Das Ambiente erinnert an ein Raumschiff: weiße Wände, klinisch sauberer Boden, helles Neon­licht. Orangefarbene Kabel schlängeln sich zu einer Maschine in der Mitte des Raumes. Die Warnfarbe hat ihren Grund: Die Leitungen führen 800 Volt Spannung. Denn hier im Hochvoltverbundprüfstand im Porsche Entwicklungszentrum Weissach werden Elektro­ motoren getestet. Aktuell steht ein ganz beson­deres Exemplar auf dem Prüfstand: der Motor des Porsche 99X Electric. Er treibt den Rennwagen an, mit dem Porsche seit letztem Jahr in der Formel E startet. Die E­-Maschine beschleunigt den schwarz-­weiß-­roten Rennwagen in nur 2,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h.

2,8 Sekunden braucht der Porsche 99X Electric für den Sprint von 0 auf 100 km/h.

Auf dem Prüfstand wollen die Ingenieure den Wirkungs­ grad des Antriebs weiter optimieren. Dafür muss er zahllose Runden auf einer virtuellen Rennstrecke drehen, wobei er den gleichen Beschleunigungs-­ und Brems­vorgängen wie im realen Betrieb ausgesetzt wird. Die Tests sollen jedoch nicht nur dabei helfen, den Renn­wagen aufs Podium zu bringen. Porsche will langfristig auch möglichst viele Innovationen aus dem Rennsport in Serienfahrzeugen einsetzen. „Wir haben den Auftrag, Rennen zu gewinnen. Aber es geht auch immer darum, den Weg zur Serie zu ebnen“, erklärt Martin Füchtner, Leiter Entwicklung Hochvoltantriebe, Motorsport.

Porsche 99X Electric, 2020, Porsche AG
Der 99X Electric

Die E­-Mobilität als Ganzes voranbringen – dieses Ziel verfolgen auch die Veranstalter der Formel E. Die Renn­serie soll kein isoliertes Technikreservat sein, sondern auch ein Ansporn für Serieninnovationen. Deshalb gel­ten hier völlig andere Gesetze als bei den Verbrennern. Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass die Renn­ställe größtenteils identische Fahrzeuge verwenden müssen. Die Formel E stellt das Fahrzeugchassis und die Einheitsbatterie. Sämtliche Antriebskomponenten sind dagegen Eigenentwicklungen. Dazu gehören Elek­tromotor, Umrichter, Brake-­by-­Wire-­System, Getriebe, Differenzial, Antriebswellen, die tragende Struktur und die dazugehörigen Fahrwerksteile an der Hinterachse sowie Kühlsystem und Steuergerät.

„Wir haben den Auftrag, Rennen zu gewinnen. Aber es geht auch immer darum, den Weg zur Serie zu ebnen.“ Martin Füchtner

So müssen die Teams weniger Teile selbst entwickeln, wovon weni­ger kapitalstarke Teilnehmer profitieren. Außerdem konzentrieren sich die Ingenieure auf den eigentlichen Elektroantrieb, anstatt viel Geld in kostspielige Neben­schauplätze wie die Aerodynamik zu investieren.

Seinen Auftrag umreißt E­-Antriebsexperte Füchtner so: „Wir müssen die Grenzen des technisch Machbaren austesten.“ Zwei Bauteile stehen dabei momentan ganz besonders im Fokus: E­-Maschine und Umrichter. Die E-­Maschine wandelt Wechselstrom in Dreh­moment um, welches zum Antrieb des Fahrzeugs zur Verfügung steht. Es gilt interne Wirbelstrom­ und Leitungsverluste zu minimieren und ein minimales Bauteilgewicht zu erzielen. Dabei kommt dem Team die bereits zu Zeiten des Le­-Mans-­Prototypen (LMP) begonnene Grundlagenforschung zugute, die neue Maschinentopologien und Werkstoffe hervorgebracht hat. „Es ist faszinierend zu sehen, welchen immensen Technologiesprung wir in den letzten Jahren geschafft haben – heute bietet ein Antrieb mit kaum fünf Litern Volumen bereits Antriebsleistungen eines ausge­wachsenen Sportwagenmotors. Und das bei kaum für möglich gehaltenen Wirkungsgraden.“

Martin Füchtner, Leiter Entwicklung Hochvoltantriebe im Motorsport, 2020, Porsche AG
Martin Füchtner, Leiter Entwicklung Hochvoltantriebe im Motorsport

