Unablässig heult der Wind. Das ist das Erste, was einem in Patagonien auffällt – und auch das Letzte. Er zwingt einen zur gebückten Haltung, zerrt hartnäckig an locker sitzender Kleidung und auf jedem Zentimeter unbedeckter Haut spürt man seine Härte. Sein Pfeifen ist allgegenwärtig. Damals, heute und morgen.
Denn so war es schon immer: Der Wind prägte die Schöpfungsgeschichten der indigenen Völker, die dort schon lange lebten, bevor Europäer überhaupt von solch entlegenen Orten zu träumen wagten. So glaubten die Tehuelche und Aónikenk, dass der Wind aus dem Seufzen des ersten Lebewesens entstanden ist, noch vor Licht und Land. Auch die Erfahrungen der ersten westlichen Entdecker waren von der Naturgewalt geprägt. Als Ferdinand Magellan 1520 Patagonien ansteuerte, stürmte es so stark, dass die spanische Regierung versuchte, britische Piraten mit einem Ablenkungsmanöver auf Abstand zu halten. Sie verkündete, der Wind habe eine ganze Insel verschoben, die nun die Magellanstraße blockiere.
Rund 400 Jahre später schreibt die Chilenin Gabriela Mistral: „Der Wind in Magallanes ist Fluch und Segen zugleich. Er ist der Herrscher der Region und hat sie nach seinen Launen geformt.“ Die Dichterin ist 1945 die erste lateinamerikanische Gewinnerin des Nobelpreises für Literatur – und der patagonische Wind hat auch bei ihr Eindruck hinterlassen. „Er ist ein Schauspiel für jeden Normalsterblichen, aber für mich nicht, ich spürte große Angst. Wir können uns alle daran erinnern, in unserer Kindheit von der Angst fasziniert gewesen zu sein. Wir haben sie gemieden. Und gleichzeitig haben wir sie herausgefordert.“ Der Wind ist immer da, pfeift täglich seine stürmischen Lieder und überdauert alle Zeiten.
Die Entdeckungsreise beginnt im äußersten Süden Chiles
Christian Formoso ist heute Dichter und Dozent an der Universidad de Magallanes in Punta Arenas. Unaufgeregt eloquent berichtet er von dem alten Glauben, der Teufel herrsche über den Wind. „Diese Gegend wurde damals mit dem Bösen gleichgesetzt“, berichtet der 52-Jährige. „Das Zentrum des spanischen Kolonialreiches, Lima in Peru, wurde als heilig angesehen und die Region Magallanes als das genaue Gegenteil. Alles Gute war dort, alles Schlechte hier.“
Doch in den 500 Jahren nach der Entdeckung Magellans ist viel passiert. Forscher, Literaten und Wissenschaftler – von Charles Darwin bis Jules Verne – traten die lange Reise an und erkundeten das karge Land am Ende der Welt. Heute wandeln wir auf ihren Spuren. Unsere Entdeckungsreise beginnt im äußersten Süden Chiles in Punta Delgada. Die kurze und teils wilde Fährüberfahrt von der Tierra del Fuego, Feuerland, liegt hinter uns. Und vor uns die längste befahrbare Straße der Welt: die Panamericana. Ihr Ende, Deadhorse in Alaska, findet sich etwa 23.000 Kilometer nördlich von uns.
Unser Transportmittel ist ein Porsche Panamera Turbo S E-Hybrid in Papayametallic, der seine Modellbezeichnung zum Teil dieser außergewöhnlichen Straße verdankt. Doch es ist kein gewöhnlicher Hybrid. Angetrieben wird er auf unserer Reise von regional hergestellten eFuels zum einen und ebenso grünem Strom zum anderen. Zwei nachhaltige Technologien, vereint in einem Fahrzeug. So entdecken wir Patagonien – und gleichzeitig die Mobilität von morgen.
Plattes Land, so weit das Auge reicht
Nach nur 16 Kilometern verlassen wir die Panamericana, die Richtung Rio Gallegos in Argentinien weiterführt, und fahren tiefer ins chilenische Patagonien. Plattes Land, so weit das Auge reicht. Und immer wieder Relikte vergangener Zeiten, wie die Estancia San Gregorio, eine alte Farm, Zeugnis der letzten wirtschaftlichen Hochphase der Region.
Ende des 19. Jahrhunderts kamen die Einwohner dieser Gegend dank ihrer Schafzucht zu Wohlstand. Die Gebäude der Estancia lagen im Herzen eines 1.400 Quadratkilometer großen Anwesens. Doch mit der Eröffnung des Panamakanals 1914 gingen die Geschäfte rasend schnell zurück, bis 1970 wurde der Großteil des Betriebs sukzessive eingestellt. Ein beispielhafter Prozess für die Dynamik der Region. Doch der Wind blieb. Beständig. Unverändert.
Nach kurzer Weiterfahrt – vorbei an einem Schild, das vor einer Kollision mit Nandus (dem südamerikanischen Cousin des Straußes) warnt – erreichen wir die Kreuzung zur Ruta 9 – besser bekannt als die Ruta del Fin del Mundo: die „Straße zum Ende der Welt“. Hier steuern wir Haru Oni an, die neue Produktionsanlage, an der Porsche sich beteiligt und in der regional und nachhaltig eFuels produziert werden. Jetzt folgt einer der wohl außergewöhnlichsten Tankstopps unseres Lebens.
