Tandy verbuchte im Verlauf seiner erfolgreichen Karriere Gesamtsiege bei den 24 Stunden von Le Mans, dem 24-Stunden-Klassiker auf der Nürburgring-Nordschleife, dem ebenso langen GT3-Wettbewerb in Spa-Francorchamps und nun auch beim traditionsreichen IMSA-Rennen in Florida – dies war vor ihm noch keinem Rennfahrer gelungen.
Nick Tandy zeigte sich in seiner ersten Reaktion nach dem Gewinn des Saisonauftaktes der IMSA WeatherTech SportsCar Championship sichtlich berührt: „Etwas auf dieser Welt überhaupt als allererster Mensch zu schaffen – das ist so dermaßen groß, eigentlich unfassbar.“ Gemeinsam mit seinen Werksfahrerkollegen Felipe Nasr aus Brasilien und Laurens Vanthoor aus Belgien hatte der Brite seinen ersten Gesamtsieg in Daytona ausgelassen und anfangs etwas ungläubig gefeiert. Wenige Wochen nach dem Triumph erklärt er: „Ich war zweifach von Emotionen erfüllt. Das musste ich erst einmal sacken lassen.“
„Einerseits ist da die unbändige Freude über den Rennsieg: Gemeinsam mit dem Team geht es zwei Monate lang allein nur um die Vorbereitung auf Daytona. Wenn du aber siehst, wie dein Auto als erstes über den Zielstrich fährt, dann ist das die pure Freude – dafür haben wir die ganze Zeit gemeinsam hart gearbeitet. Auf der anderen Seite verspürte ich aber auch eine große Erleichterung“, betont der 40-jährige Brite. Zuvor triumphierte er bereits 2015 am Steuer des Porsche 919 Hybrid in Le Mans und ließ 2018 sowie 2020 die beiden Erfolge im Porsche 911 GT3 R am Nürburgring und in Spa-Francorchamps folgen.
„Als Porsche Penske Motorsport das neue Programm mit dem 963 aufstellte, habe ich sofort meine Hand gehoben und gesagt: ‚Ich möchte bitte in Nordamerika fahren!‘ Der Hauptgrund war, dass ich bei den 24 Stunden von Daytona den Gesamtsieg erreichen wollte“, erklärt Tandy. „In den beiden Jahren zuvor stellten sich dort die gewünschten Ergebnisse nicht ein. Ich hatte mich schon gefragt, wie oft ich es noch versuchen muss und ob es irgendwann überhaupt noch gelingen wird? Nun haben wir die positive Antwort darauf bekommen. Der Sieg ist einfach nur gut.“
Der Wunsch, den „Grand Slam“ der Langstrecke zu gewinnen, trieb Tandy seit 2020 an. „Als ich in jenem Jahr in Spa gewann, sagte mir jemand, dass für mich nun der ‚Grand Slam‘ in Reichweite läge – das war mir bis dahin gar nicht bewusst, seitdem aber immer im Kopf.“ Zwar trug er seinen Traum nie nach außen, dennoch arbeitete der Brite konsequent an seinem großen Ziel.
Ausgerechnet Earl Bamber entpuppte sich im Kampf um die Endurance-Krone als schärfster Konkurrent – jener Neuseeländer, mit dem Tandy und Formel-1-Pilot Nico Hülkenberg 2015 die 24 Stunden von Le Mans gewinnen konnte und 2020 auch in Spa-Francorchamps triumphierte. „Nachdem Earl 2023 auch auf der Nürburgring-Nordschleife den Sieg eingefahren hatte, fehlte uns jeweils nur noch dieser eine Erfolg in Daytona. Das war immer wieder ein Thema zwischen uns. Da wir beide sehr ehrgeizig sind, entstand daraus eine Rivalität unter Freunden.“
Le Mans 2015: Tandy/Bamber/Hülkenberg siegen im Porsche 919 Hybrid
2014 war Porsche in die LMP1-Topklasse der FIA Langstrecken-Weltmeisterschaft eingestiegen. Nach einem harten Lehrjahr 2014 blies das Werksteam mit dem 919 Hybrid in der Folgesaison zur großen Attacke. Das ehrgeizige Ziel: der 17. Gesamtsieg bei den 24 Stunden von Le Mans. Audi hatte diesen Klassiker inzwischen 13 mal gewonnen, Toyota reiste als Weltmeister nach Frankreich. Dennoch galten die Stuttgarter bei dem Klassiker auf dem Circuit des 24 Heures als Favorit, entsprechend hoch war die Erwartungshaltung. Schnell fiel die Entscheidung, in Le Mans ein zusätzliches Werksauto an den Start zu schicken. Im Cockpit: Tandy, Bamber und Formel-1-Star Hülkenberg. „Im dritten Auto standen wir nicht so unter Druck wie die anderen, denn wir waren neu in dem Projekt“, schildert der neue „Mister 24“, wie ihn die Fans seit dem jüngsten Daytona-Triumph nennen.
