Chianti Classico? No grazie, signora, lieber ein acqua minerale. Nein, nichts gegen den legendären toskanischen Rotwein mit dem Gallo Nero auf dem Etikett, den die Eltern früher in fröhlichen Runden zu Pasta und Weltverbesserungsgesprächen aus der fiasco genannten Korbflasche getrunken haben. Doch gleich im Anschluss an das Mittagessen in der traditionellen Trattoria da Burde soll es von Florenz schliesslich in jenes Gebiet gehen, dem der legendäre Rotwein seinen Namen verdankt. Und zwar promillefrei, am Steuer des neuen Porsche 911 Carrera S Cabriolet mit 450 PS starkem Biturbo-Boxermotor und bis zu 530 Nm auf den Hinterrädern, blitzschnell schaltend mit dem Achtgang-PDK und – ganz wichtig bei den lauen Temperaturen 480 Kilometer südlich des Gotthards – einem Stoffverdeck.
Kaum auf der berühmten Weinroute Via Chiantigiana (Strada Statale 222) in Richtung Siena angelangt, erschliesst sich, was der Toskanareisende verpasst, wenn er es beim Chianti im Glas belässt: eine Postkartenlandschaft von überwältigender Schönheit mit sanften Hügeln, silbern glänzenden Olivenhainen, Spalier stehenden Zypressen, prachtvollen Bauten wie in der Kulisse eines historischen Films und natürlich mit Weinbergen, wohin das Auge reicht. Die flächendeckenden Eichen-, Buchen- und Kastanienwälder erwecken inmitten dieser geschichtsträchtigen Kulturlandschaft den Eindruck einer unberührten Natur. Durch all das winden sich aber Strassen, die einen auch ohne den Genuss eines Weines in einen Rausch versetzen. Die 893 Meter des Monte San Michele als höchste Erhebung der Region mögen wir in der Schweiz belächeln, dabei nimmt es das kurvige Auf und Ab im Chianti mit jedem Alpenpass auf.
Je weiter man sich von Florenz entfernt, desto enger werden die Kehren, desto anspruchsvoller die Steigungen und desto deutlicher wird auch, weshalb der neue 911 mit seiner breiten Spur und ultrapräzisen Lenkung noch immer das fahrdynamische Mass der Dinge ist. Dass der Strassenbelag nicht überall perfekt ist, weckt selbst im Sportmodus mit straffer Dämpfereinstellung nicht die Befürchtung, einen örtlichen Zahnarzt oder Orthopäden aufsuchen zu müssen. Gut ist ausserdem, dass die Bremsen sehr scharf sind, denn auch wenn wir bei gemässigtem Tempo unterwegs sind: Die Eichhörnchen und Hasen sind es nicht!
Gewiss liesse sich die Fahrt auch im Coupé geniessen – und doch spricht so vieles dafür, es jenen 42 Prozent aller Schweizer 911-Käufern gleichzutun, die sich seit 2008 für die Open-Air-Version entschieden haben. Dank der neuen Hydraulik ist das eben noch hervorragend dämmende, sich auch bei hohen Tempi nicht aufblähende Dach in gerade mal 12 Sekunden geöffnet und der Himmel über der Toskana so nah, der Fahrtwind so belebend, klingt das Geräusch des Boxers ungefiltert im Ohr. Nicht zu vergessen: Als Cabriofahrerin kann es einem passieren, dass man an einer Ampel einen Heiratsantrag zugerufen bekommt. Wenngleich es sich angesichts des muskulösen Gefährts mit seiner ikonischen Silhouette, dem nahtlos feinen Leuchtenband am Heck und dem charakteristischen Sound natürlich nicht lohnt, sich allzu viel darauf einzubilden.
