„Von Routine kann bei 911-Fertigung keine Rede sein“

Parallel zum Produktionsstart des neuen 911 wird in Zuffenhausen die Fabrik für den Taycan, dem ersten Elektromodell von Porsche, errichtet. Im Interview spricht Produktionschef Albrecht Reimold über die Verknüpfung von Zukunft und Tradition bei Porsche sowie die Lust am 911.

Herr Reimold, Sie jonglieren hier in Zuffenhausen derzeit mit vielen Bällen. Da ist der Aufbau der Produktion für den elektrischen Taycan, dann der Produktionsanlauf des neuen 911 und insgesamt soll die Fertigung noch effizienter werden. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Gut gefüllt! Ich habe jetzt 30 Jahre Automobilerfahrung. Und in einen Brownfieldstandort – also einem Standort in urbanem Umfeld – bei Höchstauslastung eine neue Fertigung mit neuer Technologie und neuen Prozessen zu integrieren, ist meine bislang größte Herausforderung. Und davon habe ich in den letzten Jahrzehnten bereits einige meistern dürfen. Wenn ich meine Arbeitszeit nach Anteilen aufschlüsseln müsste, würde ich sagen: 20 Prozent Unternehmensstrategie und mindestens 20 Prozent für die Produktionsvorbereitungen des vollelektrischen Porsche Taycan. Aber auch der Anlauf des neuen 911 erfordert nicht minder Aufmerksamkeit. Hinzu kommt dann noch Leipzig als großer Standort und – nicht zu vergessen – meine Aufgabe, die Mitarbeiter bei Laune zu halten.

Wie, der Produktionschef Reimold als Entertainer?

Ob man das als Entertainer bezeichnen muss, sei dahingestellt. Aber ja: Ich sehe es als große Aufgabe an, dass unsere Mitarbeiter Lust auf Porsche haben. Die Modelle von Porsche sollen ihren Käufern Spaß bereiten. Und nur, wenn unsere Mitarbeiter Lust haben und sich mit dem Unternehmen und den Fahrzeugen identifizieren, entsteht eine Kultur für lustvolle Produkte. Deshalb ist Führungskultur ein mir am Herzen liegendes Aufgabengebiet. Da nehme ich mich selbst in die Pflicht.

Ist, gemessen am Aufbau der Fertigung für den elektrischen Taycan, der Anlauf eines etablierten Modells wie des 911 so etwas wie erholsame Routine?

Nein, so läuft Produktion bei Porsche nicht. Natürlich arbeiten auch wir daran, Komplexität aus der Produktion zu nehmen. Eine Fertigung im 60-Sekundentakt ist dabei aber nicht unser Ziel, schon gar nicht beim Porsche 911. Bei den Kunden unserer Sportwagen-Ikone ist der Individualisierungswunsch extrem hoch. Das spiegelt sich natürlich in der Fertigung wider. So arbeiten wir in hohem Maß mit Lieferanten zusammen, die keine Massenproduzenten sind. Entsprechend hoch ist der Aufwand in der Auswahl, Qualitätssicherung und Steuerung, damit das perfekte Material zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort parat steht. Von erholsamer Routine kann man da auf keinen Fall sprechen.


Die großen Schlagzeilen zu Porsche gehören dem Taycan, Ihrem ersten rein elektrischen Modell. Wir machen uns da ja echte Sorgen, dass der 911 zum alten Helden wird, der den Markenwert hochhält und die Margen erzielt, die man für die Umstellung auf Elektro braucht …

Da kann ich Sie beruhigen. Jede Generation des Porsche 911 war und ist eine lkone. Und jetzt arbeiten wir intensiv und mit großem Spaß daran, mit der nächsten Generation 911 die nächste Ikone zu schaffen. Und ich bin immer wieder fasziniert, wie beliebt unsere Fahrzeuge bei der Kundschaft sind, gerade auch die Derivate wie der GT3 und der GT2. Als ich vor zweieinhalb Jahren nach Zuffenhausen gekommen bin, haben wir 200 Autos am Tag gebaut, jetzt sind es 250.

Werden Sie mit dem neuen Porsche 911 die Kapazitäten nochmals erhöhen?

Wir haben bereits in diesem Jahr einen erheblichen Schritt in Sachen Produktivitätssteigerung gemacht, um die Nachfrage aus dem Markt zu bedienen. Neben den Optimierungen in der Produktion zählten auch eine Reihe von Samstagsschichten hinzu. Wir haben eine tolle Systematik, dank der wir bereits vom Händler wissen, welche Aufträge in welcher Ausstattungslinie kommen. Dementsprechend können wir unsere Kapazitäten optimal einsetzen. Aber wir wollen nicht unsere Fertigung technisch aufbohren, um so beispielsweise auf 300 Einheiten zu kommen. Wir lassen die Linie bei 250 Einheiten und fokussieren uns darüber hinaus auf die Produktionsvorbereitungen für den Taycan.

Albrecht Reimold, Mitglied des Vorstands für Produktion, 2019, Porsche AG
Reimold: „Jede Generation des Porsche 911 war und ist eine lkone“


Wie sieht der Hochlaufplan für den neuen Porsche 911 aus?

