Stellen Sie sich vor, Sie überqueren drei Tage hintereinander die schönsten Alpenpässe Europas, in bester Gesellschaft und am Steuer eines klassischen Oldtimers. Und um dem Abenteuer noch mehr Würze zu verleihen, biegen Sie von den Hauptstrassen immer wieder auf Nebenstrecken ab, die mit zahlreichen Zuverlässigkeitsprüfungen auf Sie warten. Der authentische Zauber dieser Geschicklichkeitsprüfungen, bei denen Ausdauer, Präzision, aber auch Fahrfinesse gefragt sind und die irgendwo zwischen Wettbewerb und touristischer Entdeckung liegen – die Gewichtung dieser beiden Aspekte hängt ganz davon ab, welchem Sie persönlich mehr Raum geben wollen – ist in der Tat der Schlüssel zum Wachstum und Erfolg dieser Art von Rallyes.
WinterRAID hat sich inzwischen als eine der beliebtesten Winterveranstaltungen etabliert. Die Rallye ist in ihrer mittlerweile 17. Ausgabe Mitte Januar dieses Jahres von St. Moritz aus gestartet – auch dieses Mal wieder mit unterschiedlichen Routen und Strecken. Genau das macht den besonderen Reiz für die Fahrerteams aus: Sie werden so immer wieder aufs Neue verzaubert. Verzaubert durch das makellose Weiss der schneebedeckten Felder, die trockene Kälte und die sanfte Wintersonne, die alles zum Strahlen bringt, wenn sie durch die Wolkendecke bricht. Verzaubert aber auch durch all das Eis und den Schnee auf den Alpenpässen sowie während der zahlreichen Zuverlässigkeitsprüfungen, die an Bord der Oldtimer und ganz ohne elektrische Fahrhilfen zu meistern sind. Faszination über Faszination. Und bei all dem rücken vor dieser malerischen Kulisse Porsche-Modelle zunehmend in den Vordergrund: Unter einem Starterfeld von knapp 40 Fahrzeugen befanden sich bei der 2020er-Rallye zehn Porsche.
Unter der Leitung von Hans André Bichsel und der perfekten Kombination aus einzigartiger Kreativität und der notwendigen akribischen Vorbereitung jedes einzelnen Details, ist es dem Organisationsteam gelungen, mit der diesjährigen WinterRAID-Route die grossartigsten Alpenpanoramen auf der 1.000 Kilometer langen Rundstrecke mit Start und Ziel in St. Moritz einzufangen. So führt die Route zunächst über Bozen mit anschliessender Überquerung der „klassischen“ Dolomiten über Canazei, San Martino di Castrozza und dann weiter von den Höhen des Monte Grappa hinunter ans Meer, dann durch die stillen Seitentäler des Veltlin wieder die Alpen hinauf, um schliesslich von Süden her den legendären Malojapass zu bezwingen und in der Via Maistra im historischen Zentrum der prestigeträchtigen Bergstadt des Engadins ins Ziel zurück zu kehren.
WinterRAID ist mehr als ein Wettbewerb: Alte Hasen und Debütanten finden sich hier schnell zu einer offenen, gleichberechtigten und kameradschaftlichen Gemeinschaft zusammen. Zahlreiche und dauerhafte Freundschaften sind bei dieser Veranstaltung über alle Grenzen des internationalen Geistes hinweg bereits entstanden.
Natürlich mangelt es gleichzeitig keineswegs an sportlichem Engagement: Entlang der Route finden immer wieder Wertungsprüfungen statt, bei denen eine bestimmte Strecke in einer festgelegten, auf die Hundertstelsekunde genau berechneten Zeit zurückgelegt werden muss. Spezielle Gummischläuche auf dem Asphalt, die mit den Zeitmessgeräten des Zeitnehmerteams verbunden sind, ermitteln die Durchfahrtszeit jedes Fahrerteams. Die Fahrerteams bestehen aus einem Fahrer und einem Co-Piloten, dem die wichtigen Aufgaben zukommen, das Roadbook zu führen und dem Fahrer die genauen Angaben über die zu fahrende Strecke und die Abstände der Zeitmesstests zu liefern. Ausserdem bedient der Co-Pilot die Stoppuhr und muss dabei die entsprechende Geschwindigkeit im Auge behalten.