Doch es reicht nicht, nur eine Komponente zu optimieren – das Zusammenspiel des Triebstrangs ist entscheidend. So kann es sinnvoll sein, Wirkungsgradeinbußen bei der E-Maschine in Kauf zu nehmen, um beim Umrichter mehr zu gewinnen. Oder umgekehrt. Was zählt, ist das Gesamtergebnis. Der Umrichter ist der Partner der E-Maschine und wandelt den Gleichstrom der Batterie in Wechselstrom um. Dafür ist ein Halbleiterbauelement zuständig, das viele Tausend Mal pro Sekunde umschaltet und bei jedem Schaltvorgang kleine Verluste produziert. Diese versucht Porsche Schritt für Schritt zu reduzieren – eine echte Hightech-Aufgabe. Denn bei der Suche nach dem effizientesten Halbleiter für den Schalter bewegen sich die Ingenieure auf der atomaren Ebene. Siliciumcarbid (SiC) gilt derzeit als Material der Wahl, ein in reiner Form sehr teurer Werkstoff.

Der Verbindungshalbleiter Siliciumcarbid (SiC) eignet sich besonders gut für effiziente Schalter – im Rennsport und in der Serie.

Eine zweite Stellschraube für effizientere E-Antriebe ist das Taktmuster des Umrichters, also die Art und Geschwindigkeit, in der er schaltet. Komplexe mathematische Algorithmen bestimmen dieses Muster, und selbst kleinste Veränderungen können auf der Rennstrecke über Sieg oder Niederlage entscheiden. „Über verschiedene Generationen von Halbleitern und Algorithmen hinweg haben wir jetzt einen außergewöhnlich hohen Wirkungsgrad erreicht“, freut sich Füchtner. Bei der Weiterentwicklung von Umrichter und Maschine profitiert das Team von seinen engen Verbindungen zur Forschung. Viele Mitarbeiter kommen frisch von der Uni und bringen das neueste Wissen mit. „Ich staune immer, wie versiert sie mit hochkomplexen Themen umgehen“, lobt Füchtner.

Serien-Innovationen aus dem Motorsport

550 Spyder, 1955, Porsche AG
Synchronisiertes Fünfgang-Getriebe (1955): Porsche entwickelt für den 550 Spyder ein synchronisiertes Fünfgang-Getriebe, das schnelleres Schalten ermöglicht.
911, 1963, Porsche AG
Ab 1963 wird es auch in die Serienmodelle 911 eingebaut.
908 KH, 1968, Porsche AG
Antiblockiersystem (1968): Der Porsche 908 KH wird als Testplattform für ein erstes Anti­blockiersystem (ABS) genutzt, das stabileres Einbremsen in die Kurven ermöglicht.
928 S, 1986, Porsche AG
Ab 1983 wird ABS als Sonderwunsch, ab 1986 dann serienmäßig im Porsche 928 S angeboten.
917, 1969, Porsche AG
Aktive Aerodynamik (1969): Um mehr Anpressdruck in den Kurven zu bekommen, baut Porsche im Rennwagen 917 zeitweise bewegliche Klappen am Heck ein, die beim Einlenken ausfahren.
964, 2020, Porsche AG
Sie sind der erste Schritt zur aktiven Aerodynamik, die mit dem automatischen Heckspoiler ab der Elfer-Generation 964 in Serie geht.
962 C, 1987, Porsche AG
Porsche Doppelkupplungs­getriebe (1983): Um Gangwechsel ohne Unterbre­chung der Zugkraft zu ermöglichen, kombiniert Porsche beim Renn­wagen 956 zwei Getriebe zu einem.
911 Carrera 4, 2009, Porsche AG
Fortschritte in der Steuerungstechnik ermöglichen es im Modelljahr 2009, dieses Doppelkupplungsgetriebe erstmals in ein Serienfahrzeug einzubauen, den Porsche 911 Carrera 4.
959, 1986, Porsche AG
Geregelter Allradantrieb (1986): Mit dem 959 gelingt Porsche Anfang der 1980er-Jahre der Durch­bruch im Rallyesport, unter anderem mit einem Sieg beim Klassiker Paris–Dakar. Basis des Erfolgs ist ein programmgesteuerter Allradantrieb, der das Drehmoment flexibel auf die Achsen verteilt.
911 Carrera 4, Generation 964, 2020, Porsche AG
Ab der Elfer-Generation 964 ist er auch im 911 Carrera 4 eingebaut.
919 Hybrid, 2014, Porsche AG
800-­Volt­-Technik (2014): Nach 16 Jahren Abwesenheit kehrt Porsche 2014 mit dem revolutionären 919 Hybrid nach Le Mans zurück. Um schneller die Energie aus den Akkus abrufen zu können, legen die Ingenieure die E-Technik auf 800 Volt aus – 400 Volt waren bis dato üblich.
Taycan Turbo S, 2019, Porsche AG
Taycan Turbo S: Stromverbrauch kombiniert 28,5 kWh/100 km; CO₂-Emission kombiniert 0 g/km (Stand 08/2020) Drei aufeinanderfolgende Gesamtsiege zeigen, dass die Entscheidung richtig war. Sie wird 2019 im Taycan übernommen.

