Eine Leistung wie am vergangenen Wochenende in London wäre dem 29-jährigen Deutschen wohl nicht zu jedem Zeitpunkt seiner Karriere geglückt. „Gebt mir mehr Druck“, funkte er spürbar adrenalinberauscht nach seinem Samstagssieg in den Docklands der englischen Hauptstadt. Und den sollte er bekommen.
Nachwuchshoffnung der Nation
Pascal Wehrlein kam am 18. Oktober 1994 in Sigmaringen zur Welt – der Vater Schwabe, die Mutter aus Mauritius. Als junger Kartsportler und Formelpilot avancierte er schnell zu einer der großen Motorsport-Nachwuchshoffnungen der Nation, setzte sich gegen andere deutsche Talente durch und stach heraus. Früh unterstützten ihn die Porsche-Nachbarn von Mercedes-AMG. Bereits Formel-1-Testfahrer bei den Silberpfeilen krönte er sich mit gerade einmal 20 Jahren zum jüngsten DTM-Champion der Geschichte (2015). Es folgten weitere Stationen im Grand-Prix-Sport – darunter Stammcockpits bei Manor Racing (2016) und dem Sauber-Rennstall (2017).
Der Durchbruch in der Formel 1 blieb für Wehrlein trotz starker Leistungen aus. Vom Testfahrer für die legendäre Scuderia Ferrari wechselte er als Werksfahrer in das noch junge Formel-E-Team von Porsche, allerdings nicht ohne bereits Erfahrungen in der innovativen Elektrorennserie gesammelt zu haben: Für zwei Saisons hatte er im indischen Mahindra-Team das Starterfeld aufgemischt. Was folgte, war der Beginn einer neuen deutschen Motorsport-Erfolgsgeschichte.
„Ich bin noch kein alter Hase, aber eben auch kein Rookie mehr“, meinte Wehrlein, als Porsche für die Formel-E-Saison 2020/2021 einen neuen Piloten suchte. Eine attraktive Mischung für den Stuttgarter Sportwagenhersteller. Und siehe da: Der Erfolg stellte sich ein. Schon bei seinem siebten Rennen mit Porsche gelang ihm der Sprung aufs Podest, und in der Folgesaison war er es, der den ersten Sieg für Porsche unter Dach und Fach brachte – vor spektakulärer Kulisse in Mexico City und direkt vor seinem damaligen ebenfalls deutschen Teamkollegen André Lotterer.
Mit Porsche zum bislang größten Erfolg
Als Porsche mit Einführung der hocheffizienten Gen3-Version des Porsche 99X Electric der entscheidende Performance-Sprung gelang, etablierte Wehrlein sich an der Spitze der Formel E. Trotzdem reichte es im Vorjahr noch nicht zum Titel, unter anderem wegen zu inkonstanter Leistungen im Qualifying, das aufgrund seines K.o.-Formats besonders mental absolute Spitzenleistungen verlangt.
Für die jüngste Saison merzten Pascal und die Weissacher Werksmannschaft die Schwächen weitgehend aus. In Mexiko gelang mit einer Pole-Position und einem dominanten Sieg nicht nur ein Saisonauftakt nach Maß, sondern auch ein Ausrufezeichen gegenüber der Konkurrenz – Porsche und Wehrlein: stärker denn je. Dass besonders die Qualifying-Schwächen der Startnummer 94 aussortiert waren, bewiesen alle folgenden Rennwochenenden: Wehrlein behauptete sich als bester Qualifyer der Saison. Weniger Fehler und vor allem viel Pech durch Berührungen im engen Formel-E-Feld bescherten der WM dennoch ein dramatisches Finale.
„Das ganze Team hat einen sensationellen Job gemacht, extrem ruhig und konzentriert – alle von uns, aber besonders auch Pascal“, kommentierte Teamchef Florian Modlinger nach dem nervenaufreibenden Samstagsrennen in London, bei dem Wehrlein mit einer außerordentlichen Leistung und seinem dritten Saisonsieg die WM-Führung zurückeroberte. Er selbst witzelte noch am Donnerstag in der Boxengasse: „Am liebsten hier mag ich den Flughafen“ – in Anspielung auf ein für ihn äußerst unglücklich verlaufenes Titelfinale in London im Jahr zuvor.
„Für mich ist es das Größte, wenn ich im Beisein meiner Familie gewinne. Wenn sie an der Strecke sind, pusht mich das immer noch ein bisschen mehr.“ Und tatsächlich: Nach seinem sensationellen Sieg am Samstag knackte Wehrlein am Sonntag das neuseeländische Jaguar-Doppel Evans und Cassidy – mit null Fehlern und einem Maximum an Druck, schließlich waren beide vor ihm gestartet und hatten somit lang die besseren Karten im WM-Rennen. „Soleya, Daddy ist Weltmeister!“, rief Wehrlein nach der Zieldurchfahrt hörbar erlöst durch den Team-Funk. Platz 2 im Rennen war gerade so genug – eine sportliche wie mentale Punklandung und auch besonders emotional ein Highlight für den ruhigen und introvertierten Top-Athleten.
Familienglück in der Schweiz
Erst im Vorjahr brachte Pascals Schweizer Partnerin Sibel Töchterchen Soleya zur Welt. Beide stellen für ihn einen Quell der Stärke dar. Ein Haus baute die junge Familie ebenfalls – in Kreuzlingen in der Schweiz, in der auch andere Weltsportler nicht nur Natur und Lebensqualität des Landes genießen, sondern auch die höfliche Zurückhaltung der Menschen in der Region.
Wehrlein ist der erste deutsche Formelsport-Weltmeister seit Nico Rosberg 2016. Nach einem kurzen Familienaufenthalt in London kehren er und seine beiden Liebsten zurück in die Schweiz. Zwei Tage nach seinem größten Triumph wieder gelassen wie eh und je erklärt der Champion im Interview-Marathon: „Nach dem Rennen selbst habe ich zugegebenermaßen nicht allzu lange mitgefeiert – aber zurück zu Hause gibt es ganz sicher noch einmal eine kleine Party mit Freunden und Verwandten.“
Pascal Wehrlein – Steckbrief
Geburtsdatum: 18.10.1994
Geburtsort: Sigmaringen (Deutschland)
Nationalität: deutsch/mauritisch
Wohnort: Kreuzlingen (Schweiz)
Familienstand: ledig
Größe und Gewicht: 1,75 m und 70 kg
Hobbys: Snowboarden, Wakeboarden, Fitness
Homepage: www.pascal-wehrlein.de
Instagram: @pascal_wehrlein
Twitter: @PWehrlein
Porsche in der Formel E
Die Saison 2023/2024 war die fünfte von Porsche in der Formel E. Neben dem werkseigenen TAG Heuer Porsche Formel-E-Team startete das US-Kundenteam Andretti Formula E mit dem Porsche 99X Electric. Entwickelt wurde das Konzept des innovativen Elektrorennwagens am bilanziell CO₂-neutral arbeitenden Standort Weissach. Mit dem Engagement in der WM demonstriert Porsche seinen Anspruch, unter den traditionellen Automobilherstellern eine führende Rolle in den Bereichen Elektrifizierung, Nachhaltigkeit und Technologie einzunehmen. In der Formel E gewinnt die Marke wertvolle Erkenntnisse für ihre elektrischen Seriensportwagen.