Die Qual der Zwischenstoppwahl
So wenig man sich bei einem Kurztrip an der Toskana sattsehen oder seinen Kurvenhunger stillen kann, so lohnt es doch, gelegentlich den Wagen zu parkieren und die fast immer autofreien Dorf- und Stadtzentren zu Fuss zu erkunden. Einen ersten Stopp auf der Weinstrasse ist Greve in Chianti wert, das kommerzielle Zentrum der Region: auf den ersten Blick unspektakulär, aber mit einer pittoresken Piazza und Arkaden voller Geschäfte, darunter die berühmte Antica Macelleria Falorni mit der womöglich besten Salami der Welt.
18 Kilometer südöstlich über die Provinzstrasse Strada Provinciale 2 laden dann die mittelalterlichen Gassen des als „Seele des Chianti“ bezeichneten Radda zum Flanieren ein. Bei Gaiole am Fluss Massellone startet wiederum die Strada Dei Castelli Del Chianti (Strada Provinciale 408), die romantische Burgen und Schlösser miteinander verbindet – etwa das auf einem Hügel thronende Castello di Brolio, das seit seinen langobardischen Anfängen mehrmals angegriffen, zerstört und im Stil der jeweiligen Epoche liebevoll wieder aufgebaut wurde.
Und wo wir schon bei 1.000 Jahre alten Bauwerken sind: Warum nicht in einem solchen übernachten? Unweit von Siena präsentiert sich das aus dem 11. Jahrhundert stammende, wunderschön restaurierte Castel Monastero als luxuriöser Rückzugsort mit riesiger Spaanlage und zwei Spitzenrestaurants, die das Beste aus der toskanischen Küche servieren. Wenn dann Dunkel in den Sonnengarten Italiens eingekehrt ist, darf die Antwort dann auch Sì lauten. Sì, signora, gerne ein Glas dieses berühmten toskanischen Rotweins.
Von hier aus gäbe es am nächsten Morgen noch sehr viel mehr zu entdecken: Das zu Unrecht im Schatten von Florenz stehende Siena mit seiner Piazza del Campo beispielsweise, dessen traditionelles Pferderennen Palio zwei Mal jährlich im Sommer Tausende von Besuchern anlockt. San Gimignano, die Stadt der Türme. Oder – auf den Spuren der Etrusker – die malerischen Orte Sovana, Pitigliano und Volterra.
Doch was tut man, wenn einem im Chiantigebiet gerade noch ein paar Stunden, aber dank des kompakten Reisegepäcks immerhin fast 100 Liter Kofferraumvolumen bleiben? Ganz klar: Castellina, die Hauptstadt des Chiantiweines über den 10,9-Zoll-Touchdisplay ins Navi eingeben. Oder gerne – nach Voranmeldung – das in einem winzigen Vorort gelegene Gut Antico Podere Gagliole, das der Sohn des Langobardenkönigs Berengario im Jahr 994 seiner Frau zur Hochzeit schenkte und wo der Schweizer Rechtsanwalt und Bankier Thomas Bär heute gemeinsam mit seiner Frau Monika Bettschart auf zehn Hektaren Wein produziert.
Die Leidenschaft, mit der der junge Marketing- und Sales-Verantwortliche Cosimo Soderi erklärt, wie hier nach jahrhundertelanger Tradition auf alten, mit Trockenmauern gesicherten Hängen der „Porsche unter den Weinen“ angebaut, von Hand verlesen, vergärt und zur Reifung in Barriquefässern aus französischer Eiche gelagert wird, ist ansteckend. Und spätestens nach der Verkostung der fünf Rotweine, aber auch von zwei Weissweinen (für die Porsche-Fahrer unter den Weindegustierern stehen selbstverständlich Spuckbehälter bereit) wird klar, weshalb Chianti weit über die Gebietsgrenzen hinaus bekannt geworden und heute so viel mehr als die Erinnerung an eine Korbflasche ist. Warum sich das Kofferraumvolumen des 911 mit umgeklappten Rücksitzen von 132 auf 163 Liter erweitern lässt. Und nicht zuletzt, warum ein toskanisches Sprichwort besagt, dass es besser sei, einen Schmerz in der Tasche zu haben, als einen im Herzen.
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche-Magazin Christophorus, Nr. 392.
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