Da steht er. Schemenhaft erkennen wir seine Umrisse neben einigen von Planen bedeckten Rennfahrzeugen. Auch er war einst ein Rennwagen. Nun ist er ein nacktes Fahrgestell mit unbestimmter Farbe, teils rot – das, was in verwittertem Zustand von der letzten Lackierung übriggeblieben ist – und teils braun – die Farbe des Rostes, der ihn zerfrisst. Mit einem Rollgestell bringen wir ihn ins Licht, um ihn besser begutachten zu können.
Auf den ersten Blick scheint sein Zustand hoffnungslos zu sein: Die Vorstellung von Rostfrass reicht nicht aus, um den Boden zu beschreiben, der so grosse Löcher hat, dass unsere Beine hindurchpassen würden. Das Metall ist an mehreren Stellen verschwunden und die anfängliche Begeisterung wandelt sich allmählich in Enttäuschung und Bitterkeit. Doch wenn man genauer hinsieht, ist da nichts, was nicht durch ein paar neue Bleche und ein gutes Schweissgerät wiederhergestellt werden kann: Der grösste Teil der Karosserie ist gesund, einschliesslich Dach und Seitenteile. Das ist doch schon etwas.
„Dieses Fahrgestell sieht aus, als warte es darauf, wieder mit Leben erfüllt zu werden und Rennen zu fahren.“ Elio Rusca
Wir machen ein paar Fotos, um festzuhalten, wie wir ihn hier, in den Räumen im Untergeschoss des Porsche Zentrums Lugano, vorgefunden haben. Einem Passanten könnte dieser Anblick wie eine Autopsie erscheinen: die Werkstatt als Leichenhalle, wo die Spurensicherung in Erwartung des Gerichtsmediziners Fotos vom Leichnam macht. Doch ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass dieses Chassis ein Gefühl der Unabwendbarkeit und des Todes vermittelt. Im Gegenteil: Es scheint sich nichts sehnlicher zu wünschen, als ins Leben zurückzukehren. Es verlangt förmlich nach einer Karosserie und Rädern, um wieder Rennen fahren zu können.
Nach seiner Wiederentdeckung galt es, Nachforschungen über den Wagen anzustellen und seine Geschichte in Erfahrung zu bringen. Genau darum kümmerte sich das Porsche Zentrum im Tessin. Über das Kennzeichen und die Fahrgestellnummer wurden die Vorbesitzer ermittelt und eine spannende, von Rennen und verschiedenen Besitzerwechseln geprägte Vergangenheit aufgedeckt.
Das Fahrzeug, das sich nahezu die gesamte Zeit in Italien befunden hat, wurde wahrscheinlich im Jahre 1984 ins Belpaese eingeführt und genau mit diesem Fakt trat die Wahrheit über seine Herkunft wie ein Blitz aus heiterem Himmel zutage. Es wurde eine undenkbare Entdeckung gemacht: Bei einer genauen Prüfung der Fahrgestellnummer, die jede Art von Betrugsversuch aufgedeckt hätte, wurde festgestellt, dass unter diesem verblassten, schmutzigen, roten Kleid ein Porsche 911 Carrera RS 2.7 Sport steckt.
Der Carrera RS 2.7 Touring ist mit seinen nur 1590 gebauten Exemplaren bereits für sich genommen eine Rarität. Doch als Sportversion, in der leichteren Ausführung, wurden nur 200 Exemplare produziert. 210 PS, Sechszylinder-Boxermotor mit 2687 cm3 Hubraum und ein Gewicht von 975 Kilogramm – 100 Kilogramm weniger als der Touring. Unter Verzicht auf die Rücksitze lud er mit zwei herrlichen Recaro-Schalensitzen dazu ein, Platz zu nehmen. Ein hartnäckiges Streben nach Leichtigkeit führte dazu, dass sogar die Uhr, der Sonnenschutz für den Beifahrer und die Armlehnen an den Türen weggelassen, die Karosseriebleche verschmälert, eine kostenintensive Glaverbel-Scheibe eingesetzt und auf den Geräuschschutz verzichtet wurde. Schliesslich war der Wagen für Rennfahrer vorgesehen, die für all das keine Verwendung hatten. Ohne den momentanen Wert des Fahrzeugs zu berücksichtigen, wird er – wie mehrere internationale Auktionshäuser bestätigt haben – nach seiner Restaurierung mindestens eine Million Schweizer Franken wert sein.
