Es ist kurz nach 13 Uhr, als der „Ellenator“ vorgefahren kommt. Das ist nicht etwa der Nickname seines G-Modells, sondern die korrekte Bezeichnung für einen Fiat 500, den Merlin Assfalg dank einer Art Dreirad-Umbau der bayerischen Firma Ellenator seit seinem 16. Lebensjahr fahren darf. Doch heute geht es um den jungen Porsche-Fahrer und um seinen Wagen.
Treffen mit Merlin direkt nach der Schule. Aufgeregt ist er überhaupt nicht, allerdings angespannt. Wenige Tage vor dem Treffen streikt bei seinem 911 das Steuergerät. Jetzt muss die neue Box rechtzeitig ankommen, damit er heute seinen Elfer fahren kann. Ein ungewöhnlicher Porsche-Kunde: Merlin, 17, Gymnasiast am Bildungszentrum St. Konrad in Ravensburg, wird 2023 nach zwölf Schuljahren das Abitur machen. Leistungskurse sind Mathe, Physik und Wirtschaft. Viel Zeit hat Merlin in den vergangenen Jahren in das Thema Aktien gesteckt. Bereits mit 14 begann er zu traden, damals natürlich noch unter strenger Aufsicht seiner Eltern. Seine Faszination für das Thema hat ihn seitdem nicht losgelassen. Insbesondere mit seinen Apple-Aktien konnte Merlin 2020 und 2021 den Grundstein für die Realisierung seines großen 911-Traums legen.
Leidenschaft für zwei Räder ohne Antrieb
Doch zum entscheidenden Faktor wurde ein kleines Start-up, das er 2021 zur richtigen Zeit gründete. Denn neben dem Enthusiasmus für vier Räder mit Motoren gibt es eine mindestens genauso große Leidenschaft für zwei Räder ohne Antrieb. Das ist nicht überraschend, schließlich ist sein Vater David der CEO von Propain. Hinter der Marke stehen Premium-Mountainbikes aus dem Allgäu, die ausschließlich online verkauft werden. Die Bikes sind dank hoher Qualität in ihrem Segment Benchmark.
Natürlich ist Merlin dicht dran am Unternehmen seines Vaters, erkennt, dass gerade in der Corona-Zeit die Nachfrage nach Bike-Parts steigt, und handelt schnell. Er gründet noch als 16-Jähriger sein eigenes Unternehmen, um überwiegend gebrauchte Bike-Parts im Internet zu verkaufen. Neben Klassikern wie Laufrädern, Gabeln oder Dämpfern verkauft Merlin vor allem fein akzentuierte Ausstattungselemente wie Klemmringe, Sattelklemmen, Vorbauten, Pedals oder Lenker. „Diese Parts sind einfach schön, vor allem die bunten Farben faszinieren mich, Pedals in Nuggetgold oder Klemmringe in Neongelb.“ Jeden Tag müssen in einem kleinen Container, den Merlin als Büro und Lager nutzt, Dutzende von Paketen verpackt und ausgeliefert werden. Die Frage, wie sich Geschäft und Schule für einen 17-Jährigen miteinander vereinbaren lassen, liegt nahe.
Minimal- und Maximalprinzip
„Ich würde mich nicht als sehr guten, aber als guten Schüler bezeichnen. Ich könnte besser sein, wenn ich mich komplett auf die Schule konzentrieren würde, versuche aber mit begrenztem Aufwand das Bestmögliche zu erreichen“, erklärt Merlin mit einem breiten Lächeln sein Minimalprinzip Schule. Geschäftlich handelt er konträr, hier gilt für Merlin stets das Maximalprinzip. Sein unternehmerisches Handeln folgt dem Prinzip Problem erkennen, Lösung entwickeln. Der weitere unternehmerische Fahrplan ist bereits heute klar. Das Geld, das er mit dem ersten Projekt verdient, soll die Finanzierung der nächsten Idee anschieben. Auch seinen weiteren Ausbildungsweg kennt er bereits. „Ich möchte Wirtschaftsinformatik studieren und parallel dazu erste App-Ideen realisieren.“ Welche Ideen das sind, möchte Merlin nicht verraten, thematisch geht es ihm darum, die Effizienz im Alltag zu verbessern.
Die Erfolgsgeschichte von Merlin wird umso erstaunlicher, wenn man hört, dass er seinen 16. Geburtstag schwer krank im Krankenhaus verbringt. Im Spätsommer 2020 verschlechtert sich plötzlich sein Gesundheitszustand. Verschiedene Symptome wie Übelkeit, Erschöpfung und hohes Fieber treten auf, er bekommt Antibiotika. Doch die Medikamente wirken nicht wie gewünscht, sein Zustand verschlechtert sich dramatisch, er muss ins Krankenhaus und es wird sogar lebensbedrohlich. Erst nach fast drei Wochen darf Merlin nach Hause, endlich zurück zu seiner Familie. Seine Eltern, die kleine Schwester Romie (6) und sein Bruder Elron (12) warten sehnsüchtig auf ihn, aber ebenso drei weitere Monate Rekonvaleszenz. Eine eindeutige Diagnose gibt es nicht; fest steht, dass Merlins Körper allergisch auf Antibiotika reagiert und er einen Vitamin-D-Gendefekt hat.
