Parken statt starten

Haben sich Flottenbetreiber bei Elektrofahrzeugen verrechnet? Nachfragetief und Restwertflaute belasten das Geschäft im Leasing, bei Mietwagen und Carsharing. Mit Mehrwerten könnte die Branche ihr Business aufladen und die Kundschaft fürs Mitmachen bei der Energiewende überzeugen, sagen Fachleute.

Auch wenn die Lage schwierig ist, bleibt Ömer Köksal zuversichtlich: „Wir stellen unsere Flotten weiter sukzessive auf E‑Fahrzeuge um.“ Köksals Firma, die Allane Mobility Group, Spezialist für Fahrzeug-Leasing und Full-Service-Lösungen, wird ihre begonnene Transformation zur Elektromobilität fortsetzen. Köksal verantwortet als Geschäftsführer der Allane Mobility Consulting GmbH den B2B-Bereich des größten markenunabhängigen Anbieters für Neu- und Gebrauchtfahrzeuge in Deutschland.

Lager voll, Kunden rar

Im Geschäftsfeld Flottenleasing hält das Unternehmen 33.700 Verträge, im Flottenmanagement 48.500. Allane Mobility Consulting berät Großunternehmen bei der effizienten Steuerung ihrer Fuhrparks und übernimmt sämtliche Dienstleistungen für den Betrieb von Pkw und Transportern. Zu den Kunden des Unternehmens aus der süddeutschen Metropole München gehören Konzerne wie SAP mit allein gut 18.000 Fahrzeugen, Siemens und Lufthansa. „Die Situation ist momentan nicht einfach“, konstatiert Köksal. „Durch den Wegfall der staatlichen E‑Auto-Förderung zum Jahreswechsel und die immer noch mangelhafte Ladeinfrastruktur in Deutschland hat sich große Unsicherheit breitgemacht. Die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen ist deutlich zurückgegangen. Die Lager und Garagen der Händler sind voll mit Autos, für die es zurzeit keine Leasingkunden oder Fahrzeugkäufer gibt.“ Parken statt starten. Keine gute Option für ein innovatives Produkt. Die Lage, die Ömer Köksal beschreibt, registrieren seit geraumer Zeit nahezu alle Leasing-Gesellschaften, Flottenbetreiber, Autovermieter und Car-Sharing-Anbieter. Die Energiewende ist für ihr Geschäft kein Automatikbetrieb. Elektrische Fahrzeuge haben bei den Autofahrern an Attraktivität verloren, trotz ihrer anerkannten Vorteile. In den ersten beiden Monaten des Jahres 2024 war der Absatz zum Beispiel in Deutschland so niedrig wie zuletzt vor drei Jahren.

Kettenreaktion trifft junge Gebrauchtwagen

Infolge der gesunkenen Attraktivität ist zunächst die Nachfrage nach E‑Fahrzeugen eingebrochen. Als marktwirtschaftliche Konsequenz sind auch die Preise für junge Gebrauchtwagen eingebrochen. Deren Notierungen hängen eng an den Neuwagenpreisen, unterstreicht Martin Weiss, Leiter Fahrzeugbewertung bei der Deutschen Automobil Treuhand (DAT). Der Spezialist für Kraftfahrzeugdaten sagt: „Wir kommen von einem unnormal hohen Niveau im Markt, weil durch Corona, die Chipkrise und die damit verbundenen Lieferschwierigkeiten die Fahrzeuge Mangelware und der Markt stark überhitzt waren. Nun herrscht ein Überangebot und hohe Nachlässe im Neuwagenmarkt. Dadurch kommt der Neuwagenpreis sehr nahe an den Preis des Gebrauchtwagens, und da wird es dann für dessen Anbieter schwierig, seinen ursprünglich angesetzten Preis zu halten.“