Wir werden Ende des ersten, Anfang des zweiten Quartals 2019 wieder auf Kammlinie fahren, zuvor aber nicht wesentlich daruntergehen. Wir haben bei Porsche in den vergangenen Jahren ein bewährtes Prinzip etabliert, durch das wir allzu große Schwankungen bei Modellwechseln vermeiden. Das ist im Prinzip ganz einfach: Parallel zum Hochlauf der neuen Generation 911 lassen wird Derivate des noch aktuellen Modells – wie den Targa oder Turbo – weiterlaufen. Wir sprechen da von einer eineinhalbjährigen Überlappung. Bei dieser Vorgehensweise kann man die Produktion je nach Nachfrage wunderbar atmen lassen.

Bei der im Aufbau befindlichen Taycan-Produktion setzen Sie stark auf Fahrerlose Transport Systeme (FTS) und verabschieden sich ein Stück weit vom Band. In welchem Maß hält das System auch bei der Fertigung des 911 Einzug?

Die „Flexi-Line“ bietet riesige Vorteile in puncto Flexibilität und Investitionen; wir reden hier von Einsparungen in der Größenordnung von 30 bis 40 Prozent. Aber ein Brownfieldwerk, und um ein solches handelt es sich bei der Produktion des 911, lässt sich nicht von heute auf morgen umstellen.

Das heißt Sie bleiben mit dem 911 bei der klassischen Produktionsform?

Ja. Zum Start eines ganz neuen Automobils – wie dem Porsche Taycan – in einer komplett neu geschaffenen Fertigungsstätte bringt die Investition in eine neue Technologie einen guten Schub. Doch ein bestehendes System umzurüsten, ist nicht per se wirtschaftlich. Das mag in fünf bis zehn Jahren anders aussehen. Aber natürlich steigern wir auch mit dem neuen Porsche 911 die Produktionseffizienz noch einmal deutlich. Diese Verbesserung findet aber innerhalb des bestehenden Produktionssystems statt.


Muss man sich das in der Praxis dann vorstellen wie zwei getrennte Fabriken auf einem Fabrikgelände, in der Porsche 911 und Taycan getrennt voneinander produziert werden?

Nein, natürlich gibt es da Überlappungen. Angefangen bei den logistischen Prozessen. Zudem bauen wir eine neue Lackiererei, in der alle Modelle lackiert werden könnten. Wir haben die Produktion hoch flexibel ausgelegt, sodass sich der 911 auch in der Taycan-Montage fertigen ließe. Umgekehrt funktioniert das hingegen nicht.

Das heißt: Sollte der Taycan nicht so stark anlaufen wie erwartet, könnten Sie die Linie auch mit einem Verbrenner-Modell auslasten?

Ja, technisch haben wir uns das vorgehalten. Aber wir sind uns absolut sicher, dass es so nicht kommen wird. Nach dem Feedback, das wir aus dem Markt erhalten, dürfte die Kalkulation von 20.000 Porsche Taycan im ersten Jahr eher konservativ sein. Ich habe den Wagen selbst schon fahren dürfen und kann nur sagen: Absolut großartig! Und das wird uns von allen Seiten widergespiegelt.

Einblicke in die Porsche Produktion 4.0, 2018, Porsche AG
Reimold über den Taycan: „Die Kalkulation von 20.000 im ersten Jahr dürfte eher konservativ sein“


Apropos vorhalten: Welche Rolle spielt E-Mobilität beim Porsche 911?

Noch eine untergeordnete, denn die Kunden verlangen nach dem 911 wie er ist. Aber das eine schließt das andere nicht aus. Deshalb haben wir die Konstruktion des Modells so ausgelegt, dass eine Elektrifizierung des Antriebsstrangs, sprich Hybridisierung, möglich ist. Wir wären also „ready“ für so einen „Change“.

Was hat sich seitens der Produktion für den neuen Porsche 911 alles verändert?

Leichtbau ist ein zentrales Thema und gleichzeitig die damit zusammenhängende Umstrukturierung im Werk. Bei der Außenhaut stellen wir komplett auf Aluminium um. Und wir fertigen die Karosserien im neuen Karosserie-Bau, in dem auch die Karosserien für den Porsche Taycan entstehen. Dabei geht es um Leichtbau und Effizienzsteigerung, aber auch darum, die Außenhautqualität noch weiter zu steigern.


Ein Ihnen ganz wichtiges Thema ist ja der Aufbau eines eigenen Werkzeugbaus. Welche Rolle spielt dieser bei der Weiterentwicklung der Außenhaut?

Eine ganz entscheidende. Es ist eine wahre Kunst, die Formen eines 911 in Perfektion hinzubekommen. Da ist nichts „von der Stange“. Und Perfektion schaffen Sie nicht mit Werkzeugen von der Stange. Die Umstellung auf die Aluminiumkarosserie wäre ohne eigenen Werkzeugbau nicht machbar. Deshalb stellen wir auch sämtliche Werkzeuge bei uns im Haus her.       

Weitere Artikel