Trotzdem ist Merlin fröhlich und lebensfroh, wirkt auf sein Gegenüber charismatisch, und es macht großen Spaß, ihm zuzuhören. Insbesondere wenn es um Autos geht. Sein eigenes, das Ergebnis seines jungen Erfolgs, steht wenige Kilometer von seinem Container auf dem Propain-Firmengelände entfernt in einer Halle auf einem Bauernhof.
911 SC Weissach Edition von 1980
Es ist ein 911 SC Weissach Edition, Jahrgang 1980. Von einem örtlichen Händler, der sich auf den Import von Autos aus Nordamerika spezialisiert hat, erwirbt Merlin ihn im September 2021, kurz nach seinem 17. Geburtstag. Die Sonderedition wurde ausschließlich für den nordamerikanischen Markt aufgelegt. Um die Sonderwunschabteilung zu puschen, wurde die auf 407 Exemplare limitierte Serie in Anlehnung an die Porsche-Rennsportabteilung „Weissach Edition“ genannt. Das Fahrzeug, dessen Ausstattung mit der Ausstattungsoptionsnummer M439 gekennzeichnet war, konnte mit lediglich zwei Außenlackierungen geordert werden. Platinum-Metallic sowie Schwarz-Metallic waren die Töne der Wahl – Merlin fährt Schwarz (metallic). Besonders gefällt ihm die Gestaltung des Interieurs. Den Lederton der graubraunen Sportsitze aus dem Turbo bezeichnete Porsche als Doric Grey. Die Mittelbahn der Sitze ist perforiert, die äußeren Nähte sind mit burgundroten Kedern bezogen. Die Farbtöne der Sitze finden sich auch auf dem mit Leder bezogenen Armaturenbrett, in den Türverkleidungen und im Fahrzeugteppich wieder.
Der unrestaurierte Wagen steht gut da, keine Spuren von Rost, auch wenn 42 Jahre und 177.000 Meilen nicht spurlos an dem Auto vorbeigegangen sind. Lediglich kleinere Anpassungen möchte Merlin vornehmen. Für das Fünfgang-Schaltgetriebe ist eine Revision vor- gesehen. Die platinfarbenen 15-Zoll-Fuchsfelgen, mit denen viele Modelle der Weissach Edition ausgeliefert wurden, gefallen ihm besser als die aktuell auf seinem Elfer montierten Felgen in Silber. Vielleicht tauscht er die noch aus. Definitiv tauschen möchte Merlin den amerikanischen Tacho. „Der deutsche geht halt bis 300 km/h“, ergänzt Merlin mit einem Augenzwinkern. Die leichten Spuren von Patina im Lack stören Merlin nicht. „Dieser Outlaw-Style ist cool, und ich muss mich auch nicht über jeden Kratzer oder über Steinschläge ärgern.“
Merlin kann sich aktuell nicht vorstellen, den Wagen jemals zu verkaufen. Dafür ist dieser 911 einfach zu gut. „Das Ding ist uralt, läuft aber viel geiler als die meisten neuen Autos. Richtig Auto fahren kann man am besten mit einem Oldtimer. Du bekommst ein besseres Feedback vom Lenkrad, du musst alles selber machen, es gibt keine Assistenzsysteme, und somit lernst du auch besser Auto fahren“, konstatiert Merlin. Das klingt nicht nach einem Fahranfänger.
Trotz seiner Begeisterung für schnelle Autos und viel PS ist für Merlin ein nachhaltiger Lebensstil wichtig. Er ist überzeugter Vegetarier, und in einer Hausarbeit hat sich Merlin jüngst mit eFuels beschäftigt. Der Titel: „Wie können wir ohne schlechtes Gewissen mobil sein? E-Mobilität und eFuels und ihre okölogischen und sozialen Auswirkungen im Vergleich.« Dass er seinen 911 in Zukunft mit synthetischem Kraftstoff betankt, kann sich der junge Porsche-Fahrer sehr gut vorstellen. Sein 911 muss heute allerdings in der Halle stehen bleiben. Das Steuergerät ist nicht pünktlich eingetroffen, Merlins Enttäuschung ist groß.
Porsche fährt er heute trotzdem. Mit dem 964 Carrera 2 von seinem Vater zeigt uns Merlin eine seiner Lieblingsstrecken zwischen Waldburg und Weingarten. David Assfalg muss mal wieder auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. Denn so selbstverständlich und selbstbewusst Merlin auch über Porsche spricht – noch muss immer eine der fünf in seinem Führerschein eingetragenen Personen neben ihm sitzen. Porsche fahren mit 17 geht eben nur begleitet. Am 19. September 2022 wird das vorbei sein. Dann wird Merlin 18 Jahre alt, und die Tage, an denen jemand neben ihm sitzt, sind gezählt.
Porsche 911 SC Weissach Edition
Modelljahr: 1980
Stückzahl: 07 Exemplare
Farbe: Schwarz-Metallic
Motor: 3,0-Liter-6-Zylinder-Boxer
Kraftübertragung: 80 PS 5-Gang-Schaltgetriebe
Leergewicht: 1.160 kg
Info
Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik 24.
Autor: Marco Brinkmann
Fotografie: Tom Ziora
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