Die Nachforschungen zu diesem speziellen Exemplar waren anspruchsvoll und aufwendig: Zu viel Zeit ist vergangen, zu viele Aufmachungen wurden gewechselt, so viele, dass selbst der Journalist und Co-Pilot Emanuele Sanfront, der vielleicht sogar an der Seite von Bobo Cambiaghi darin gefahren ist, nicht alle Details des Fahrzeugs rekonstruieren kann, das sich so oft verändert hat. Umso mehr, da dieser spezielle RS 2.7 vor 1984 nie ein Kennzeichen erhielt, was die Reise in seine Vergangenheit noch zusätzlich erschwerte.
Ein weiterer Co-Pilot, Gianfranco Di Gennaro, erinnert sich gut an das Fahrzeug: Zur Varese Rallye war es weiss mit einem Regenbogen, der von der Front bis zum Heck an den Seiten entlang verlief. Der FIA-Ausweis jenes Jahres und die Fotografie mit dem Autogramm von Cambiaghi bestätigen dies. Ebenfalls von 1985 sind die Aufnahmen der Rallyes in Mantua, Monza und der „Rally dello Zoccolo“, doch da war der Carrera Sport gelb. Dasselbe Erscheinungsbild hatte er auch noch bei der Rallye im Aostatal 1987.
Als er, seinem Schicksal überlassen, wiederentdeckt wurde, war er rot. Wer weiss, wie oft ich durch Malnate in der Provinz Varese gekommen sein mag und vielleicht die Mauer berührt habe, hinter der der 911 wartete und vor sich hin alterte auf seinen nunmehr abgetakelten Rädern, mit dieser vierten, möglicherweise x-ten, roten Farbschicht, die immer mehr verblasste, je mehr die Witterung Jahr für Jahr die Karosserie angriff.
Zwanzig lange Jahre verbrachte er so und niemand bemerkte, um welchen Wagen es sich in Wirklichkeit handelte. Denn er sah aus wie ein 911 SC, von denen es zu Beginn der 1980er-Jahre recht viele gab. Ein Fahrzeug, das, wie man an den Felgen und der Innenausstattung, den Sitzen und dem Lenkrad mit versenkter Nabe erkennen konnte, an Rennen teilgenommen hatte, vielleicht an irgendeinem lokalen Rennen. Das Auto hätte durchaus interessant sein können, aber nicht in diesem Zustand: Eine Restaurierung wäre sicherlich teurer gekommen als sein Wert.
Doch schliesslich kommt ein Käufer mit Weitblick und nimmt alles mit, Ersatzteile eingeschlossen. Es fehlen nur der Motor und das Getriebe. Dieser Mann fuhr durch die gleiche Strasse, durch die ich so oft gefahren war, aber offensichtlich muss er etwas vernommen haben, das mir entgangen ist: der Lockruf dieses Porsches. Er ist ein Kenner, ein echter Porsche-Liebhaber, der im Alltag einen 993 Turbo fährt. Doch was hatte er vor mit dem, was viele auf den ersten Blick als „Schrott“ bezeichnen würden? Hatte er vielleicht ein Projekt für einen Rennwagen im Kopf? Nicht im Traum.
Doch die eigentliche Frage lautete: Lohnt sich nun eine fachgerechte Restaurierung dieses Wunderwerks oder nicht? Natürlich lohnt sie sich. Und sie wird nun eigens vom Porsche Zentrum Lugano vorgenommen. Schliesslich hat der etablierte Vertragshändler im Tessin nunmehr die nötige Erfahrung, wie durch den 930 Turbo gezeigt wurde, der wieder in den Zustand eines Ausstellungsstücks gebracht und beim Concours d’Elégance des letzten Porsche Treffen Mollis stolz präsentiert wurde. Für diesen RS 2.7 Sport werden mindestens acht Monate Arbeit erforderlich sein. Das Ziel? Das Projekt beim nächsten Porsche Treffen Mollis im Sommer 2020 zu präsentieren.
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche-Magazin Christophorus, Nr. 391.
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