„Dieses Projekt ist ein Baustein für die Zukunft“, sagt Tatiana Alegre, Geschäftsführerin der Betreibergesellschaft HIF Chile (Highly Innovative Fuels). „Simpel ausgedrückt, nutzen wir den Wind, um Wasser in eFuels umzuwandeln. Haru Oni bedeutet ‚Land des Windes‘. Wir arbeiten hier, weil nahezu das ganze Jahr starker Wind weht.“ Unablässig liefert er die nachhaltige Energie, die für die Produktion von eFuels so wichtig ist. „Magallanes war schon immer das Land der Entdecker“, sagt Alegre. „Wir entdecken wissenschaftliche Grenzen. Für mich ist Haru Oni eines der neuen technologischen Wunder, mit denen wir hoffentlich dazu beitragen können, die Welt zu verändern.“
Während der V8-Biturbo-Motor des Panamera () zufrieden vor sich hin brummt und dabei problemlos das frisch gezapfte eFuel verbraucht, fahren wir gen Norden.
Angetrieben von Wind und Wasser
Der Horizont wirkt hier besonders weit, die Straßen verlaufen schnurgerade, Wolkenformationen jagen rasend schnell über den Himmel. Wir sind in der patagonischen Flachlandebene, von der Charles Darwin 1833 berichtete, als er fünf Jahre lang die Welt auf der HMS Beagle umrundete. „Die Ebenen sind ohne Grenzen, denn sie sind kaum zu durchqueren und daher unbekannt“, schrieb der Naturforscher. „Sie sind dadurch geprägt, dass sie jahrhundertelang so bestanden haben, wie sie jetzt sind, und es scheint keine Grenze für ihre Dauer durch künftige Zeiten zu bestehen.“
Fast 200 Jahre später durchqueren wir dieses einst unpassierbare Land, angetrieben von Wasser und Wind verfolgen wir unseren Weg durch die unendliche Weite. An der Estancia Río Penitente machen wir Halt, einem weiteren geschichtsträchtigen Hofgut, aber einem mit einer aufregenden Zukunft. Christopher Dick Leigh ist wie seine drei Geschwister tief mit der Heimat verbunden. Nachdem ihre Ururgroßeltern von Schottland aus über die Falklandinseln bis nach Patagonien kamen, leben sie dort nun in fünfter Generation und haben ihr 12.000-Hektar-Anwesen grundlegend modernisiert. Heute betreiben sie nicht nur eine Schaf-, Lama- und Pferdezucht, sondern haben auch einen Teil des Hauses in Ferienunterkünfte für die rasch ansteigende Anzahl an Touristen umgebaut.
„Patagonien ist in jeder Hinsicht ein besonderer Ort“
„Für uns ist es ganz normal, jeden Tag alle vier Jahreszeiten zu erleben und nie zu wissen, was man am besten anzieht“, sagt Dick Leigh. „Doch dank der beeindruckten Touristen sehen wir alles nochmal mit anderen Augen.“
Der heutige Wandel ließe sich mit der Ankunft der Pioniere vor mehr als 100 Jahren vergleichen, die die ersten Schafe mitbrachten. „Das hat damals die ganze Wirtschaftsordnung der Region verändert“, erklärt Dick Leigh. „Etwas Ähnliches könnte hier gerade mit den eFuels passieren.“
Wir fahren weiter gen Norden, vorbei an Puerto Natales und einem Fjord mit dem Namen Seno Última Esperanza – Meerenge der letzten Hoffnung. Dann durchqueren wir den Nationalpark Torres del Paine und entdecken nach jeder Kurve einen neuen schroffen Berggipfel, Gletscher, See, Fluss oder Wasserfall in einem beeindruckenden azurblauen oder smaragdgrünen Farbton. Torres del Paine wird oft als das achte Weltwunder bezeichnet und verdient diesen Titel mehr als viele andere Orte. Die Region ist so wild, abgelegen und fremdartig, dass sie noch um die Jahrhundertwende Ausgangspunkt einiger der letzten seriösen Expeditionen auf der Suche nach riesigen, eigentlich längst ausgestorbenen Tieren aus der Eiszeit war. Immer wieder werden hier auch neue Fossilien entdeckt, erst 2022 verkündeten Forscher die erste vollständige Ausgrabung eines trächtigen Ichthyosauriers.
Heute schweben gigantische Andenkondore mit Flügelspannweiten von bis zu drei Metern mühelos über die Berggipfel. Wir halten mit dem Panamera an und betrachten drei Pumas, die ein soeben erlegtes Guanako, das südamerikanische Lama, ins Unterholz ziehen. Jetzt scheinen wir tatsächlich am Ende der Welt angekommen zu sein, die Straße verliert sich langsam im Nichts.
Nicht weit entfernt beobachten wir die Gauchos der Estancia Cerro Guido, die auf ihren Pferden große Schafherden über die patagonische Ebene treiben. Der Wandel der Zeit ist hier kaum spürbar, Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen. Früher war hier vieles so wie heute. Patagonien war das windgebeutelte Ende der Welt – damals ein gefährlicher Ort, der zur Hochburg für waghalsige Expeditionen avancierte. Heute beginnt hier eine neue Ära der Entdeckungen.
Unablässig heult der Wind. Doch er ist kein Grund zur Furcht mehr, wie Gabriela Mistral sie verspürte. Er ist Antrieb für die Zukunft – und Symbol der Hoffnung.
Info
Text erstmals erschienen im Christophorus Magazin, Ausgabe 407.
Autor: Ben Samuelson
Fotos: Mark Fagelson, Damian Blakemore
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