Das Meer ist wild, der Himmel grau, die Temperatur liegt bei 25 Grad Celsius. Ist ja auch erst sechs Uhr morgens. Die Sonne wird in einer halben Stunde aufgehen, dann rast sie auf den Zenit zu, brennt mit stärkster UV-Strahlung auf den Globus und geht exakt zwölf Stunden später wieder unter.
0 m Meereshöhe, 0° Breite, 0 km Streckenlänge
Der silbergraue Boxster steht bei Pedernales am Pazifikstrand. Der Motor ist im Leerlauf. Andrés Galardo sitzt am Steuer, Freundin María Caridad neben ihm, das Dach ist geöffnet, der Spoiler eingefahren. Eine kleine Kameradrohne schwirrt über dem Roadster. Es ist der Beginn einer Reise quer durch eines der unbekanntesten und faszinierendsten Länder im Nordwesten Südamerikas: Ecuador.
Quito, die Hauptstadt, ist rund 300 Kilometer und 2.850 Höhenmeter weit entfernt. Am Vorabend ist Galardo von dort gekommen, es war schon dunkel und die Moskitos summten um den Pool. Der Hotelbesitzer warnte davor, unter den Palmen zu parken: Kokosnussalarm. Jetzt fährt der Porsche los. Selbstbewusst verschaffen sich 228 PS gegen das Toben der Brandung Gehör. Der Boxster wurde 2003 gebaut und sieben Jahre später von Galardo gekauft. Seit er als kleiner Junge neben seinem Onkel Mario im 911 Turbo (Typ 930) saß, träumte er davon, einen eigenen Porsche zu besitzen. Er begann zu sparen. Mit 26 Jahren hatte er genug Geld beisammen, um sich den Boxster zu kaufen.
100 km/h – schneller darf man in Ecuador nicht fahren
Er beschleunigt. Auf der Landstraße Richtung Pedernales, einer Kleinstadt wenige Kilometer nördlich des Äquators, ist bei 100 km/h allerdings Schluss. Schneller darf man in Ecuador nicht fahren, nicht einmal auf den vielen neuen achtspurigen Autobahnen. So großzügig das Straßennetz in Ecuador auch ist, so humorlos sind die Tempowächter: null Toleranz. Schon eine Geschwindigkeit leicht jenseits des 100-km/h-Limits kann einen viel Geld kosten. Also tritt Galardo auf das Bremspedal, kaum dass er beschleunigt hat. Noch befindet er sich an der Costa, dem fruchtbaren Tiefland der Küste, neben dem Andenhochland, dem Amazonastiefland und den Galapagosinseln die vierte geografische Region des Landes.
Die Straße führt sanft aufwärts, zwischen Plantagen und Bambuswäldern hindurch. An einigen Stellen graben sich Bagger tief in die Erde: El Dorado. Dort vermuten Goldschürfer den Schatz, der sie reich und mächtig machen soll. Noch ackern sie allerdings für das einheitliche Grundgehalt: 386 US-Dollar pro Monat. Im Jahr 2000 schaffte Ecuador den Sucre ab, seitdem ist der US-Dollar die offizielle Landeswährung. Das macht den Export von Erdöl, Bananen und Schnittblumen einfacher. Abgesehen davon könnte Biodiversität ein Geschäftsmodell sein. Denn in Ecuador existiert auf engstem Raum die höchste Artenvielfalt der Welt. Auf den Galapagosinseln: Riesenschildkröten, Echsen, Seelöwen. Vor der Festlandküste von Juni bis September: Tausende brünstige Buckelwale. An der Costa: Leguane, Papageien, Affen. Im Andenhochland: Kondore und Vikunjas, die größten Greifvögel und die kleinsten Kamele der Welt. Und im Amazonasbecken jenseits der Berge: Tapire, Jaguare, Affen, Papageien, Piranhas und mehr Insektenarten als in ganz Europa.
1.500 m Meereshöhe, 0° Breite, 200 km Streckenlänge
Unten liegt die Provinzstadt Mindo, vor dem Boxster ein Erdrutsch, dahinter stauen sich die Autos. Die Straße ist gesperrt, die Umgebung ist neblig. Dicke Wolken verfangen sich im Dschungel auf der Westseite der Anden. Es regnet, Wasserfälle rauschen, die Sicht beträgt nicht mehr als 50 Meter. Galardo ist Designer, Produktchef und Miteigentümer einer Motorradfabrik. Jedes Jahr denkt er sich ein neues Modell aus, fliegt nach China, kauft Teile und lässt daraus etwa 1.000 Motorräder zusammenbauen, maximal 350 Kubik. Am besten verkaufen sich Enduros für die Pisten jenseits der Hauptstraßen. Hühner, Schweine, Wocheneinkäufe, ganze Familien – fast alles wird per Motorrad transportiert. Auch die meisten Polizisten in Ecuador knattern auf motos zum Einsatz. Einen Streifenwagen haben die wenigsten. Langsam löst sich der Stau auf. Ein paar Hundert Serpentinen weiter ist Quito zu sehen.
