Schließe die Augen und stell‘ dir deine Lieblingsstrecke vor. Gespickt mit Sonnenstrahlen, die sanft durch die Baumkronen brechen. Dazu weht es den erdig-moosigen Duft des Waldes durch das offene Fenster. Du schaltest zurück, gibst Vollgas und schnellst die Straße entlang ins Licht. Fahrfreude, es ist die pure Fahrfreude. Mit allen Sinnen. Genau so hat es sich für mich im Fahrschulauto angefühlt, damals als 17-Jähriger. Allerdings war das kein Porsche, sondern ein Ford Focus.
Als ich damals heimkam, lag die aktuelle evo-Ausgabe im Briefkasten, das Tor zu den kühnsten Fahranfänger-Träumen. Beim Blättern fängt das Gehirn ganz automatisch an, den drögen Sound des Fahrschulautos durch den legendären Klang des Mezger-Motors zu ersetzen. Der Grund? Die Titelgeschichte erzählt von einem grauschwarzen 997.2 GT3 RS mit Weißgoldmetallic als Kontrastfarbe.
Heute, zehn Jahre später, hat sich nicht viel geändert. Ich erwische mich immer noch dabei, wie ich mich zurücklehne und in einen Carbon-Leichtbauschalensitz träume. Auf den schönsten Straßen der Welt, statt im Büro im Meeting-Raum auf Abstand zu den Kollegen. Der einzige Unterschied zu damals: Heute brauche ich keine Fantasie mehr, um mich in den GT3 RS zu beamen. Heute und nur heute gehe ich einfach vor die Tür.
Dort steht er. Hallo Hebe.
Der Spitzname ist mit Blick auf sein Kennzeichen schnell erklärt. Aus „HBY“ wurde Hebe und jeder, wirklich jeder in der britischen Autoszene kennt diesen Namen. Seit mehr als zehn Jahren füllt Hebe nicht nur Magazin-Cover, sondern auch Poster, TV-Shows, Youtube-Specials, Instagram-Stories und Twitter-Posts. Kaum ein Presse-Testwagen hat je einen ähnlichen Status erreicht. Er ist Kult. Was nicht zuletzt daran liegt, dass der Porsche 911 GT3 RS der 997-Serie auch heute noch ein absolutes Traumauto ist.
Er hat nicht nur zahllose „Auto des Jahres“-Titel gewonnen, er zeigt auch heute noch, wie talentiert die Entwicklungsabteilung in Weissach ist. In Sachen Fokus, Gefühl und Begehrlichkeit fällt es schwer einen zeitgenössischen Gegner für Hebe zu finden. Das Alter, vor allem aber die artgerechte Nutzung von Hebe, sei es im vollen Drift mit Chris Harris, oder für die Fotoaunahmen von Top Gear und Autocar, haben ihn zusätzlich reifen lassen. Die Leichtbau-Heckscheibe ist ein wenig milchig geworden, die gelben Sättel der PCCB-Keramikbremsanlage changieren ins Orange und das Alcantara am Handbremshebel ist abgegriffen.
„Hebe kommt nur noch für besondere Anlässe und Veranstaltungen auf die Straße.“ Rob Durrant, PR-Manager von Porsche GB
„Hebe kommt nur noch für besondere Anlässe und Veranstaltungen auf die Straße“, sagt PR-Manager Rob Durrant von Porsche GB. Etwa bei der Jubiläumstour des einmillionsten 911 war er auf dem Abschnitt in den schottischen Highlands mit von der Partie. Auch auf der Isle of Man war er, als Porsche mit sechs anderen RS-Modellen die Premiere des damals neuen 911 GT3 RS feierte. Dort war es übrigens die Tourist Trophy-Legende Mark Higgins, die den Journalisten die Strecken zeigte – und drei Mal dürfen Sie raten, welches Auto Higgins wählte und die Schlüssel bis zum Ende der Veranstaltung nicht mehr aus der Hand gab.
Es fällt nicht schwer Higgins zu verstehen. Auf dem Papier, sowohl damals und vor allem heute, war der 997.2 GT3 RS nie das stärkste Auto seiner Klasse. Aber er war das leichteste, das agilste und vor allem: Er gab das meiste zurück. 2010 war eine hydraulisch unterstützte Lenkung noch Standard, Partikelfilter für Ottomotoren in weiter Ferne und aufgeladene Triebwerke in echten Sportwagen noch eine Seltenheit.
Und so liegt die Lenkung von Hebe schwer in der Hand, ist voller Rückmeldung, ja erzählt deinen Handflächen beinahe lebhaft von der Straße. Dazu kommt der Motor. Das Mezger-Triebwerk in seiner vollen Pracht zu hören, wenn sich die Nadel des Drehzahlmessers der roten Linie nähert, wird für immer etwas Besonderes bleiben. Dabei kann man der Versuchung kaum widerstehen, es immer und immer wieder auszukosten. Wenn sich sowohl Ton als auch Kraft am Ende der Drehzahlskala derart aufbäumen, dass man kaum an „nur“ 450 PS glauben mag.
Doch es wäre vermessen, die Faszination von Hebe allein über den Motor zu definieren. Es sind die Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine, Berührpunkte von perfekter Abstimmung, von präzisester Rückmeldung, die die Fahrt im 997.2 GT3 RS so besonders machen. Ob die Gewichtung der Lenkung, der perfekte Druckpunkt der Bremse oder die beinahe intuitive Führung des Schalthebels – in Hebe fühlt sich das alles phänomenal an.
Er verlangt bewusste, gar entschlossene Eingaben. Doch seine Antworten darauf sind einfach unvergleichbar. Etwa das fordernde Leerlaufsägen des leichten Schwungrads, das Geknister der aufgewirbelten Steinchen in den ungedämmten Radkästen und über allem der fast schon hysterische Schrei des Boxers bei 8500 Umdrehungen.
Eine Ausfahrt mit Hebe ist unvergesslich.
Es scheint, als sei er mehr als ein lebloses mechanisches Meisterwerk. Je länger man mit ihm fährt, ihm zuhört und vor allem je intensiver man ihn fühlt, desto mehr spürt man die lebende, atmende Maschine. Plötzlich ist da diese Verbundenheit, diese Mitteilsamkeit, diese Intimität. Sie wird stärker, je härter du ihn forderst, je stärker du ihn benutzt.
Es ist, als fordere er es von dir ab, als verlange er nach der großen Tat, um all seine Talente zeigen zu können. Und dabei gibt er dir immer das Gefühl, dass all das ohne dich nicht geht. In Hebe bist du kein Passagier, in Hebe bist du der Pilot. Und es wird keine Fahrt geben, an die du nicht zurückdenkst. Keinen Tag, an dem du keine Ausrede findest, um eine Runde mit ihm zu drehen.
In Hebe gibt es keine Ablenkung, keine Ausreden, kein PCM und keine Klimaanlage. Es gibt nur dich, das Auto und die Strecke. Nichts anderes zählt. Und das seit über 51.000 Kilometern.
Herzlichen Glückwunsch, Hebe. Bleib‘ wie du bist, denn du bist großartig!
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Autor: Zaid Hamid