Was die jungen Talente anzieht, ist unter anderem die flache Hierarchie im Werksteam. Man kann viel experimentieren, schnell umsetzen und produktive Fehler machen. Gleichzeitig müssen sich die jungen Ingenieure keine Gedanken über Gewährleistung und die zeitlichen Vorläufe in der industriellen Umsetzung machen. Nur in einer solchen Kultur sei es möglich, in kurzer Zeit große technologische Sprünge zu machen, ist Füchtner überzeugt: „Wir haben Start-up-Charakter.“

Entscheidung für 800 Volt unterstützt

Von den Innovationen aus dem Rennsport profitiert regelmäßig auch die Serienentwicklung (siehe Kasten Seite 62/63). Ein aktuelles Beispiel: Der Porsche Hybrid 919 gewann drei Hersteller-WM-Titel sowie drei Siege beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans in den Jahren 2015, 2016 und 2017. Beim LMP war es entscheidend, dass er Energie schnell speichern und abrufen konnte. Deshalb entschieden sich die Ingenieure für eine interne Spannung von 800 statt der sonst üblichen 400 Volt. Die Erfahrungen von der Rennstrecke – insbesondere mit der hohen elektromagnetischen Abstrahlung – halfen bei der Umsetzung in der Serie. „Der LMP hat die Entscheidung für 800 Volt beim Taycan unterstützt“, so Füchtner.

Ein Tag reicht aus, um die gesetzlich vorgeschriebenen Testzyklen auf dem Prüfstand zu absolvieren.

Am meisten Anknüpfungspunkte gibt es bei der Prüfstandstechnik. Auf diesen Anlagen lassen sich einzelne Komponenten unter genau kontrollierten Bedingungen testen, ohne dass Runden auf einer realen Teststrecke gedreht werden müssen. Das spart immens Zeit. „Um die gesetzlich vorgeschriebenen Testzyklen zu absolvieren, sind im realen Fahrzeug zehn Tage nötig. Auf dem Prüfstand reichen ein Arbeitstag und eine Nachtschicht“, erklärt Christian Wiedenbrügge, Teamleiter Antriebssoftware und Applikation für batteriebetrie­bene Fahrzeuge.

Natürlich verfolgen die unterschiedlichen Teams bei den Prüfstandstests unterschiedliche Ziele. Der Rennstall würde zum Beispiel die Nordschleife des Nürburgrings simulieren, um ein Bauteil auf schnellste Rundenzeit zu trimmen, während der Serienentwickler auf der Jagd nach noch mehr Reichweite womöglich eine virtuelle Fahrt durch den Schwarzwald wählt. „Die Methoden sind jedoch die gleichen“, betont Wiedenbrügge. Beide Seiten treiben zudem die Technik der Prüfstände voran. Die Rennwagen­Ingenieure haben zum Beispiel die Temperierung der Prüflinge verfeinert, weil beim E-Antrieb jedes Zehntelgrad eine Rolle spielt. Aus der Serie kamen Verbesserungen in der Automatisierung der Prüfläufe.

Expertenkreise für den internen Austausch zwischen Rennsport und Serie

Doch man trifft sich nicht nur auf dem Prüfstand, um gemeinsam den E-Antrieb voranzubringen. Porsche hat intern Expertenkreise zu bestimmten Komponenten eingerichtet, die etwa alle acht Wochen zusammenkommen. Hier sprechen zum Beispiel Umrichter-Fachleute aus Serie und Rennsport miteinander. Das hat sich bewährt. Wenn sich die Technikexperten treffen, fangen viele Sätze an mit: „Wir haben da was, das für euch interessant sein könnte ...“. Genau das ist gewünscht. Renn- und Serienentwickler sollen beim jeweils anderen die eigenen Herausforderungen wiedererkennen und sich über mögliche Lösungen austauschen.