Was ein gebrauchtes Auto wert ist, 2024, Porsche Consulting
Der Datendienstleister Deutsche Automobil Treuhand (DAT) ermittelt regelmäßig Gebrauchtwagenpreise. Bei drei Jahre alten Autos mit jährlicher Laufleistung von 15.000 Kilometern (Kleinwagen) oder 20.000 Kilometern (Mittel- und Oberklasse) ließen sich in Deutschland Anfang 2024 Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren teurer verkaufen als Hybrid- und E-Modelle. Die Grafik zeigt, wie viel Prozent vom Listenneupreis Autohändler im Zeitraum Januar 2021 bis Januar 2024 verlangen konnten. Der Verbrenner setzte sich an die Spitze – mit einem Abstand von zuletzt 11,3 Prozentpunkten zum E-Fahrzeug. Credit: Porsche Consulting/Clara Nabi; Quelle: DAT Barometer 2024, Deutsche Automobil Treuhand

Hinzu kommt die Skepsis vieler Kunden bei Themen wie Kapazität und Lebensdauer der Batterie oder die Sorge, dass Neufahrzeuge von heute wegen des schnellen technologischen Fortschritts schon bald als „veraltet“ gelten könnten. So wurden im Jahr 2023 nach Angaben des deutschen Kraftfahrtbundesamtes lediglich 97.000 gebrauchte „Stromer“ in Deutschland verkauft. Das sind ganze 1,6 Prozent des nationalen Gesamtgebrauchtwagenmarktes. Die Konsequenz: Elektrofahrzeuge sind als junge Gebrauchte oft nur mit hohen Preisabschlägen vermarktbar.

Der Autovermieter Sixt, der auch von den Margen beim Verkauf seiner Fahrzeuge als Gebrauchtwagen lebt, spricht von Reduzierungen um „mehr als 20 Prozent“. Laut einer Studie des Online-Gebrauchtwagenmarktplatzes AutoScout24 waren Second-Hand-Elektrofahrzeuge Anfang 2024 sogar um fast 30 Prozent günstiger als im Vergleichszeitraum ein Jahr zuvor. Und der Abwärtstrend werde sich im Laufe des Jahres 2024 und 2025 fortsetzen, vermuten Marktbeobachter: Laut DAT-Analyse erwägen lediglich 13 Prozent der Gebrauchtwagenkäufer einen Umstieg auf ein Elektrofahrzeug.

Darf es ein gebrauchtes E-Auto sein?, 2024, Porsche Consulting
Bei gebrauchten Elektrofahrzeugen erscheint die Kundschaft skeptisch. 45 Prozent der typischen Gebrauchtwagenkäufer antworten in einer Umfrage der Deutschen Automobil Treuhand: „Nein, grundsätzlich kein E-Auto.“ Lediglich 13 Prozent der Befragten aus dieser Kundengruppe hätte keine Vorbehalte gegen den innovativen Antrieb der Zukunft. Credit: Porsche Consulting/Clara Nabi; Quelle: DAT Report 2024, Deutsche Automobil Treuhand

Die Kalkulation geht nicht auf

Die angespannte Situation trifft vor allem Mobilitätsdienstleister mit einem Fuhrpark, der bereits über viele E‑Fahrzeuge verfügt, die zur Miete oder im Carsharing angeboten werden. Sie kämpfen um ihre Wirtschaftlichkeit. Nicht nur die Restwerte gebrauchter E‑Fahrzeuge liegen unter den ursprünglich prognostizierten Erwartungen und belasten die Kalkulationen. Auch die zum Teil erheblich höheren laufenden Kosten für die elektrischen Autos drücken auf die Bilanz. Das liegt zum Beispiel an der geringeren Auslastung aufgrund längerer Standzeiten durch das Laden, an aufwendigeren Transfers ungenutzter Fahrzeuge zu und von den Ladesäulen sowie an längeren Reparaturzeiten bei Schäden an Hochvoltkomponenten, die in Vertragswerkstätten behoben werden müssen. Kosten entstehen den Unternehmen zudem durch Investitionen in eigene Ladeinfrastruktur und durch hohe Preise an öffentlichen Schnellladestationen. Negativ auf die Erträge wirkt sich außerdem die Tatsache aus, dass die Fahrzeuge von den Kunden nur selten über einen längeren Zeitraum gebucht werden. Ein E‑Auto wird für einen Tag gemietet, selten für vier, sieben oder 14 Tage. 