Ein Kinderspiel? Ganz im Gegenteil, wie uns Bichsel erklärt, als wir uns unter das Publikum mischen, das gerade lautstark die Ankunft der Fahrerteams in St. Moritz begrüsst: „In diesem Jahr hat der eigentliche Hauptdarsteller grösstenteils gefehlt: Der Schnee, der dafür sorgt, dass das sowieso schon anspruchsvolle Fahren mit Oldtimern ohne elektronische Hilfsmittel noch schwieriger wird. Die geheimen Prüfungen fordern aber auch so mentale Höchstleistungen – alleine schon, um alle Navigationselemente zu koordinieren. Neben dem Schnee ist doch das Abenteuer der eigentliche Hauptdarsteller eines jeden WinterRAID.“ Urs Zünd, Geschäftsführer des Porsche Zentrums Maienfeld, der mit seinen Oldtimer-Modellen schon häufig an der Veranstaltung teilgenommen hat, weist uns auf einen weiteren wichtigen Faktor des WinterRAID hin: „Konzentration und nochmals Konzentration. Viele Fehler entstehen aufgrund mangelnder Konzentration und weil immer ein paar Details vergessen werden, wenn Fahrer und Co-Pilot unzählige Einflussfaktoren gleichzeitig interpretieren müssen. Ein Beispiel: Man betätigt die Stoppuhr, liest das Roadbook und oft muss man dann auch noch die Durchschnittsgeschwindigkeit im Auge behalten – und das alles zur gleichen Zeit.“
Es gibt noch weitere anspruchsvolle Prüfungen, die es zu bestehen gilt, wenn man in der Gesamtwertung gut abschneiden will: „Die Wertungsprüfungen werden einzeln gefahren, wobei die für die jeweiligen Strecken erzielte Durchschnittszeit gestoppt wird. Wertungen finden aber auch auf spezifischen Strecken mit Kegeln statt, die fahrerisches Können und genau abgestimmtes Gangschalten erfordern. Zudem gibt es Navigationsprüfungen zu versteckten Zielen, bei denen wie bei einer Schnitzeljagd Hinweis für Hinweis gesucht werden muss.
Bei jeder Schwierigkeit kommt es auf die perfekte Zusammenarbeit zwischen Fahrer und Beifahrer an.“ Die Wahl des Autos ist zwar wichtig – noch wichtiger aber ist die richtige Vorbereitung des Autos. Zünd erklärt: „Wir fahren am liebsten die zwischen 1975 bis 1991 gebauten Modelle 924 und 944, die ersten Porsche mit wassergekühltem Frontmotor und Transaxle-Getriebe. Bei dieser Form des Hinterradantriebs sind Getriebe, Differential und Achsantrieb für eine bestmögliche Gewichtsverteilung in einem gemeinsamen Gehäuse untergebracht. Diese Modelle werden mit ihrem 30. Geburtstag als Oldtimer immer beliebter.
In diesem Jahr haben wir mit Co-Pilot André Batliner an Bord eines martinifarbenen Porsche 924 S teilgenommen, der mit einer speziellen Federung, einem Überrollbügel, Rennsitzen und einer zusätzlichen Instrumentierung für Zuverlässigkeitsfahrten gemäss den für diese Art von Veranstaltung erforderlichen FIA-Spezifikationen komplett umgerüstet worden war. Ausserdem gibt es spezifische Anforderungen des Veranstalters, zu denen beispielweise die Schneekettenpflicht und das Ersetzen der regulären Scheinwerfer durch spezielle Elemente gehört.“
Der Mythos lebt: Der nächste WinterRAID findet vom 13. bis 16. Januar 2021 statt und führt durch die spektakulärsten Szenerien der Alpen und der Dolomiten. Start- und Zielort wird Seefeld in Tirol sein. Und vielleicht schneit es diesmal sogar.
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche-Magazin Christophorus, Nr. 397.
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