A1, A8, A9 und A99. Otmar Bitsche kennt diese Autobahnen aus dem Effeff. Jedes Wochenende fährt der Porsche-Ingenieur in seinem Taycan Turbo Sport Turismo vom Entwicklungszentrum Weissach zu seiner Familie ins österreichische Graz. Freitags hin, sonntags zurück. In der Summe fast 1.350 Kilometer vollelektrisch. Ein Pendler der Neuzeit.
670 km, 6:17 h, 166 kWh
Es ist Freitagnachmittag. Noch vor dem einsetzenden Feierabendverkehr hat der 65-Jährige sein Büro ins Auto verlagert. Während sich nach zweieinhalb Stunden Fahrzeit bereits die Alpen am Horizont abzeichnen, hängt er noch in Telefonaten. Bei 150 km/h sind im Hintergrund vor allem Reifen- und Windgeräusche zu hören. Mit dem Surren der Elektromotoren vermischen sie sich zu einem futuristischen Klangteppich.
Es ist dieser spezielle Sound, der Bitsche seit Jahrzehnten begleitet. Als er 2012 bei Porsche einstieg und die Verantwortung für die E-Mobilität übernahm, hatte er bereits vollelektrische Kompaktwagen und das erste Serien-Hybrid-Fahrzeug mit Lithium-Ionen-Batterie entwickelt. Der Österreicher hat die Philosophie des Sportwagenherstellers mitgeprägt: „Bei Porsche geht es uns nicht um Reichweitenrekorde“, betont Bitsche: „Entscheidend für die Langstreckentauglichkeit eines Elektroautos ist die Reisezeit. Und hierfür spielt neben Batteriekapazität und Performance vor allem die Ladefähigkeit eine zentrale Rolle.“
Der Mondsee kurz hinter Salzburg. Ein Idyll direkt neben der Autobahn. Zwischen Leitplanken und Drachenwand stehen sechs HPC-Säulen von IONITY. Bitsches Ladestopp. Gut 20 Minuten bei bis zu 270 Kilowatt. Dafür nutzt der Entwickler bewusst den Porsche Charging Planner. „Klar kenne ich alle Ladepunkte entlang dieser Strecke. Mir geht es aber um die Vortemperierung der Batterie für den Ladevorgang“, erklärt er. „Ideal für schnelles Laden sind 20 bis 25 Grad.“
Noch vor ein paar Jahren war alles anders. Kaum Elektroautos auf den Straßen, nur wenige Schnellladesäulen entlang der Autobahnen. Das hat sich sichtbar gewandelt: Seit 2017 hat allein IONITY in 24 europäischen Ländern gut 450 Ladeparks mit mehr als 2.000 Ladepunkten in Betrieb genommen. Und der Ausbau müsse weitergehen, betont Bitsche: „Momentan wächst die Zahl der Elektroautos in Deutschland schneller als die Ladeinfrastruktur.“
Die Elektromobilität kommt im Alltag der Menschen an. Das wird bei Porsche deutlich. Seit dem Produktionsstart des Taycan im September 2019 hat der Sportwagenhersteller in gut drei Jahren mehr als 100.000 Fahrzeuge der vollelektrischen Modellfamilie produziert. Bitsche und seine Kollegen arbeiten längst an den nächsten E-Modellen. Das Ziel des Unternehmens: 2025 soll etwa die Hälfte aller neu verkauften Porsche elektrifiziert sein. Im Jahr 2030 soll der Anteil aller Neufahrzeuge mit einem vollelektrischen Antrieb dann bei mehr als 80 Prozent liegen.
Zeit für die Elektromobilität
Otmar Bitsche hat die Zeit fest im Blick. Kurz vor Sonnenuntergang rollt sein Taycan Turbo Sport Turismo durch das Zentrum von Graz. Vorbei am Uhrturm – der als Wahrzeichen über den Dächern der Altstadt thront. Nach gut sechs Stunden, 670 Kilometern und zwei Ladestopps ist der Porsche-Ingenieur an seinem Ziel angekommen. Für diesen Moment wählt er seine Lieblingsmusik: „Das Wohltemperierte Klavier“ von Johann Sebastian Bach. „Vielleicht wäre ich früher mit einem PS-starken Verbrenner eine halbe Stunde schneller gewesen“, sinniert Bitsche, „aber mit Sicherheit nicht so ruhig und entspannt. Zeit für die Elektromobilität.“
Endlich angekommen
Fast 24 Flugstunden liegen hinter Barbara Frenkel und Karl Dums. Beide sind ans andere Ende der Welt gereist. Und sicher gelandet am „Aeropuerto Internacional Presidente Carlos Ibáñez del Campo“ – so der offizielle Name des Flughafens. Es ist Dezember, kurz vor Weihnachten.
Frenkel und Dums sind auf dem Weg nach Punta Arenas. Die südlichste Großstadt der Erde, in direkter Nähe der sagenumwobenen Inselgruppe Feuerland. Punta Arenas liegt rund 14.000 Kilometer von Stuttgart entfernt, im chilenischen Patagonien. Hier verbindet die Magellanstraße den Atlantik mit dem Pazifik. Auch deshalb wird Punta Arenas häufig als Ausgangspunkt für Expeditionen durch die umliegende Wildnis oder in die Antarktis genutzt.
