Berchtesgaden, an der Grenze zu Österreich. Während der 911 sich noch Kurve um Kurve höher Richtung Gipfel schrauben muss, ist sein Röhren längst auf dem oberen Plateau der Roßfeldpanoramastraße angekommen. Der unverkleidete Innenraum und sein Überrollkäfig leiten das metallische Kreischen des Boxermotors auch im Inneren relativ ungefiltert weiter.
Für manche in der Gegend produziert dieser nur 900 Kilogramm schwere, giftgrüne Sportwagen einfach nur einen Höllenlärm – für seinen Besitzer, Manfred Huber, spielt er die schönste sechszylindrische Ouvertüre. „Auf längeren Strecken empfehle ich aber Ohropax“, ruft der 52-Jährige freudestrahlend, hinter dem Volant sitzend, in Richtung Beifahrersitz. Obwohl Hubers Arme unaufhörlich arbeiten und vom Lenkrad zum Schalthebel und einem weiteren montierten Hebel daneben hin- und herfliegen, scheint er jede einzelne Meile dieser Fahrt zu genießen. Von Anstrengung keine Spur.
Er kurbelt das Fenster herunter, nimmt einen tiefen Atemzug bayrischer Bergluft in sich auf und dreht den Hebel fürs Gaspedal noch ein Stück weiter auf. Huber dirigiert den Sportwagen so, wie es ihm passt. Ohne Unterstützung. Ohne Automatik. Ein Blick an ihm herunter und die ungewöhnliche Hebelkonstruktion direkt neben der herkömmlichen Gangschaltung erklärt sich von selbst. Es ist Hubers direkte Verbindung zur Pedalerie des Porsche. Denn zwischen Fahrzeugboden und ihm klafft eine Lücke. Manfred Huber ist beinlos auf die Welt gekommen. Doch deswegen auf den Genuss zu verzichten, einen Porsche zu fahren, stand für den gebürtigen Bayer nicht zur Option.
Im Gegenteil, er will den Sportwagen ungefiltert: „Ein automatisches Getriebe kommt für mich und diesen luftgekühlten Elfer nicht in Frage. Das passt einfach nicht zusammen“, erklärt Huber und verwinkelt dabei seine großen Hände ineinander. „Deswegen habe ich diesen zweiten Hebel angebracht. Er bedient Gas, Bremse und Kupplung. Daheim habe ich zwar noch ein 991 Cabrio mit Tiptronic, aber der ist nur für längere Fahrten mit meiner Frau gedacht.“
An der ersten scharfen Rechtskehre der Roßfeldpanoramastraße, die nach einem deutschen Rallyefahrer benannte Regerkurve, vollbringt Huber ein kleines Kunststück: Er betätigt per Hebel gleichzeitig das Brems- und Gaspedal und driftet so durch die spitze Kehre. Wie in einem Lehrstück.
Während der linke Arm das Lenkrad umgreift und er stark einschlagen muss, konzentriert sich sein rechter Arm ausschließlich auf die beiden Hebel. Huber wird so noch ein paar Kurven auf dem Weg zum Gipfel gekonnt durchfahren, um den Porsche oben schließlich zum Stehen bringen.
Auf dem Parkplatz öffnet er die Tür, schwingt sich aus seinem 911 und geht auf Händen über das Kopfsteinpflaster zur nächsten Bank. Er schwingt sich auf sie, schaut über die atemberaubende Bergwelt der Berchtesgadener Alpen, seiner Heimat, hinweg und erinnert sich zurück: „Das mit Porsche und mir, das fing früh an. Als Teenager spielte ich mit ein paar Freunden unten im Dorf und irgendwann hörte ich plötzlich dieses motorsägenähnliche Kreischen. So etwas hatte ich zuvor noch nie gehört. Kurze Zeit später erschien dann auch der Porsche auf der Bildfläche. Seitdem ist's mit mir geschehen“, erzählt Huber mit strahlenden Augen.
Von diesem Moment an brannten sich die drei Ziffern in den Kopf des Bayern ein: 911. Von da an ging alles ganz schnell. Eine vermeintliche Karriere in der Bank schmeißt Huber irgendwann desillusioniert hin und eröffnet, um seinem Traum endlich ein Stück näher zu kommen, die eigene Werkstatt. Im Kuhstall der Eltern und ohne Heizung formt er an seiner Version einer Restaurationswerkstatt, die später auf den Namen „Oldiegarage“ hören wird. Nebenher absolviert er noch eine Ausbildung zum Kraftfahrzeugmechaniker.
Ihn, den Mann ohne Beine, wollen viele nicht ernst nehmen. Einige wollen ihm helfen, manche legen ihm sogar Steine in den Weg. Doch Huber hat sein Ziel fest vor Augen und er will es möglichst alleine dorthin schaffen. Wenn's sein muss auf Händen. Sogar sein Haus baut er sich irgendwann selbst.
„Nach einer gewissen Zeit sprach sich die Qualität meiner Arbeit herum und ich konnte mir mit 29 Jahren von meinem ersten hart verdienten Geld endlich einen Porsche 911 leisten“, erzählt Huber. Ein F-Modell, Baujahr 1972, in Blutorange und dem seltenen Öleinfüllstutzen mitten auf der Haube. "Wie so viele andere machte ich den Fehler und verkaufte ihn. Mein nächstes Modell war dann dieser 911 T, den ich bis heute habe und so schnell nicht wieder verkaufen werde."
Huber optimierte den Porsche noch ein Stück weit, bis er seinen Ansprüchen genügte auch mal eine Rallye oder ein Bergrennen zu bestreiten. Er nahm dem 911 unnötigen Ballast und verpasste dem Motor noch mehr Hubraum, bis er 200 PS entwickelte. Unter Walter Röhrl lernte er schließlich noch das Driften. Ein stiller Gruß des Rallyeweltmeisters prangt auf dem Tankdeckel.
Eigentlich hätte Manfred Huber nach allen Strapazen seines Lebens Gründe genug, nur an sich zu denken. Doch auch hier meidet der gebürtige Bayer den bequemen Weg. Auf dem abgesperrten Flugplatz im österreichischen Zell am See zum Beispiel realisierte er eine Ausfahrt für elf körperlich und geistig schwer behinderte Menschen.
Mit dem Ex-Fußball-Nationalspieler Paul Breitner unterstützte Huber ein Hospiz für krebskranke Kinder am bayrischen Chiemsee. Er hat noch lange nicht genug. Und es gibt für ihn auch keinen Grund auf sein Lebenswerk schauend so etwas wie Stolz durchblicken zu lassen. „Ich hätte es mit Beinen nicht anders gemacht“, beschließt Huber, schwingt sich vor dem Alpenpanorama seiner Heimat in den 911 und verabschiedet sich mit dem markanten Röhren hinab ins Tal.
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