„Ein Großteil der Taycan-Mannschaft stammt aus dem Team, das vorher den 918 Spyder entwickelt hat." Christian Wiedenbrügge

Vielleicht ist am wichtigsten jedoch der Technologie­transfer über Köpfe. „Ein Großteil der Taycan-­Mann­schaft stammt aus dem Team, das vorher den 918 Spyder entwickelt hat“, berichtet Wiedenbrügge. Sol­che Seitenwechsel sind bei Porsche an der Tagesord­nung. So hat ein Experte für Schwingungstechnik aus der Serie den Motorsportlern geholfen, die Schwingungen an den E-Boliden in den Griff zu bekommen. Eine wichtigere Rolle spielt auch die örtliche Nähe: Das Porsche Entwicklungszentrum ist nur rund 1.000 Me­ter von der Motorsportbasis entfernt. „Wir benutzen alle den gleichen Eingang – und wir essen zusammen“, sagt Füchtner und lacht. Er weiß: So manche gute Idee für den ersten Formel­-E-­Sieg könnte in der Kantine in Weissach entstehen.

An Verbesserungsideen mangelt es bislang nicht – allerdings lassen sich noch nicht alle umsetzen. „Es wäre toll, wenn die Formel-E-Teams auch ihre Batte­rien selbst entwickeln könnten. Hier schlummert noch eines der größten Entwicklungspotenziale für elektri­sche Fahrzeuge, denn beim Antrieb sind wir schon sehr gut aufgestellt“, ist Füchtner überzeugt. „Andererseits könnte der Batteriewettbewerb der Formel E schaden, da hohe Kosten anfallen und dadurch ein verzerrter Wettbewerb entstehen würde. Wir haben reichlich Ideen für Zelltechnologien, die über eine ganze Saison halten und auch für die Serienproduktion interessant sein könnten.“

Zusammengefasst

Rennsport und Serie: Der Austausch zwischen beiden Berei­chen hat bei Porsche Tradition. Das gilt auch für E-Fahrzeuge. So hat der Taycan von den Erfahrungen profitert, die Porsche mit dem 919 Hybrid gesammelt hat. Gemeinsame Experten- kreise garantieren, dass auch künftig neue Ideen schnell zwischen Renn- und Serienteams ausgetauscht werden.

Info

Text: Constantin Gillies
Mitwirkende: Christian Wiedenbrügge, Martin Füchtner

Text erstmalig erschienen im Porsche Engineering Magazin, Nr. 1/2020.

Weitere Artikel

Verbrauchsangaben

911 Carrera 4S Cabriolet

WLTP*
  • 11,1 – 10,4 l/100 km
  • 252 – 235 g/km
  • G Klasse

911 Carrera 4S Cabriolet

Kraftstoffverbrauch* / Emissionen*
Kraftstoffverbrauch* kombiniert (WLTP) 11,1 – 10,4 l/100 km
CO₂-Emissionen* kombiniert (WLTP) 252 – 235 g/km
CO₂-Klasse G

911 Turbo S

WLTP*
  • 12,3 – 12,0 l/100 km
  • 278 – 271 g/km
  • G Klasse

911 Turbo S

Kraftstoffverbrauch* / Emissionen*
Kraftstoffverbrauch* kombiniert (WLTP) 12,3 – 12,0 l/100 km
CO₂-Emissionen* kombiniert (WLTP) 278 – 271 g/km
CO₂-Klasse G

911 Turbo S Cabriolet

WLTP*
  • 12,5 – 12,1 l/100 km
  • 284 – 275 g/km
  • G Klasse

911 Turbo S Cabriolet

Kraftstoffverbrauch* / Emissionen*
Kraftstoffverbrauch* kombiniert (WLTP) 12,5 – 12,1 l/100 km
CO₂-Emissionen* kombiniert (WLTP) 284 – 275 g/km
CO₂-Klasse G

Taycan Turbo S (2023)

WLTP*
  • 23,4 – 22,0 kWh/100 km
  • 0 g/km
  • A Klasse

Taycan Turbo S (2023)

Kraftstoffverbrauch* / Emissionen*
Stromverbrauch* kombiniert (WLTP) 23,4 – 22,0 kWh/100 km
CO₂-Emissionen* kombiniert (WLTP) 0 g/km
CO₂-Klasse A