Doch das ist nicht der Anlass für die lange Reise der Porscheaner. Es geht um den Bau der eFuels-Pilotanlage „Haru Oni“, die Porsche zusammen mit Partnern in Punta Arenas initiiert hat. Im lokalen Dialekt steht der Name für „Land der Winde“. Genau genommen weht hier ein sehr konstanter Wind. Er prägt die Region. Bläst an rund 270 Tagen derart, dass Windräder hier in Volllast laufen können. Ideale Bedingungen. Denn zusammen mit internationalen Partnern wie Siemens Energy, Enel und ExxonMobil will Porsche zeigen, dass sich aus Wasser und Luft mit regenerativer Windenergie synthetisches Benzin gewinnen lässt. Und das potenziell nahezu CO₂-neutral. Hier wird der Nachweis erbracht, dass die gesamte Prozesskette in einer Anlage integriert werden kann. Erdacht wurde das Projekt im Porsche Entwicklungsressort unter der Leitung von Michael Steiner.
„eFuels sind eine sinnvolle Ergänzung zur Elektromobilität“, betont Frenkel: „Schließlich gibt es weltweit mehr als 1,3 Milliarden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor.“ Als Patin der Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens kämpft die Beschaffungsvorständin für innovative Energieformen wie eFuels. Mitarbeiter ihres Ressorts sitzen seit Projektbeginn vor drei Jahren mit den Entwicklern am Tisch. Dums ist also ein Mann der ersten Stunde. Der Diplom-Ingenieur ist Experte für Kraftstoffe und hat die Anlage vom Reißbrett auf mit geplant.
Viele Male haben sie per Videokonferenz mit den Technikern des chilenischen Generalunternehmers Highly Innovative Fuels, kurz HIF, gesprochen. Haben Zeitpläne aufgestellt, Budgets geplant. Und so manches technische Problem bewältigt. „Mit Pioniergeist und Herzblut“, wie Frenkel sagt: „Die Pilotphase läuft. Mit der ersten Skalierung kommt das Projekt bis Mitte des Jahrzehnts voraussichtlich auf mehr als 50 Millionen Liter pro Jahr.“
Das Porsche-Duo hat den Flughafen hinter sich: Im Porsche Cayenne fahren sie auf der einspurigen „Autopista del Coral“. Kein anderes Auto weit und breit. Windschiefe Zypressen säumen den Straßenrand. Ab und zu grasen Schafe. Beständig rauscht der Wind. Böen drücken auf das Fahrzeug. Frenkel muss das Steuer fest in der Hand halten. So geht es 30 Kilometer dem Horizont entgegen.
Wie aus dem Nichts plötzlich ein Wegweiser: „Planta Haru Oni“ steht da. Frenkel nimmt die Abzweigung nach rechts. Dann taucht ein großes weißes Windrad auf, 100 Meter hoch. Es dreht sich schnell. Drum herum gruppieren sich grau gestrichene Hallen. Modernste Anlagen, die Wasser durch Elektrolyse zu Wasserstoff verarbeiten. Daraus wird zusammen mit CO₂ zunächst synthetisches Methanol und anschließend Rohbenzin hergestellt.
Frenkel und Dums könnten mit dem veredelten Benzin den eigenen Cayenne betanken. Aber daran denken sie jetzt nicht. Sie blicken auf die Fabrik vor ihnen. Der Himmel ist strahlend blau. Doch im Wind ist es kühl. Obwohl auf der südlichen Erdhalbkugel Sommer ist, wird es in Punta Arenas selten wärmer als 15 Grad.
„Drei Jahre haben wir auf diesen Moment hingearbeitet, um den potenziell nahezu CO₂-neutralen Kraftstoff zu produzieren. Es ist großartig zu sehen, dass es funktioniert.“ Dums erinnert sich, wie das Team 2019 erstmals die Idee einer eFuels-Produktion durchspielte. Mit mehr als 60 potenziellen Partnern hatte man gesprochen, bis die Vision langsam Form annahm, das Team feststand, das die eFuels-Anlage bauen würde. „Ich war immer davon überzeugt, dass wir es schaffen“, sagt Dums. „Technologisch haben wir Neuland betreten. Das hat uns zusammengeschweißt und angetrieben.“
In diesem Moment nähert sich HIF-Chef César Norton. Seine Mannschaft hat den Bau koordiniert und die eFuels-Anlage in Gang gesetzt. „Bienvenidos amigos“, ruft er Frenkel und Dums fröhlich zu. Die lächeln ihn an und wissen: Nun sind sie endlich angekommen. Hier in Haru Oni. Aus der Idee ist tatsächlich Wirklichkeit geworden.
Porsches E-Strategie
Ambition
Bei Porsche soll der Anteil aller Neufahrzeuge mit vollelektrischem Antrieb 2030 bei über 80 Prozent liegen.
Kraftzentrum
Batterien sind der Brennraum der Zukunft. Mit der Mehrheitsbeteiligung an der Cellforce Group wird Porsche zum Hersteller von Hochleistungsbatterien.
Energie
Schnell fahren, schnell laden. Porsche will komfortables und sportliches Reisen dank ausgefeilter Lademöglichkeiten bieten – mit bis zu 270 kW und bequem in eigenen Charging Hubs.
Basis
Porsche baut sein Portfolio in Zukunft auf zwei Plattformen – „Premium Platform Electric“ (PPE) und „Scalable Solutions Platform“ (SSP).
Info
Text erstmals erschienen im Geschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht 2022.