2.850 m Meereshöhe, 0° Breite, 287 km Streckenlänge
Die höchste Hauptstadt der Welt – eineinhalb Millionen Einwohner, dünne Luft, Schnappatmung für Leute aus dem Tiefland – ist die schönste Stadt Ecuadors. Sommerliche Luft, steile gepflasterte Straßen, Kolonialarchitektur, Luxushotels, Kaffeehäuser, Eisverkäufer. Zielsicher hält Galardo auf eine Tankstelle im Vorort Cumbayá zu, an der sich die Porsche-Liebhaber treffen. Felipe Otero ist da mit Frau, Kindern und Panamahut in einem roten 911 Targa aus dem Jahr 1977. Patricio Verduso und seine Frau Alexandra fahren ein goldfarbenes 911 Cabriolet. Diego Guayasamin kommt mit Freundin Natalie in einem schwarzen 911 Carrera. Jean-Pierre Michelet steuert einen schwarzen 911 von 1974. Er hat Tochter Dominique dabei. Sie liebt es, mit Papa im Porsche zu fahren. Michelet ist eine Berühmtheit in Ecuador. Er war Rennfahrer wie sein Vater Pascal, wurde 1995 Zweiter seiner Klasse bei den 24 Stunden von Daytona. Heute ist er Gastgeber der TV-Show Sinfonía de Motores, nach Fußball eine der beliebtesten Sportsendungen in Ecuador. Schon als Kind liebte Michelet Porsche. „Weißt du, wie man diesen 911 fährt? Mit dem Hintern“, sagt er. „Du musst alles fühlen und rechtzeitig vor der Kurve bremsen.“
4.658 m Meereshöhe, 0° 41´ 3˝ S Breite, 370 km Streckenlänge
Der Porsche-Konvoi schnurrt mit 100 km/h auf diesem Abschnitt der Panamericana dahin. Links liegt der Cotopaxi. Gewaltig ragen seine 5.897 Meter in den blauen Himmel, die Eiskappe bedeckt den perfekten Kegel. Kaum etwas weist darauf hin, dass der Berg einer der aktivsten und gefährlichsten Vulkane der Welt ist, nur die grünen Schilder mit den Fluchtrouten innerhalb und außerhalb von Quito. Etwa 50 Mal ist er in den vergangenen 300 Jahren ausgebrochen. Zwei Mal wurde die Stadt Latacunga an seinem Fuß komplett zerstört und wieder aufgebaut.
Kurz vor Latacunga biegen die Sportwagen ab, eine neue Asphaltpiste schraubt sich hinauf zur 4.000-Meter-Marke. Auf den kargen Hochflächen grasen Vikunjas. Diego Aguirre, ein Autohändler, dreht in seinem 911 Carrera S die Musikanlage auf. Jamiroquais White Knuckle Ride ertönt. Er hat sich für den Trip einen Soundtrack zusammengestellt. Nach einem Dutzend Kilometern stoppt ein „schlafender Polizist“, wie auch dort die Bremsschwellen zur Verkehrsberuhigung heißen, die Karawane. Dahinter eine ausgewaschene Wellblechpiste. Zurück also auf die Hochebene, Aguirre spielt Frank Sinatras My Way. Es ist Nacht, als die Gruppe nach Quito zurückkehrt. Noch ein kleiner Abstecher zur Madonnen-Statue auf dem Berg Panecillo, der übersetzt „Brötchen“ heißt. 3.035 Meter über dem Meer. Die Spanier gaben ihm diesen Namen. Die Inkas nannten ihn Shungoloma, den „Herzhügel“. Der Blick über die in tausend Lichtern glänzende Millionenstadt zwischen den dunklen Schemen der Bergketten ist atemberaubend.
1.900 m Meereshöhe, 0° 44´ 9˝ S Breite, 550 km Streckenlänge
Abwärts. Das Amazonasbecken. Der Urwald. Tief gräbt sich der Río Victoria in den Fels. Wasserfälle stürzen am gegenüberliegenden Hang in die Tiefe. Nebel steigt zwischen den Gipfeln hervor. Die Anden sind überquert. Jetzt ist die Sportwagenkolonne im wilden Osten des Landes, fährt bis zur Straßensperre in Baeza. Dort kontrollieren Spezialeinheiten der Polizei. Es bildet sich ein Stau. Die Porsche-Fahrer haben keine Lust zu warten. Sie drehen um.
2.850 m Meereshöhe, 0° Breite, 650 km Streckenlänge
Zurück in Quito. Der Tross fährt über die neue Stadtautobahn Richtung „Mitad del Mundo“, dem Äquator-Monument nördlich der Stadt in San Antonio de Pichincha. Sie parken vor dem UNASUR-Gebäude, dem futuristischen Dienstsitz der Union Südamerikanischer Nationen. Diego Guayasamin hat es entworfen.
Der Protokollchef der UNASUR empfängt die Gruppe. Sein Büro liegt auf dem Äquator. Es ist vollkommen verglast und ragt ohne Stützen 50 Meter weit auf die Südhalbkugel. Ein statischer Kraftakt in diesem Erdbebengebiet. Am Horizont ragt ein schneebedeckter Vulkan über die Bergketten rings um die Stadt. Die Luft ist klar. Die diesige heiße Küste, von der aus sie vor drei Tagen gestartet sind, liegt von hier aus gesehen in einer anderen Welt. Der Protokollchef verabschiedet jeden mit einem Buch von der Organisation UNASUR: Where Dreams are Born. Es geht darum, wie Kinder die Welt erobern und sie für die Zukunft gestalten können.
Verbrauchsangaben
911 Carrera Cabriolet: Kraftstoffverbrauch kombiniert 8,5 – 7,5 l/100 km; CO2-Emission 195 – 172 g/km
911 Carrera: Kraftstoffverbrauch kombiniert 8,3 – 7,4 l/100 km; CO2-Emission 190 – 169 g/km
911 Carrera S: Kraftstoffverbrauch kombiniert 8,7 – 7,7 l/100 km; CO2-Emission 199 – 174 g/km
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche-Kundenmagazin Christophorus, Nr. 387