Nahezu unbemerkt brach Porsche 2019 einen weiteren Rekord beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Als der 911 RSR von Project 1 die Ziellinie passierte und den Sieg in der GTE-Am-Klasse einfuhr, wurde er zum ersten Art Car überhaupt, das das wohl härteste Langstreckenrennen der Welt gewann. Ein Jahr später trafen wir Fahrer und Künstler hinter dem außergewöhnlichen Fahrzeugdesign wieder, um diesen historischen Erfolg Revue passieren zu lassen.
Der in New York lebende Richard Phillips war bereits eingefleischter Porsche-Enthusiast und Amateur-Rennfahrer, bevor er 2012 Werksfahrer Jörg Bergmeister traf. Doch ihr gemeinsamer Sieg in Le Mans lag da noch in weiter Ferne. „2012 hat die New York Times einen Artikel über meinen 911 Turbo und seinen Einfluss auf meine Kunst veröffentlicht“, erinnert sich Phillips. „Ich sagte damals, dass Menschen wie Jörg Bergmeister und Patrick Long, die ich zu der Zeit bei der American Le Mans Series verfolgte, die wahren Künstler seien. Jörg hat das gelesen und mich daraufhin zu einem Rennen im Lime Rock Park eingeladen.“
Die beiden schlossen bald enge Freundschaft. Der deutsche Werksfahrer und heutige Porsche-Markenbotschafter entwickelte eine zunehmende Bewunderung für Phillips‘ Kunst. 2013 bat er ihn schließlich, den Helm für das Le Mans-Rennen in diesem Jahr zu designen.
„Der Helm eines Fahrers hat bei den Zuschauern den größten Wiedererkennungswert, deswegen hatte ich im Laufe meiner Karriere immer sehr ähnliche Designs“, erzählt Bergmeister. „Sie waren stets rot, blau und schwarz, mit ein bisschen Gold, aber Richard kreierte mir für Le Mans ein unverwechselbares Einzelstück, das nun einen Ehrenplatz bei mir zu Hause hat. Von da an hatten wir diese fixe Idee, gemeinsam ein Art Car zu schaffen. Vergangenes Jahr fügten sich die einzelnen Puzzleteile schließlich zusammen. Für uns beide wurde damit ein Traum wahr.“
Für Phillips war dies eine einmalige Gelegenheit. „Als wir 2013 den Helm designten, kam ich nach Le Mans, um mir das Rennen anzusehen. Ich stand in der Box, betrachtete die Fahrzeug-Designs und dachte mir dort schon, wie toll es doch wäre, so etwas auch mal zu machen. Dann, im Herbst 2018, rief Jörg an und meinte: ‚Okay, Richard, die Zeit ist gekommen!‘“
Phillips kannte bereits die lange, illustre Liste von Art Cars, die in Le Mans an den Start gegangen waren, aber er war entschlossen, seinen eigenen Weg zu gehen. Dabei wollte er Aspekte aus Bergmeisters Helm als Ausgangspunkt mit aufnehmen. „Im Grunde bestanden die früheren Art Cars aus unterschiedlichen Anordnungen von Streifen, Punkten und grafischen Abbildungen. Ich aber war fasziniert von der Idee, Bilder berühmter Künstler auf dem Wagen abzubilden.“
Er zog einige seiner Werke aus den späten 90er-Jahren heran und projizierte ein komplexes zweidimensionales Design auf das Fahrzeug. Übergroße Bildausschnitte ermöglichten es den Zuschauern, das Design auch aus der bei Rennen typischen Distanz zwischen Publikum und Rennwagen zu betrachten. In Zusammenarbeit mit Porsche Digital und den deutschen Fahrzeugdesign-Spezialisten von SIGNal Design wurde das 2D-Kunstwerk in voller Größe gedruckt und anschließend mithilfe von Vinyl-Folierung und Heißluftpistolen auf das Fahrzeug aufgebracht.
„Ich wollte unbedingt ein Auto kreieren, das beim Publikum gut ankommt.“ Richard Phillips
In Vorbereitung auf seine offizielle Vorstellung vor dem Rennen im Juni 2019 wurde das Fahrzeug dem Automobile Club de l'Ouest (ACO) präsentiert. Doch etwas trieb Bergmeister noch um, das er nicht mit Phillips hatte teilen wollen. „Ich war vorher schon ein paar Art Cars gefahren, und fand es immer eine coole Idee, Richard eines gestalten zu lassen. Aber die Geschichte der Art Cars in Le Mans ist, gelinde gesagt, nicht gerade ruhmreich. Ich wollte Richard erst nach dem Rennen sagen, dass noch nie ein Art Car in Le Mans siegen konnte.“
Das Fahrzeug wurde der gespannten Presse vorgestellt und erntete großen Beifall. „Ich war mir der historischen Bedeutung der Art Cars in Le Mans durchaus bewusst, daher wollte ich unbedingt ein Auto kreieren, das beim Publikum gut ankommt“, erinnert sich der Künstler. „Als es dann enthüllt wurde und all die strengen französischen Journalisten und Fotografen, sogar die kritischsten unter ihnen, applaudierten, bedeutete mir das sehr viel.“
Doch nicht nur das: Der 911 RSR holte den Sieg – nach einem spannenden Kopf-an-Kopf-Rennen mit einem Ferrari 488, der das Rennen nach 334 Runden nur 45 Sekunden später beendete. Für Bergmeister war es ein ganz besonderer Moment: Er konnte seine letzte Teilnahme in Le Mans krönen, bevor er sich aus der Welt des Spitzen-Motorsports zurückzog, um Porsche-Markenbotschafter zu werden.
Auch für Phillips, dessen zwei große Leidenschaften sich in diesem Rahmen perfekt miteinander vereinten, bedeutete der Tag einen Höhepunkt seiner Karriere. „Jörg ist in meinen Augen der Künstler“, betont er. „Was er hinter dem Lenkrad leistet, übersteigt jede Vorstellung, und mein Ziel war es, ein Fahrzeugdesign zu schaffen, das dem gerecht wird. Als ich sah, wie sich das Auto in der Morgensonne durch die Porsche-Kurven näherte, war das ein geradezu magischer Moment. Wirklich eine ganz besondere Erfahrung.“