Studio F.A. Porsche: So entsteht gutes Design

Es ist ein langer Weg, bis aus einer Idee ein perfektes Produkt wird. Mehrere Hürden sind zu überwinden, Blockaden zu verkraften. Christian Schwamkrug, Design Director im Studio F.A. Porsche, weiß, wie man sie überwindet.

Zu den Schwierigkeiten des Lebens als Schriftsteller, Künstler, Architekt und na­türlich auch Designer gehört der Kampf mit dem leeren weißen Blatt Papier. Wie beginnen? Mit welchen Worten? Mit wel­chen Gedanken? Wie aus dem Nichts eine neue Welt erschaffen? Es gibt unzählige Berichte von Autorinnen und Autoren über die quälende Zeit des Anfangens, des Reinfindens in einen Text. Designer kennen das ebenfalls: Die schweigende Anklage des leeren Blatts, das stille Ge­fecht, das man mit ihm führt: „So, nun ist es an dir, etwas möglichst Bahnbre­chendes auf mich zu zeichnen!“ Gedan­ken nehmen dann in schwarzen Strichen Form an. Die Skizze wird verworfen, neu gezeichnet, verfeinert. Der lange Weg zum fertigen Produkt, die schrittweise Materialisierung einer Idee in Titan, Edel­ stahl oder Aluminium haben ihren Ur­sprung hier am Zeichentisch. Es ist eine Abfolge von Herausforderungen, der sich die Designer stellen müssen. Bei Porsche Design sind sie besonders groß: „Ein Ent­wurf von uns sollte gestalterisches Neu­land betreten, ein vorhandenes Prinzip neu denken, außerordentlich funktional und selbstverständlich problemlos tech­nisch umsetzbar sein“, sagt Christian Schwamkrug, Design Director im Studio F. A. Porsche.

Christian Schwamkrug, Design Director im Studio F.A. Porsche, 2022, Porsche AG
Manchmal muss man noch einmal einen Schritt zurückgehen und neu über ein Design nachdenken. Christian Schwamkrug in seinem Büro in Zell am See.

Diese Anforderungen sind in die DNA des Unternehmens von Anfang an ein­geschrieben. Professor Ferdinand Ale­xander Porsches Entwurf des Chrono­graph I etwa erfüllte sie in vollem Maße. Die Uhr sah mit ihrer schwarzen Be­schichtung komplett anders aus als traditionelle Modelle ihrer Zeit, sie war radikal auf Funktionalität ausgelegt, schon durch die besondere Gestaltung des Zifferblatts, auf dem bei schwieri­gen Lichtverhältnissen und in Extrem­situationen die Zeit einwandfrei ables­bar sind. Wie ein Schriftsteller uns mit seiner Geschichte eine neue Perspektive auf die Wirklichkeit schenkt, macht dies ein Designer mit einem gut gestalteten Produkt.

Eine Borduhr aus der Sport Chrono Collection, 2022, Porsche AG

Es erfreut uns mit seiner klaren Schönheit und erleichtert uns den Alltag mit seiner eindeutigen Funktionalität auf eine neue Weise. Die komplexe Arbeit an ihm sieht man idealerweise nicht, aber sie ist durchaus entbehrungsreich. „Es ist vor allem nicht leicht, einer Sache, deren Prinzip eigentlich schon sehr gut durchdacht ist, noch einmal etwas Neues abzugewinnen“, sagt Christian Schwam­ krug. So hatte das Studio F. A. Porsche zum Beispiel vor nicht allzu langer Zeit den Auftrag, einen Dachziegel zu ent­werfen. Und der hat ja eigentlich schon eine fast archetypische Form, die jedes Kind zeichnen kann. Außerdem setzen festgelegte Dinge wie das Material Ton, das genormte Maß und der Herstellungs­prozess der Gestaltung enge Grenzen. „Wo soll man da ansetzen? Was können wir noch auf neue Art anders machen, so­ dass es unseren Ansprüchen und denen des Kunden entspricht? Unsere Skepsis war am Anfang groß.“

