Es ist ein grauer Tag, über dem Vierwaldstättersee hängt der Nebel so dicht wie Bündner Gerstensuppe. Der Ausblick durch die raumgrosse Fensterfront auf die Alpen muss einem an sonnigen Tagen den Atem verschlagen – doch im milchigen Licht kann man den Gipfel der Rigi und das dunkle Wasser des Sees heute höchstens erahnen. Adi Herzog steht in der obersten Etage jener aussergewöhnlichen Villa, die der Finanzspezialist sich in einer kleinen Luzerner Seegemeinde in den Steilhang hat graben lassen. Ein modernistisch verschachtelter Würfelturm aus Sichtbeton zwischen gediegenen Villen und rustikalen Chalets. Vier Stockwerke hoch, ein kubistisches Manifest mit Panoramascheiben und Pool.
Die BBC war schon hier und hat eine Reportage gedreht, die auch auf Netflix gezeigt wurde. Rolex hat im Haus mit Roger Federer eine Kampagne fotografiert. Doch nicht nur der Architektur und Aussicht wegen gilt das Haus als eines der spektakulärsten Bauwerke der Schweiz. In der kühn geschnittenen Garage im Erdgeschoss, dem Herzstück des Gebäudes, glänzen aufgereiht sechs fabelhafte Porsche-Klassiker im Neonlicht. Ohne die Sportwagen hätte es wohl auch das Haus nie gegeben.
Träumen
Oft sind es die Träume aus jungen Jahren, die einen das ganze Leben lang nicht mehr loslassen. Die einen antreiben, etwas Aussergewöhnliches zu erreichen und die Luftschlösser von einst tatsächlich zu errichten. Auch Adi Herzog erinnert sich genau, wie alles seinen Anfang nahm.
Er zieht eine ausgeblichene Ausgabe des deutschen Magazins Hobby von 1969 aus dem USM-Haller-Regal, blättert versonnen darin, findet dann den Artikel: „Diesen Testbericht über den Porsche 911 2.0 S habe ich gelesen, als ich 12 Jahre alt war. Seitdem ist mir dieses Auto nicht mehr aus dem Kopf gegangen.” Motoren und Technik lagen Adi Herzog schon damals im Blut. Als Jugendlicher frisierte er die Mofas seiner Freunde. Mit 18 Jahren kaufte er einen alten Triumph Spitfire vom Schrottplatz, schraubte daran in einer zugigen Werkstatt, in der ihm im Winter vor Kälte die Finger steif froren. „Damals habe ich mir geschworen: Irgendwann habe ich eine eigene beheizte Garage, in der ich an meinen Autos arbeiten kann, ohne zu frieren.”
Statt eine Mechanikerlehre zu absolvieren, schlug Herzog jedoch eine Karriere auf dem Finanzmarkt ein, das Restaurieren blieb Hobby. Mit den ersten Erfolgen als Betriebsökonom wurden die Autos schneller und sportlicher. „Mein Traum war immer ein Porsche gewesen – und mit 30 Jahren konnte ich mir endlich meinen ersten Elfer leisten.” Insgesamt hat Adi Herzog mehr als 30 Porsche besessen, von 356 über frühe 911 bis hin zu modernen Sportwagenikonen wie den Porsche 911 Sport Classic oder den letzten 911 GT3.
Nachdem er eine Vermögensverwaltungsfirma aufgebaut und erfolgreich verkauft hatte, kehrte Adi Herzog mit 55 Jahren zu seinen Wurzeln zurück – und heuerte in der Werkstatt eines Porsche-Spezialisten in Zürich an. Während der zweijährigen Ausbildung zum Mechaniker erlernte er nicht nur die Feinheiten der Wartung und Restauration, er bereitete sich auch auf die Erfüllung eines weiteren Lebenstraums vor: einmal mit dem eigenen Porsche 356 die Oldtimer-Rallye Peking-Paris mitzufahren.
„13.000 Kilometer in einem Monat. Quer durch China, die Wüste Gobi, die Mongolei, Sibirien. Es war eine Erfahrung, die mein Leben verändert hat.” Adi Herzog läuft durch die Garage hinüber zu dem silbernen Porsche 356, dem man seine Tour de Force beileibe nicht mehr ansieht. „Ich bin noch immer beeindruckt, wie zuverlässig das Auto ist. Bis auf etwas Sand in der Kupplung sind wir problemlos von Peking nach Paris durchgefahren, während andere Teilnehmer jede Nacht schrauben mussten.” Es sind diese sprichwörtliche Zuverlässigkeit und der funktionale Minimalismus, die den Sammler bis heute begeistern – und die ihn dazu treiben, seine Liebe zu Porsche in immer neuen Variationen auszuleben.
Realisieren
Irgendwann reichte natürlich der Platz nicht mehr. Und da war sie wieder, die alte Idee: eine beheizte Garage für seine Porsche. Mindestens sechs Autos und eine Hebebühne sollten Platz finden. Dazu drei Zimmer – ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, ein Büro. Mehr brauchte er ja nicht. Herzog sprach bei verschiedenen Architekten vor, liess Entwürfe anfertigen. Letztlich überzeugte ihn das Zürcher Büro Unger & Treina mit seinem Konzept eines in zwei Teile gegliederten Bauwerks. Im Untergeschoss befindet sich der Eingangsbereich samt grosszügiger Garage, während weiter oben drei Wohnkuben schachtelartig übereinander gestapelt am Hang thronen. Verbunden werden beide Trakte mit einem Lift als Rückgrat. „Erst erschien mir die Idee zu radikal”, erinnert sich der Bauherr. „Doch ein Freund überzeugte mich und sagte: ‚Das ist dein Haus!’”
