Er bildet die virtuelle Kopie eines existierenden Gegenstücks und ermöglicht datengetriebene Analyse, Überwachung und Diagnose – ganz ohne die Aufwände und Zwänge der realen Welt. Der digitale Zwilling eines Fahrzeugs besteht nicht nur aus den gesammelten Betriebsdaten, sondern auch aus deren Konsequenzen: Informationen, die bei planmäßigen Wartungsaufenthalten und unplanmäßigen Reparaturen gesammelt werden. Bestandteile dieses Digital Twins existieren damit bereits heute im Speicher von Steuergeräten und in den Datenbanken der Porsche-Zentren.
Zentrale Intelligenz für Daten
Das große Potenzial der digitalen Zwillinge liegt in ihrer Vernetzung und der Zusammenführung der Daten in einer zentralen Intelligenz. Aus den Werten eines gesamten Feldes lassen sich Rückschlüsse ziehen, die für jedes einzelne Fahrzeug und damit für jeden einzelnen Kunden von Vorteil sind. Auf Grundlage dieser Big Data kann ein Algorithmus beispielsweise anhand der Sensordaten von Antrieb und Fahrwerk die Fahrweise berechnen und nicht nur den individuell optimalen Service-Zeitpunkt, sondern auch den Service-Umfang empfehlen. Service-Intervalle können flexibilisiert werden und der Service kann bedarfsorientiert, je nach Kundenanwendung, für spezifische Bauteile durchgeführt werden.
Die besonders beanspruchten Fahrwerkslager eines Sportwagens, der häufig auf der Rundstrecke unterwegs ist, würden auf diese Weise gezielt gewechselt können. Bei einem Langstreckenfahrzeug, das sich vorwiegend auf Autobahnen bewegt, stünde hingegen der Motor im Fokus. Noch wichtiger: Auf die gleiche Weise können auch Bauteilverschleiß oder sogar mögliche Ausfälle berechnet werden, noch bevor sie tatsächlich eintreten – ein erheblicher Sicherheitsgewinn.
Seit rund drei Jahren arbeiten Software-Spezialisten von Porsche am Konzept eines digitalen Zwillings mit dem Schwerpunkt Fahrwerk, einem sogenannten Chassis Twin. Mittlerweile wird dieses Projekt im Rahmen von CARIAD weitergeführt, dem eigenständigen Automotive Software Unternehmen im Volkswagen Konzern. Das hat den Vorteil, dass nicht nur Daten von Porsche-Fahrzeugen herangezogen werden können, sondern von allen Konzernmarken – was den Pool auf die bis zu 20-fache Menge an Autos vergrößert.
Große Bedeutung des Chassis
Die Fokussierung auf Fahrwerkkomponenten liegt auf der Hand: Bei einem Porsche ist das Chassis den höchsten Belastungen ausgesetzt, insbesondere im Rundstreckenbetrieb. Durch Sensorik im Fahrzeug und die Nutzung intelligenter, selbstlernender Algorithmen bei der zentralen Auswertung werden Beanspruchungen unmittelbar im Fahrzeug erkannt und an den Fahrer übermittelt. Damit erhöht sich die Insassensicherheit, da gewisse Störungen direkt auffallen, noch bevor der Fahrzeugnutzer oder die Werkstatt einen Fehler beispielsweise durch Geräusche oder Vibrationen erkennt.
Eine erste Anwendung des Digital Chassis befindet sich bereits in der praktischen Erprobung. Bei der überwachten Komponente handelt es sich konkret um die Luftfederung des Porsche Taycan. In dem Pilotprojekt, an dem rund jeder zweite Taycan-Kunde teilnimmt, werden zunächst hauptsächlich die Daten der Aufbaubeschleunigung erfasst, ausgewertet und via Porsche Connect an das zentrale Backend übertragen. Dieses vergleicht die Werte des individuellen Wagens permanent mit den Flottendaten. Daraus errechnet der Algorithmus Schwellwerte. Werden diese überschritten, erhält der Kunde über das PCM eine Information, er möge sein Fahrwerk im Porsche-Zentrum überprüfen lassen. Damit wird nicht nur das Überschreiten der Verschleißgrenze vermieden, durch die frühzeitige Reparatur können auch Folgeschäden verhindert werden.
Künstliche Intelligenz
Durch die künstlichen Intelligenzen im Fahrzeug und in der Datenzentrale werden die Schadensmöglichkeiten sowie die Genauigkeit der Algorithmen stetig verbessert. Während in der ersten Ausbaustufe des digitalen Zwillings, die im kommenden Jahr in Serie gehen wird, nur die unmittelbaren Sensordaten mechatronischer Komponenten ausgewertet werden, sind in Zukunft auch weitergehende Funktionen denkbar – etwa, dass auch ohne Messfühler an bestimmten Bauteilen deren Verschleiß berechnet werden kann. Ein Beispiel: Muss an mehreren Fahrzeugen die Spureinstellung korrigiert oder die Spurstange gewechselt werden und es wurden zuvor über mehrere Sensoren übereinstimmende Abweichungen festgestellt, kann dies als Hinweis auf ein Muster gewertet werden. Treten die entsprechenden Werte dann bei einem weiteren Fahrzeug auf, würde dem Fahrer folglich empfohlen, die Werkstatt aufzusuchen.
Durch diese frühzeitige Diagnose können Folgeschäden vermieden werden – in diesem konkreten Beispiel etwa abgefahrene Reifen durch eine verstellte Spur. Die Fehlersuche in der Werkstatt wird verkürzt, da gezielt fehlerhafte Komponenten ausgetauscht werden können. Dadurch verringern sich die Durchlaufzeiten in der Werkstatt und damit die Kosten für den Kunden. Der digitale Zwilling ermöglicht auch abseits des Fahrbetriebes Kundenvorteile: Die digitale Fahrzeugakte kann den Restwert des Fahrzeugs belegen und erhöht die Transparenz für Gebrauchtwagenkäufer und -verkäufer. Durch die lückenlose Dokumentation der Bauteile wäre zudem eine erweiterte Approved-Garantie durch den Hersteller denkbar, ja sogar eine Zertifizierung mit einer Preisempfehlung für den Wiederverkauf.