Die Bedingungen für die Konstruktion eines Automobils waren alles andere als einfach. Denn als im Oktober 1944 erste Bomben auf das Gelände des Konstruktionsbüros Dr. Ing. h.c. F. Porsche GmbH in Stuttgart fielen, musste das damals schon erfolgreiche Unternehmen umziehen. Die Wahl fiel auf Gmünd, tief in Kärnten, wahrlich am Ende der Welt. Eine Zufahrt war nur von Süden über Klagenfurt möglich. Andererseits: Es herrschte dort auch Ruhe vor den Kriegswirren, keine Bomben, keine Armeen, nur Feld, Wald und Wiesen. Etwa die Hälfte der über 600 Mitarbeiter in Stuttgart zog innerhalb weniger Wochen im November 1944 in die österreichische Idylle um. Und dort arbeitete man zuerst einmal weiter. Man besann sich auf alte Ideen, die noch irgendwo in einer Schublade lagerten. Traktoren und andere landwirtschaftliche Geräte waren schon immer ein Lieblingsthema von Ferdinand Porsche gewesen.
Im Sommer 1947 entstanden erste Konstruktionszeichnungen mit der Konstruktionsnummer 356 – noch unter der Bezeichnung „VW Zweisitzer Sportwagen"; die ersten Skizzen dafür mussten schon vor diesem Datum entstanden sein. Und da kommen nun die Schweizer ins Spiel: Der Schweizer Hochbauzeichner Rupprecht von Senger hatte noch im Krieg in St. Moritz den Anwalt Dr. Anton Piech und dessen Gattin Louise, Tochter von Ferdinand Porsche, kennengelernt und im August 1946 eine Limousinen-Studie bei der Porsche Konstruktions Ges.m.b.H in Auftrag gegeben (Auftragsnummer: Typ 352).
Es macht aber den Eindruck, dass in den Köpfen der Porsche-Entwickler die Idee des 356 schon vorhanden war – und so überzeugte man von Senger, sich für den projektierten Sportwagen zu interessieren. Von Senger versprach, 100‘000 CHF in das Projekt zu investieren. Allerdings hatte er die Mittel nicht, fand jedoch im Zürcher Hotelier und Geschäftsmann Bernhard Blank einen Geldgeber, der die Summe in das Projekt gab.
Im September 1948 sah Blank von Senger und Dr. Piech zufällig auf der Zürcher Bahnhofsstrasse: Dabei stellte sich heraus, dass von Senger Porsche den wahren Geldgeber verschwiegen hatte. Damit war der Hochbauzeichner (der dann in den 1960er-Jahren im Engadin als Architekt doch noch zu Berühmtheit und Wohlstand gelangte) aus dem Geschäft, Blank und sein Zürcher Garagenbetrieb übernahmen den Vertrieb der ersten sechs (von 52) in Gmünd gebauten Fahrzeuge, organisierten auch den ersten Auftritt auf einer Messe, dem Genfer Auto-Salon im Frühling 1949. Überhaupt waren die Verbindungen in die Schweiz sehr wichtig: Nicht nur Devisen wurden geliefert, sondern auch Instrumente und Materialien.
Doch zurück zur Nummer 1: Die Konstruktion war mit Gitterrohrrahmen, Mittelmotor, Leichtmetallkarosserie aufwendig. Das Getriebe, die Hinterachse, die Vorderachse, die Lenkung, die Räder und die Bremsen stammten vom Volkswagen. Im März 1948 wurden die ersten Probefahrten mit dem Fahrgestell gemacht, im April wurde noch an der Karosserie gearbeitet. Am 8. Juni 1948 erhielt der Prototyp Nr. 1 mit einer Einzelgenehmigung die Zulassung für Österreich. Die interne Typenbezeichnung lautete: Sport 356/1. Dieses Fahrzeug erhielt am 15. Juni 1948 das berühmte Kennzeichen „K45 286“.