Doch solche Momente trennen eben die wahrlich Kreativen von allen anderen. Im Studio machten sich die Designer Ge­danken über die Funktion und die Form von Dachziegeln, etwa darüber, wie sie bei Regen den Wasserabfluss über die Ziegel verbessern könnten oder wie sie das Sonnenlicht reflektieren. "Es ent­stand eine intensive, kreative Dynamik", sagt Christian Schwamkrug. Und so er­ gaben sich elf Designs, die den Dach­ ziegel vor allem als Architekturelement betrachteten, die ein besonderes Licht­spiel, je nach Lichteinfall, ermöglichen, die jedem Haus ein neuartiges Aussehen verleihen. Aus solchen Ansätzen wählt Christian Schwamkrug als Design Direc­ tor im Normalfall vier bis fünf Konzepte aus, die dann mit 3­D­-Programmen vi­sualisiert und letztlich gerendert wer­den, sodass sie schon sehr naturgetreu erscheinen und den Kunden vorgestellt werden können. »Im Fall der Dachziegel war der Favorit schnell gefunden. Er hatte eine prägnante V­-Form, der Wasserab­fluss wurde optimiert, die Reflexion des Lichts war als gestalterischer Effekt inte­griert", sagt Christian Schwamkrug. Der Kunde entschied sich sehr schnell, und nur zwölf Monate nach der ersten Skizze ging der Designdachziegel V11 in Serien­produktion. "Und er hat sich sehr erfolg­reich im Markt etabliert", sagt Christian Schwamkrug.

So fließend und glatt läuft es nicht immer. Wie Schriftsteller oder Künstler kennen auch Designer Blockaden, wenn jeder Entwurf schal, kein Fortschritt mehr möglich ist. „Dann hilft es nur noch, sich zurückzunehmen, für einige Zeit an et­was anderes zu denken und – besonders wichtig – mit den Kollegen ins Gespräch zu kommen“, sagt Christian Schwamkrug.

„Es ist nicht leicht, einer Sache, deren Prinzip schon sehr gut durchdacht ist, etwas Neues abzugewinnen.” Christian Schwamkrug

Im Studio F. A. Porsche wird eine Kultur des Austauschs gelebt. Es bedarf vielerlei Perspektiven auf eine Sache, Diskussio­nen und Gespräche, bis sich ein ausgewo­gener und unvergleichlicher Entwurf aus den unterschiedlichen Grundgedanken herausschält. Eine Herausforderung sind auch die mannigfaltigen Möglichkeiten, die heute die Designsoftware bietet. Sie beschleunigt den Prozess der Gestaltung ungemein, denn aus einer Handskizze wird fix ein Rendering, das dann schon sehr greifbar und umsetzbar anmutet. „Es besteht die Gefahr, dass man sich als Designer zu schnell zufriedengibt, weil das virtuelle Modell schon nahezu perfekt wirkt. Doch es kommt auf die Details an, und die übersieht man dann leicht“, sagt Schwamkrug.

Deswegen gibt es viele Ge­spräche, in denen er mit dem Team disku­tiert, warum jede einzelne Entscheidung getroffen wurde. „Ist das Argument des Designers für eine bestimmte Design­entscheidung nicht plausibel und über­zeugend, muss er nochmal ran“, sagt Schwamkrug, „und andererseits muss auch ich Standpunkte akzeptieren, wenn sie logisch begründbar, aber nicht unbe­dingt meine sind.“ Und so nähert sich das Studio Schritt für Schritt dem Ziel. Ein Projekt hat ungefähr sechs bis acht inter­ne Abstimmungsrunden, bis es der Kunde oder der Herstellungspartner präsentiert bekommt. Entscheidend ist auch: Der Entwurf darf nicht nur eine innovative und attraktive Ästhetik haben, er muss auch ohne enormen Aufwand umsetz­bar sein. Die Designer treten schon früh in Kontakt mit den Ingenieuren der Her­steller, um sicherzustellen, dass sie dem Produkt nicht etwas einschreiben, was konstruktiv nicht realisierbar ist.

