leno: Wenn ich erklären soll, was mir an euch Deutschen imponiert, erzähle ich immer, wie ich bei einer Testfahrt in einem mittelalterlichen Städtchen Mittagspause gemacht habe. Links eine Kirche, rechts eine. Sie haben zur gleichen Zeit angefangen, zwölf Uhr zu schlagen. Ich meine: exakt in der gleichen Sekunde! In den meisten Ländern wäre man froh, würde nur eine überhaupt noch schlagen. Das ist für mich typisch deutsche Ingenieurskunst, das ist für mich Identität. Steckt das nicht bei allen Porsche-Mitarbeitern irgendwie drin?

Müller: Unsere Mitarbeiter sind von Porsche infiziert. Mit Liebe zum Detail, aber nicht Detailverliebtheit. Qualität ist der Maßstab, mit dem sich Dinge auch nachhaltig realisieren lassen, da gibt es keine Abstriche. Es ist wichtig, dass sich die Identität im Tun widerspiegelt. Nicht nur in unserem Sinne, sondern im Sinne unserer Kunden. Unsere Kunden beschäftigen sich mit der Identität der Marke Porsche  mehr als die Kunden anderer Marken. Das macht es ja so spannend.

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