Doch dem Trio Tandy/Bamber/Hülkenberg gelang die große Überraschung: Die Prototypen-Rookies lieferten über die gesamte Distanz eine blitzsaubere Vorstellung ab und feierten am 14. Juni 2015 den ersehnten 24-Stunden-Sieg mit dem Porsche 919 Hybrid. „Das Gefühl, erstmals Le Mans zu gewinnen, war unbeschreiblich“, so Tandy. „Das Rennen ist der Heilige Gral des Langstreckensports. Aus meiner Sicht gibt es im gesamten Motorsport nichts Größeres.“
Nürburgring 2018: Hohe Hürden auf dem Weg zum Eifeltriumph mit Manthey
„Das Rennen am Nürburgring ist von allen großen Klassikern am schwierigsten zu gewinnen“, blickt Tandy voller Ehrfurcht in Richtung Eifel. „Während in Le Mans und Daytona vielleicht sechs Autos schnell und zuverlässig genug sind sowie ein entsprechend starkes Team hinter sich haben, um siegfähig zu sein, besitzen auf der Nordschleife 20 bis 30 Autos realistische Erfolgschancen. Selbst wenn du dort ein starkes Paket hast: Die Chance, dass du im Überholverkehr der verschiedenen Klassen unverschuldet Schäden davonträgst, liegt bei 50 Prozent – es können bis zu 180 andere Rennwagen auf der Strecke sein.“
„Dass unser Manthey-Porsche sehr schnell war, wussten wir schon vor dem Rennen“, rapportiert Tandy, der sich den 911 GT3 R mit seinen Werksfahrerkollegen Richard Lietz aus Österreich und den beiden Franzosen Patrick Pilet und Frédérick Makowiecki teilte. „Aber eingangs der zweiten Runde hatten wir einen Reifenschaden – zum Glück aber noch auf der Grand-Prix-Strecke, sodass wir sofort die Box ansteuern konnten. Trotzdem büßten wir sechseinhalb Minuten ein und lagen nach so kurzer Zeit ganz hinten. Wäre uns dies auf den ersten Metern der Nordschleife passiert, hätten wir über 20 Kilometer im Schleichtempo absolvieren müssen. Das wäre das frühe Ende unserer Träume gewesen. Später habe ich mich im Regen gedreht, weil ich anderen Autos ausweichen musste. Dann ist uns am Boxenausgang ein anderes Auto voll in die rechte Tür gekracht. Zum Glück hat der Porsche das ausgehalten. Typisch Nordschleife: Es passiert dort immer irgendetwas.“
Spa-Francorchamps 2020: Als aus dem 911 GT3 R ein Porsche-Traktor wurde
„Spa ist das körperlich anstrengendste Rennen für uns und richtig harte Arbeit im Cockpit“, blickt Tandy auf seinen erfolgreichen Auftritt bei den 24 Stunden von Spa-Francorchamps 2020 zurück: „Die Strecke ist fordernd, du findest dort keine Pausen wie in Le Mans oder Daytona auf den langen Geraden.“ 18 Gelbphasen und 14 Einsätze des Safety-Cars erleichterten die Mühen. Dennoch: Aufgrund einer mäßigen Einstufung der 911 GT3 R mussten der Brite, Earl Bamber und der Belgier Laurens Vanthoor in dem von Rowe eingesetzten Porsche kämpfen, um sich überhaupt in der Spitzengruppe halten zu können.
„Wir sind fehlerlos gefahren, hatten saubere Boxenstopps, waren aber nie schnell genug. Doch die Strategie und die vielen Gelbphasen hielten uns in der Führungsrunde. Dann kam der Regen und plötzlich waren nur noch ganz wenige Autos an der Spitze dabei – mit dieser Chance hatten wir nie wirklich gerechnet“, schildert der Brite aus Bedford den dramatischen Rennverlauf in den letzten Stunden. Fünf Stunden vor dem Fallen der Zielflagge übernahm Bamber das Auto auf nasser Strecke. Er spielte die Traktions-Vorteile des Neunelfers voll aus und brachte den Porsche auf Platz zwei. Dank eines taktischen Kniffs konnte die Startnummer 98 sogar die Spitze übernehmen: Das Team verzichtete beim letzten Tankstopp auf einen Reifenwechsel, das hatte die entscheidenden Sekunden eingespart.
„Wir lagen vorn und verteidigten einen guten Vorsprung. Ich musste das Auto nur noch ins Ziel bringen. Und dann? Fünf Minuten vor Schluss geht das Getriebe ein“, kann es Tandy viereinhalb Jahre noch immer kaum glauben. „Es passierte in der vorletzten Runde am Ausgang der Bruxelles-Kurve: Ich wollte im zweiten Gang beschleunigen, als es einen gewaltigen Knall gab. Ich bin sofort vom Gas gegangen und in die nächste Kurve gerollt. Erst danach habe ich mich wieder getraut, auf das Gaspedal zu treten. Doch das Auto klang nur noch furchtbar! Ich dachte, es wäre ein einziger Gang ausgefallen, aber es hörte sich beim Hochschalten bis in den Sechsten immer gleich an – ein Geknatter der schlimmsten Sorte. Wir hatten fünf Sekunden Vorsprung und ich musste noch eineinhalb Runden abspulen. Ich geriet regelrecht in Panik, aber unser Neunelfer fuhr noch.“
„Ich bin so vorsichtig und langsam gefahren wie möglich. Und was passierte? Der Vorsprung auf den zweitplatzierten Audi wuchs sogar an!“, lacht der Porsche-Werksfahrer: „Ein Teil hatte das Getriebegehäuse durchschlagen und ein riesiges Loch hinterlassen – und aus diesem legte unser Auto eine satte Ölspur auf die Strecke. Unser Verfolger ist nur noch herumgerutscht und konnte gar nicht schneller. Eine wahnsinnige Geschichte! Ich habe geheult, als ich über den Zielstrich gefahren bin. Bis heute kann ich das Gefühl kaum beschreiben. Plötzlich fielen die ganze Last und die riesige Anspannung ab. Das war das erste und bisher einzige Mal, dass mir im Auto die Tränen gekommen sind.“
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Hier finden Sie weitere Informationen sowie ein Interview mit Nick Tandy.