Christian Schwamkrug, Design Director bei Studio F. A. Porsche, 2022, Porsche AG
Auch frühere Designs können inspirierend sein. Christian Schwamkrug im Archiv des Studio F. A. Porsche.

Durch diesen ausbalancierten, präzi­sen Ablauf kann das Studio F. A. Porsche komplexe Aufträge übernehmen, etwa für eine Serie von Zahnarztstühlen für das japanische Unternehmen Morita, die spe­zielle Anforderungen in Sachen Ergonomie und Einsatzbereich an das Team stellte. Jeder Stuhl sollte sich an die Bedürfnis­se des jeweiligen Zahnarztes anpassen lassen, sollte modular und trotz Serien­produktion individuell konfigurierbar sein. „Eine schwierige Aufgabe, die wir aber sehr gut gemeistert haben“, sagt Christi­an Schwamkrug. Die Dentaleinheit­-Serie Signo 500T gewann 2019 den Red Dot Best of the Best Design Award. Nur einer der mehr als 250 Preise, die das Studio F. A. Porsche in seiner Geschichte ge­wonnen hat. Die Arbeit reiht sich naht­los in das erfolgreiche Erbe von Porsche Design ein, das voller Produkte ist, die zu Klassikern wurden.

Darunter natür­lich der Chronograph I, die Wechsel­glasbrille P’8478 und der Kugelschrei­ber LaserFlex, der F. A. Porsches Formel „Wenn man die Funktion eines Produktes überdenkt, ergibt sich die Form manch­mal wie von allein“ geradezu perfekt um­setzt. Der Schaft des Stiftes besteht aus Edelstahl, und dennoch ist er flexibel, weil er mit Lasertechnologie in feine Ringe geteilt wurde. Sie sind durch ihre feine Mäanderstruktur nicht voneinander lös­bar. Zwischen den Ringen befinden sich Fugen; addiert man diese Fugen, ergibt sich genau der Weg, der benötigt wird, um die Mine herausfahren oder wieder zurück in den Schaft gleiten zu lassen. Der ganze Stift verdichtet sich, wenn man den Schaft drückt, und die Mine springt heraus. Die initiale Konzentration auf die Funktion eines Kugelschreibers führte zu einer Form, die außergewöhnlich und neuartig ist.

Skizze des Adidas Bounce, 2009, Porsche AG
Skizze des Adidas Bounce, der das erste Mal 2009 auf den Markt kam.
Porsche Design Acer Book RS, 2021, Porsche AG
Das ultraflache Porsche Design Acer Book RS erhielt 2021 den Red Dot und den iF Design Award.
Kugelschreiber LaserFlex, 2022, Porsche AG
Die Edelstahlhülle des Kugelschreibers LaserFlex von Porsche Design wurde mit einem Laser perfo- riert. Sie verleiht dem Stift eine spezielle Flexibilität.
Die Zahnarztstuhlserie Signo T500, 2019, Porsche AG
Die Zahnarztstuhlserie Signo T500 für Morita gehört zu den aufwendigeren Projekten des Studio F. A. Porsche. Sie erhielt 2019 den Red Dot Best of the Best Award.
Skizzen aus der Frühstücksserie und Studien für Handys, 2022, Porsche AG
Weitere Skizzen aus der Frühstücksserie und Studien für Handys.
Skizzen der Porsche Design Tischleuchte P’7111, 2007, Porsche AG
Skizzen der Porsche Design Tischleuchte P’7111, die von Zumtobel hergestellt und 2007 das erste Mal vorgestellt wurde.
Die Wechselglassonnenbrille P’8478, 2022, Porsche AG
Die Wechselglassonnenbrille P’8478 entwarf Professor F. A. Porsche noch selbst.
Tondachziegel V11, 2022, Porsche AG
Die vom Studio F. A. Porsche entworfenen Tondachziegel V11 erzeugen durch ihre Farbgebung und ihre markante V-Form einen dreidimensio- nalen Effekt.
Skizzen des Tondachziegels V11, 2022, Porsche AG
Skizzen des Tondachziegels V11. Auftrag war unter anderem, einen idealen Wasser- abfluss durch die Form der Ziegel zu ermöglichen.