Bekannte Autovermieter ziehen bereits Konsequenzen. Das Unternehmen Sixt meldet für das Jahr 2023 eine Belastung des Geschäftsergebnisses von rund 40 Millionen Euro aufgrund gesunkener Restwerte für elektrische Fahrzeuge. Sixt hat erhöhte Abschreibungen vorgenommen und „die Ausflottung elektrischer Risk-Fahrzeuge deutlich vorgezogen“, informiert der international agierende Vermieter in einer Pressemitteilung. Klar ist: Sixt wird seinen Bestand an E‑Fahrzeugen noch weiter reduzieren. Auch Konkurrent Hertz will sich von 20.000 E‑Autos trennen – das entspricht einem Drittel aller Elektrofahrzeuge des Hauses. Mit den Erlösen will der US-Mietwagenanbieter neue Verbrenner-Modelle kaufen. Für Helena Wisbert vom Center of Automotive Research sind die Entscheidungen von Sixt und Hertz „ein weiterer Rückschlag für den Hochlauf der Elektromobilität“.

ESG und die Rolle der Flotte

Das sieht auch Ömer Köksal so. Er spricht von einem „Dilemma“, in dem sich viele Unternehmen befinden: Einerseits müssten die Firmen auf die aktuelle Marktlage betriebswirtschaftlich reagieren und deshalb auf die E‑Mobilitäts-Bremse treten, „Gleichzeitig streben viele Unternehmen den Ausbau der E‑Mobilität bei Firmenfahrzeugen an, um die politisch und gesellschaftlich geforderte CO₂-Reduktion zu erreichen. Vor dem Hintergrund der EU-Taxonomie können Autos, die umweltfreundlich angetrieben werden, als ökologisch nachhaltige Investitionen betrachtet werden. Der Fuhrpark ist für Unternehmen damit eines der Instrumente, um ESG-Konzepte zu realisieren.“ Der Geschäftsführer der Allane Mobility Consulting fordert von der Politik, die Unternehmen bei ihrer Transformation durch verbesserte Rahmenbedingungen, etwa steuerliche Anreize oder abgeschwächte Reporting-Verpflichtungen, stärker zu unterstützen: „Wir brauchen klarere Leitplanken.“

Helen Mayer, Senior Consultant bei der Managementberatung Porsche Consulting, 2024, Porsche Consulting
Helen Mayer, Senior Consultant bei der Managementberatung Porsche Consulting, sagt: „Das Flottengeschäft sollte umdenken und seine Strategie auf den Lebenszyklus eines E-Fahrzeugs ausrichten.“ Credit: Porsche Consulting

Die Allane Mobility Group möchte künftig noch mehr Bausteine für die Verwendung von Mobilitätsbudgets anbieten. So sollen Unternehmen über Allane ihren Mitarbeitern neben Autos auch E‑Bikes, Fahrscheine für den öffentlichen Nahverkehr und die beliebten Deutschland-Tickets zur Verfügung stellen können. Bei der Konzeption der nachhaltigen Mobilitätslösungen arbeiten die Münchner eng mit der Managementberatung Porsche Consulting zusammen. Köksal: „Wenn wir das Hochfahren der E‑Mobilität nicht gefährden wollen, müssen wir Mehrwerte schaffen.“ Dieser Ansicht ist auch Helen Mayer, Senior Consultant im Bereich Mobility Services bei Porsche Consulting: „Wir müssen jetzt handeln, brauchen jetzt Lösungen, mit denen die Attraktivität von elektrischer Mobilität für Kunden gesteigert werden kann. Für Flottenbetreiber ist eine Erweiterung des Mobilitätsangebotes für Mitarbeitende ihrer Kunden unumgänglich.“ Die Beraterin empfiehlt: „Die Transformation der Unternehmen Richtung Elektromobilität darf nicht ins Stocken geraten. Sie muss beschleunigt werden. Leasing und Finanzierungsanbieter sollten ihre internen Prozesse und Abläufe optimieren. Die Ungewissheit im Handling elektrischer Fahrzeuge fordert kreatives Umdenken“. Assets müssten, so Helen Mayer, wesentlich dynamischer gesteuert und konsequent entlang des Fahrzeuglebenszyklus ausgerichtet werden. Mayer: „Die Zeit, sich lediglich auf Erfahrungswerte zu berufen, ist vorbei. Wir müssen nach vorn denken. Bei der E‑Mobilität den Rückwärtsgang einzulegen, ist keine Option.“

