Das Lastenheft des Porsche 959 war so umfangreich wie keines zuvor. Er musste nicht nur in Dakar glänzen, sondern auch auf den Rennstrecken dieser Welt und dennoch im Alltag ganz unprätentiös zu fahren sein. Die damals entwickelten Technologien verhelfen dem Supersportwagen auch nach heutigen Maßstäben noch zu unglaublicher Fahrdynamik. Doch es waren vor allem die Dinge wie die Geländeuntersetzung oder das höhenverstellbare Fahrwerk, die den Neun-Neunundfünfzig zu einem echten Alleskönner machten.
Die erste Generation des Porsche Cayenne, intern E1 genannt, war dem 959 deshalb gar nicht so fern. Erstmals entschied man sich für den Bau eines Viertürers, noch dazu eines sportlichen Geländewagens. Es war klar, dass ein solches Fahrzeug von allen Seiten kritischen Blicken widerstehen musste. Entsprechend hoch lagen die Anforderungen an das Entwicklungsteam. Man musste ein Auto bauen, dass auf der Straße den Erwartungen eines Porsche gerecht werden konnte, wollte zusätzlich aber auch den besten Offroadern im Gelände die Stirn bieten. Die Lösung des komplexen Problems war der Entwurf einer völlig neuen Plattform.
Das Projekt „Colorado“ nimmt Form an
In enger Abstimmung mit Volkswagen, die das Projekt „Colorado“ für ihren kommenden Touareg nutzten, übernahm Porsche federführend die Entwicklung der technischen Basis. Zwei eigene, völlig neu konstruierte V8-Motoren standen 2002 zur Premiere des ersten Porsche Cayenne am Start. Mit 340 PS als 4,5-Liter-Saugmotor im S-Modell und mit 450 PS – auch hier kann man wieder die Brücke zum 959 bauen – im doppelt aufgeladenen Turbo-Spitzenmodell. Doch die Leistung und bis zu 266 km/h Spitzengeschwindigkeit waren nicht die einzigen Highlights des neuen Hochleistungs-Geländewagens.
Vor allem die Fahrwerkstechnik und Abstimmung aller Systeme verhalfen dem Cayenne zu konkurrenzlosen Talenten. Da wäre das Porsche Traction Management, ein elektronisch geregelter Allradantrieb, dessen Lamellenkupplung die Kraftverteilung variabel zwischen vorn und hinten verteilen konnte. Sperrbar war das Mittendifferenzial ebenfalls und das Getriebe verfügte über eine echte Untersetzungsstufe. Ein weiterer Höhepunkt für wirklich extreme Offroad-Fähigkeiten war das optionale Advanced Off-Road-Technik Paket. Neben zusätzlichen Verkleidungen für Schweller und Aggregate am Unterboden sorgte vor allem die Differenzialsperre für das Hinterachsgetriebe und die hydraulisch entkoppelbaren Stabilisatoren für eine noch größere Achsverschränkung im schweren Gelände.
Die Premiere der Luftfederung und des PASM
Doch auch ohne das seltene Technik-Paket konnten die Porsche Cayenne der ersten Generation mit variabler Bodenfreiheit glänzen, was maßgeblich auf das PASM-Fahrwerk (Porsche Active Suspension Management) mit Luftfederung zurückzuführen ist. Erstmals in einem Porsche fand die sonst nur im Luxuslimousinen-Segment anzutreffende Form der Federung Anwendung, was den Entwicklern viele Freiheitsgrade ermöglichte. Zum einen bis zu 27,3 Zentimeter Bodenfreiheit im Off-Road-Niveau, zum anderen ein Absenken des Fahrzeugschwerpunkts bei dynamischer Fahrt. Kongenialer Partner war die kontinuierliche Verstelldämpfung des PASM. Je nach Fahrmodus, Fahrbahnzustand und Fahrstil konnte die Dämpfkraft radselektiv permanent angepasst werden.
Hier liegt der Schlüssel für die große Spreizung an Talenten des Porsche Cayenne. Man wusste, dass man ihm viel abverlangen würde und man entwickelte Systeme, die einen nie dagewesenen Grad an Anpassungsmöglichkeiten bot. In Kombination mit bärenstarken Motoren, großzügigem Platzangebot und der neuen Designsprache war ein echter Bestseller geboren: Er konnte einfach alles.
Ein ungläubiger Röhrl
Vor allem einen beeindruckte das Gebotene tief: Walter Röhrl. In seiner Rolle als Entwicklungsfahrer war er schon von den ersten Prototypen des neuen Geländesportlers begeistert, sollte sich in Spanien auf einer extra angelegten Gelände-Prüfstrecke allerdings ein Bild von den Fähigkeiten des neuen Autos überzeugen. Im Süden angekommen erinnert er sich noch heute: „Ich dachte, das meinen sie nicht ernst. Ich war sicher, dass er diese gigantischen Verschränkungen nicht schafft. Aber er hat es. Das hat mich wirklich beeindruckt.“
Es sprudelt dann allerdings noch mehr aus ihm heraus, an diesem kühlen Maimorgen mehr als 20 Jahre später, als er alle Cayenne- und Panamera-Generationen in der Boxengasse des Leipziger Experience Centers vor sich sieht. Er geht auf den aktuellen Cayenne Turbo GT zu, streicht ihm sanft über den Spoiler und sagt, von sich selbst überrascht: „Das ist vielleicht eines der schärfsten Autos, das sie je gebaut haben. Man denkt im ersten Moment: Das ist doch ein LKW. Aber es fährt, es ist einfach unglaublich. Die Präzision, die Kraft, die Balance. Beim Bremsen vielleicht, da kommt das Gewicht durch, aber ich fahre hier am Ende der Geraden auch über 250 km/h – das schaffen andere Autos erst gar nicht.“
Eine Entwicklung von ungeahntem Tempo
Für Röhrl ist es aber gar nicht nur das Topmodell, dass ihn beeindruckt, sondern die Entwicklung in den 20 Jahren des Cayenne insgesamt. Von einer Basis, die die Öffentlichkeit bereits begeisterte, hat Porsche ein Tempo vor- und Entwicklungsschritte hingelegt, die ihresgleichen suchen. „Wenn man die Evolution der Performance des ersten Cayennes mit der aktuellen dritten vergleicht, dann kann man vor der Leistung der Entwickler nur den Hut ziehen. Ich würde sogar so weit gehen, dass andere Autos in der gleichen Zeit keinen solch großen Schritt gehen konnten.“
Um das zu überprüfen, setzt er sich in einen dunkelgrünen Cayenne Turbo GT, schnallt sich an und wartet geduldig auf die Journalisten, denen er an diesem Tag den Taxifahrer spielt: Redselig und für jedes Interview bereitstehend, jeden Fotowunsch erfüllend. Doch beim Überfahren der Ziellinie geht seine Hand zielsicher an den Knopf seiner Armbanduhr. Denn er stoppt die Zeiten. Immer. Er ist auch an diesem Tag der Schnellste auf der Strecke. „Ein Porsche Cayenne ist ein Alleskönner und ja, man kann ihn da vielleicht wirklich mit dem 959 vergleichen“, lässt sich ein anerkennend mit dem Kopf nickender Röhrl am Abend entlocken. Und wir sind froh, dass wir mit unserer Einschätzung nicht so falsch lagen – auch wenn wir nicht annähernd an seine Zeiten herankamen. Wie immer.
Info
Autor: Fabian Mechtel
Fotograf: Zaid Hamid