Der Sport 356/1 war dann schon am 4. Juli 1948 anlässlich des Grossen Preis von Bern in der Schweiz und wurde von diversen Journalisten getestet. Der erste Fahrbericht über einen Porsche erschien in der Automobil Revue in der Ausgabe vom 7. Juli 1948. Am 7. September 1948 erlangte Porsche die Export-Lizenz und danach wurde der 356-001 in der Schweiz verzollt; als Karrosserieform wurde „Torpedo Sport" eingetragen.
Am 16. Dezember erfolgte die technische Abnahme in Zürich. Nachdem einige kleine Mängel an der Beleuchtung behoben worden waren, erhielt die Nummer 1 am 20. Dezember 1948 die Zulassung und die Kontrollschilder „ZH 20640“. Damit war dies der erste offiziell zugelassene Porsche. Erster Käufer war Peter Kaiser, ein in Zürich wohnhafter deutscher Architekt. Er bezahlte für das Fahrzeug den exorbitanten Preis von 7‘500 CHF.
Unfall mit sechs Nonnen
Die Nummer 1 hat ein wildes Leben hinter sich. Es grenzt an ein Wunder, dass das Fahrzeug heute noch existiert und sich im Besitz des Porsche Museums in Stuttgart befindet. Nach Kaiser gehörte der Wagen unter anderem Fräulein Rosemarie Muff, welche die schlechte Beleuchtungsanlage bemängelte – wohl deshalb, weil sie ihrer Beschäftigung vorwiegend nachts nachging. Einem späteren Besitzer krachte bei einem Ausflug über den Gotthard ein Opel ins Heck – aus dem sogleich sechs Nonnen ausstiegen, die sich erschüttert bekreuzigten. Die Versicherung kam für den Schaden auf – und mit dem Geld wurde der Wagen „modernisiert“. Das erklärt auch, weshalb das Fahrzeug, das dann nach weiteren Umwegen 1958 in den Besitz von Porsche kam, ziemlich anders aussieht als noch auf den ersten Bildern aus Gmünd.
Mit der Nummer 1 durch die Berge
Er ist so hübsch, der erste Porsche. Und winzig: nur 3,86 Meter lang, 1,67 Meter breit, 1,25 Meter hoch, weniger als 600 Kilogramm schwer. Der Roadster verfügt über einen Mittelmotor, eine Maschine aus dem VW Käfer, zu Beginn mit nur 1,1 Litern Hubraum, aber immerhin 35 PS stark. Alle späteren 356 und selbstverständlich auch die Porsche 911 wurden dann von einem im Heck eingebauten Motor angetrieben. Das Motorengeräusch klingt vertraut, das typische Boxer-Rasseln – aber wild ist anders.
Jan, ein junger Mann aus der Werkstatt des Porsche Museums, sitzt am Steuer – und wir dürfen auf einer Bergstrecke hinter Fribourg mitfahren. Und man ist schon auf den ersten Metern überrascht, wie agil der kleine Wagen ist. Einverstanden, Jan kennt die Nummer 1, er kennt die Probleme („er mag es nicht, wenn er zu langsam hinter einem anderen Fahrzeug herkriechen muss“), die Angst des Wagens vor warmen Temperaturen („er neigt dann bald zu Blasenbildung“) und andere technische Schwierigkeiten („der erste und zweite Gang sind nicht synchronisiert“) – und so treibt er das wertvolle Einzelstück mit einem Lächeln den Berg hoch. Auch dort kennt der 356/1 keine Probleme, in den Serpentinen rutscht das Heck sehr bald („die Reifen waren damals so unglaublich schmal“), aber auch das hat Jan im Griff. Bergab lässt er allerdings reichlich Respektabstand zum Vordermann, denn die Bremsen sind nicht ganz so, wie man das heute gewohnt ist. Aber alleine schon die Mitfahrt ist nicht nur eine grosse Ehre, sondern auch eine wahre Freude.
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche-Magazin Christophorus, Nr. 389.
Copyright: Alle in diesem Artikel veröffentlichten Bilder, Videos und Audio-Dateien unterliegen dem Copyright. Eine Reproduktion oder Wiedergabe des Ganzen oder von Teilen ist ohne die schriftliche Genehmigung der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG nicht gestattet. Bitte kontaktieren Sie newsroom@porsche.com für weitere Informationen.