Kommentar

Schwellen senken

Von Dr. Stephen Hellhammer, Partner, Porsche Consulting

Dr. Stephen Hellhammer, Partner bei der Managementberatung Porsche Consulting, 2024, Porsche Consulting
Dr. Stephen Hellhammer, Partner bei der Managementberatung. Credit: Porsche Consulting

An der Elektromobilität führt kein Weg vorbei. Das Aus für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren ist politisch und gesellschaftlich gewollt. Es wurden ambitionierte Vorgaben für die Hersteller geschaffen. Die Automobilindustrie hat ihre Fahrzeugprogramme und Produktionsplanungen entsprechend angepasst. Der Paradigmenwechsel ist eingeläutet. Nun muss er aber auch finanziert werden. Die Hersteller und Flottenbetreiber haben sich darauf eingestellt. Sie haben das unternehmerische Risiko der Einführung von Elektrofahrzeugen auf sich genommen. Doch plötzlich hakt es. Die Erlöse, die sich am Markt für gebrauchte E-Autos erzielen lassen, sind nicht ausreichend. Gründe dafür gibt es viele. Vom rasanten technologischen Fortschritt über die Verunsicherung der Verbraucher bis zum Fehlen einer tragfähigen Infrastruktur in Städten und Gemeinden.

Was nun? Fuhrparkbetreiber müssen den aktuellen Abwärtstrend überwinden. Das betrifft insbesondere die in den ersten Jahren stark abfallenden Restwerte der Elektrofahrzeuge. Fuhrparkbetreiber sollten ihren Kunden über mehrere Fahrzeugzyklen hinweg Leasingangebote machen. Das heißt: nicht nur Neuwagen, sondern auch Gebrauchtfahrzeuge zu attraktiven Konditionen anbieten und damit zusätzliche Kundengruppen erschließen. So kann die Branche E-Fahrzeuge länger in der Flotte halten und anfängliche Restwertverluste, etwa in den ersten 24 Monaten, später im Fahrzeuglebenszyklus kompensieren. Zum Beispiel erst nach 48, 60 oder 72 Monaten. Das schafft Luft und Freiraum, setzt aber auch eine Erweiterung der Vertriebsaktivitäten voraus. Die müssen idealerweise künftig über die gesamte Lebenszeit eines batteriebetriebenen Fahrzeugs aufrechterhalten werden. Dabei spielen insbesondere ganzheitliche Angebote eine immer größere Rolle. Da sind komfortable Leistungspakete, in die beispielsweise die Wartung und Versicherung des Fahrzeugs, eine Wallbox, Photovoltaikanlage, Energiesteuerung und ein Stromtarif integriert sind. Alles aus einer Hand. Ein Rundum-Sorglos-Programm mit deutlichen Mehrwerten. Solche, die für Kunden wirklich wertvoll sind, weil sie Fahrzeugnutzung erleichtern und gefragte, nützliche Services integrieren.

Die Attraktivität von E-Fahrzeugen steigern können zudem Angebote, die dem Kunden eine höhere Flexibilität ermöglichen. Mit einem neuen Typ Abonnement etwa, das ihm die Möglichkeit bietet, jederzeit zwischen mehreren Fahrzeugmodellen nach Bedarf und Belieben hin und her zu wechseln. Das wäre eine niedrigere Schwelle, über die sich auch zögerliche Kunden an die E-Mobilität heranführen ließen. Große Automobilhersteller haben für solche ganzheitlichen, flexiblen Angebote die notwendigen Kapazitäten im Unternehmen. Es gilt nun, diese Kapazitäten zu bündeln und nahtlos zu vermarkten. Hier müssen die Prozesse der Leasingeber und Flottenmanager allerdings grundlegend neu aufgestellt werden. Nur dann lässt sich eine nahtlose „Kundenreise“ zu tragfähigen Kosten realisieren.

Info

Text erstmalig erschienen im Porsche Consulting Magazin.

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