Ähnlich war es bei der sogenannten Frühstücksserie für Siemens, die bis heute zu Christian Schwamkrugs Lieblingsprodukten gehört. Auch weil ihre Entstehungsgeschichte ungewöhnlich ist. „Bis Mitte der 1990er Jahre waren Kleinküchengeräte meistens aus Kunst­stoff und recht einfachem Material her­gestellt. Als wir den Auftrag von Siemens erhielten, solche Geräte zu entwerfen, standen eine hochwertige Anmutung und Materialauswahl im Vordergrund“, sagt Christian Schwamkrug. Also ge­staltete das Studio F. A. Porsche einen Toaster, einen Wasserkocher und eine Kaffeemaschine von klarer, schnörkello­ser Schönheit und in Aluminium gehüllt. Objekt und Gerät in einem. „Ich war über­zeugt von unseren Entwürfen, dachte, das kann überhaupt nicht schiefgehen“, so Schwamkrug.

Trotzdem belegte das Studio bei der ersten Kundenbefragung nur den zweiten Platz hinter einem Kon­kurrenten, den Siemens ebenfalls beauf­tragt hatte, ein Konzept für Kleingeräte zu entwickeln. "Ich war schockiert", sagt Christian Schwamkrug. Doch dann pas­sierte etwas Ungewöhnliches: Der Ge­schäftsführer Kleingeräte bei Siemens folgte seinem Bauchgefühl und nicht dem ersten Eindruck der Kunden und gab dem Studio F. A. Porsche den Auftrag. „Das war sehr mutig von ihm, es hätte ja auch nach hinten losgehen können.“ Der Mut sollte sich auszahlen. Aufgrund des hohen Verkaufspreises – Aluminium ist nicht günstig, die Herstellungskosten waren vergleichsweise teuer – ermittel­te Siemens, dass mindestens 100.000 verkaufte Exemplare – kalkuliert für den Wasserkocher – notwendig waren, um den Break­even zu erreichen. Letztlich waren es aber dann unglaubliche 1,2 Mil­lionen.

Zahlreiche Kunden mit sehr unterschiedlichen Hintergründen, 2022, Porsche AG
Zahlreiche Kunden mit sehr unterschiedlichen Hintergründen. Die Designer des Studio F. A. Porsche arbeiten überaus vielseitig.

Mehr als das Zehnfache. „Die Se­rie weckte eine ganz eigene Begehrlich­keit. Plötzlich war man stolz, eine solche Kaffeemaschine zu besitzen oder diesen Wasserkocher. In deutschsprachigen Kri­miserien wie ›Tatort‹ oder ›Derrick‹ waren sie oft in den Küchen zu sehen. Niemand hätte diesen Erfolg prophezeien können“, sagt Schwamkrug. Und doch ist er kein Zufall. Natürlich kann man Erfolg nicht planen, aber man kann ihn wahrschein­licher machen. Porsche Design beweist das immer wieder aufs Neue, indem die Designer des Unternehmens sich mit je­dem Detail intensiv auseinandersetzen, bis es keine Fragen mehr offenlässt; in­ dem sie nicht vergessen, wie wichtig Ma­terial, Funktionalität und die puristische Form sind. Es ist jedes Mal ein kleines Wunder, wenn aus einer Idee, aus vielen Gedanken ein Produkt wird, das man be­rühren und verwenden kann, das einem den Alltag erleichtert und bereichert. Damit dieses Wunder Wirklichkeit wird, muss man viele Hürden nehmen. Porsche Design weiß seit 50 Jahren sehr genau, wie man dieses Ziel erreicht.

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