So minimalistisch der Entwurf zunächst erschien, so komplex war die Umsetzung des topografisch und statisch anspruchsvollen Bauvorhabens. Der steile Hang musste abgetragen, die Erdmasse andernorts zwischengelagert, der tragende Baukörper einbetoniert und alles wieder zugeschüttet werden.
Ankommen
Doch 2009, nach zwei Jahren Bauzeit, war Adi Herzogs Traumhaus fertig. Und schon die Ankunft ist ein Erlebnis: Das grosse Garagentor gleitet zur Seite und gibt den Blick frei auf sechs Porsche 356 und 911, deren sinnliche Karrosseriekurven und glänzende Lackfarben in der rohen Betonhalle verblüffend gut zur Geltung kommen. Durch einen asymmetrisch geschnittenen, bunkerartigen Stollen erreicht man den Lift, der einen hinauf in die oberen, von Licht durchfluteten Stockwerke bringt. Die gewinkelt aufeinandergestapelten Ebenen scheinen ineinander zu fliessen. Alles ist ausgerichtet auf die raumfüllenden Fensterfronten, die auf jedem Geschoss in eine andere Himmelsrichtung weisen und die See- und Alpenlandschaft wie gewaltige Leinwände kadrieren.
Vom Schlafzimmer blickt man morgens auf die sonnenbeschienene Rigi, im Wohnzimmer offenbart sich nachmittags das eindrückliche Cinemascope-Panorama des über dem See in den Himmel ragenden Bürgenstockgipfels.
Mit der Tageszeit und dem Lauf der Sonne ändert sich im Haus auch die Stimmung. Je nach Wetter spenden Lichthöfe und Oberlichte diffuse Helligkeit oder inszenieren ein kontrastreiches Spiel von Licht und Schatten. An milden Sommerabenden lassen sich die im Abendrot glühenden Felswände auf der anderen Seite des Sees bestaunen, zum Beispiel aus dem Outdoor-Pool. Mit einfachen Mitteln Grosses zu erreichen – diese Philosophie schätzt Adi Herzog nicht nur an seinen Porsche, sie war auch die Triebkraft hinter dem Bau seines minimalistischen Traumhauses. Und während der Grundriss darauf ausgelegt ist, dem Wahrnehmungserlebnis seines Bewohners wie in einem Zentempel maximalen Raum zu lassen und nicht mit den visuellen Naturgewalten jenseits der Panoramafenster zu konkurrieren, perfektionierte der Bauherr die Komposition mit unterschwelligen wohldurchdachten Details.
So wurde beispielsweise der Sichtbeton nachträglich behandelt, um noch glatter und glänzender zu wirken. Warmes Wengéholz und dunkler Basaltstein bilden derweil einen subtilen Kontrast. Und für den Soundtrack sorgt – statt eines luftgekühlten Boxermotors – eine ausgefeilte Surroundanlage.
Auch die Möbelklassiker sind zeitlos-schlicht gewählt und hier und dort mit einem kontemporären Kunstwerk kombiniert. Einzig in der Küche bricht Adi Herzog die kühne Strenge der Komposition: Neben der Spüle befindet sich ein alter Benzinzapfhahn, die analoge Küchenuhr stammt aus einem Rennwagen, und der von Schiffslampen beleuchtete Esstisch war in seinem früheren Leben der Flügel einer McDonnell Douglas DC-10. Der industriellen Ästhetik des 20. Jahrhunderts, den Nieten, Schraubgewinden und dem kühlen Glanz des Stahls kann er, der Mechaniker und Hobbyrestaurator, sich dann wohl doch nicht ganz entziehen.
Geniessen
Dann plötzlich reisst der Himmel auf – und wie in Hitchcocks Vertigo wird einem für einen Moment schwindelig angesichts des gewaltigen Alpenpanoramas von geradezu unwirklicher Tiefe. „Früher war ich mit meinen Porsche viel auf den Pässen unterwegs”, sagt Herzog und blickt über den See, wo die Serpentinen von Gotthard-, Furka-, Susten- und Nufenenpass das grosse Kurvenglück versprechen. „Doch seit ich das Haus habe, geniesse ich die Alpen meist von hier.”
Wenn der Porsche-Fahrer nicht in die Berge fährt, müssen die Berge eben zu ihm nach Hause kommen. Mit seinen Porsche 356, den luftgekühlten Elfer-Ikonen und einem Cayman GTS hat Adi Herzog seine perfekte Sammlung eigentlich schon beisammen. Und doch wird er bald wieder Platz schaffen für einen weiteren Ausnahmesportler: der neue Porsche Taycan ist bereits bestellt. Auch eine passende Fotovoltaikanlage ist für den Elektroavantgardisten in Planung. Der alte Traum von der beheizten Garage, man kann ihn eben doch immer noch ein bisschen weiter perfektionieren.
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche-Magazin Christophorus, Nr. 395.
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