Die Automobilindustrie erlebt gerade einen tief greifenden Umbruch. Denn neben dem Umstieg auf Elektromobilität wandelt sich auch die Funktion des Fahrzeugs fundamental: „Wie die Industrie berichtet, geht der Trend vom reinen Fortbewegungsmittel zur Plattform für neue Geschäftsmodelle und Dienste“, sagt Dr. Björn Gütlich, Abteilungsleiter Satellitenkommunikation bei der Deutschen Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bonn. „Das ist vergleichbar mit dem Umbruch vom mobilen Telefon zum Smartphone.“
Und genauso wie beim Smartphone wird eine permanente Vernetzung auch für die Fahrzeuge der Zukunft eine entscheidende Rolle spielen. Denn neue softwarebasierte Funktionen wie das autonome Fahren können stark von einer ununterbrochenen Konnektivität profitieren, beispielsweise um Warnungen vor Gefahrenstellen aussenden oder empfangen zu können. Herannahende Fahrzeuge hätten dann noch genügend Zeit, sich auf die Situation einzustellen. „Eine schnelle, zuverlässige und globale Verbindung zum Internet wäre in Zukunft darum wünschenswert“, erklärt Dr. Sébastien Chartier, Geschäftsfeldleiter Hochfrequenzelektronik am Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik. „5G- und 6G-Mobilkommunikation werden hier eine entscheidende Rolle spielen. Daneben dürften aber auch neue Generationen von Satelliten entscheidend dazu beitragen, die weltweite Abdeckung sicherzustellen und Funklöchern ein Ende zu bereiten.“
Satelliten als ideale Lösung
Das sieht auch DLR-Experte Gütlich so: „Die bestehende terrestrische Kommunikationsinfrastruktur allein wird voraussichtlich auf absehbare Zeit keine flächendeckende Abdeckung bereitstellen können.“ Der begrenzte Radius der künftigen 5G-Zellen mit einem Funkmast an jeder Straßenlaterne werde eine Ergänzung des Mobilfunks durch „überirdische Funkmasten“ nötig machen. „Satelliten sind dafür die ideale Lösung“, so Gütlich.
Satelliten sollen in Zukunft nicht nur das autonome Fahren unterstützen. „Sie könnten auch in Echtzeit aktuelle Informationen über das Verkehrsaufkommen an das Navigationssystem oder neue Software-Stände an die Fahrzeugelektronik senden. Und schließlich könnten die Daten aus dem All den störungsfreien Genuss des internetbasierten On-Board-Entertainments ermöglichen – selbst in abgelegenen Winkeln mit schlechtem Netz. Die Anwendungen von Satelliten im Automotive-Bereich sind demnach vielfältig“, bringt es Lutz Meschke, Vorstand Beteiligungsmanagement bei der Porsche Automobil Holding SE, auf den Punkt.
Voraussetzung für die neuen Dienste ist aber zusätzliche Technik im Auto, vor allem für den Empfang der Daten aus dem All. Schüsselförmige Antennen wie bei stationären Anwendungen kommen wegen ihrer Größe und Form fürs Autodach nicht infrage. Stattdessen bieten sich dafür Phased-Array-Antennen an: Sie bestehen aus vielen kleinen Antennen und einer speziellen Elektronik, die die Sende- und Empfangsrichtung ständig an die Position der Satelliten anpassen kann. So sorgen sie für einen unterbrechungsfreien Empfang der Daten. Phased-Array-Antennen sind zudem völlig flach und lassen sich in ein Schiebedach integrieren.
Die Satellitenflotten für die neuen Dienste werden sich im Low Earth Orbit (LEO) und im Geostationary Earth Orbit (GEO) um die Erde bewegen. Die erdnahen LEO-Satelliten sind bis zu 2.000 km von der Erdoberfläche entfernt, ihre GEO-Pendants befinden in einer Höhe von rund 35.800 km und stehen immer über der gleichen Stelle. Beide Orbits haben ihre spezifischen Vor- und Nachteile, insbesondere mit Blick auf die Laufzeit der Signale zwischen Sender und Empfänger (Latenzzeit). „Der niedrige LEO-Orbit eignet sich wegen der geringen Latenzen von etwa 0,04 Sekunden für sehr schnelle Kommunikation, der GEO-Orbit mit circa 0,5 Sekunden Latenz ist ideal für die Verteilung von gleichem Content an viele Nutzer“, erklärt Walter Ballheimer, Geschäftsführer des Satellitenherstellers Reflex Aerospace.
Schon heute herrscht im LEO Hochbetrieb: Von den fast 4.900 aktiven Satelliten, die die Erde umkreisen, befinden sich rund 4.100 im erdnahen Orbit. Zum Vergleich: In einer GEO-Umlaufbahn sind derzeit nur etwa 600 Satelliten. Und die Zahl der erdnahen LEO-Satelliten wächst rasant: Allein 2021 wurden rund 1.660 ins All geschossen, während in den anderen Orbits nur rund 30 Satelliten hinzukamen. Das große Interesse am Weltraum hängt mit veränderten Rahmenbedingungen zusammen: War der Zugang zum All früher Staaten und deren Raumfahrtbehörden vorbehalten, entdecken heute immer mehr Unternehmen den Transport und Betrieb von Satellitenflotten als Geschäftsmodell der Zukunft.
Europäische Alternative fürs All
Diesen Boom ermöglichen der Fortschritt der Technik und die zunehmende Privatisierung der Weltraumbranche: Satelliten werden immer kleiner und günstiger, und auch die Kosten für den Flug in den Orbit sinken dank preiswerter Raketen und des größeren Wettbewerbs unter den Anbietern. Der mit Abstand größte und bekannteste von ihnen ist das US-Raumfahrtunternehmen SpaceX von Elon Musk. Es hat bis Ende 2021 fast 1.800 LEO-Satelliten für sein Starlink-Netzwerk ins All gebracht. Sie sollen abgelegene Gebiete ins Internet bringen, außerdem will SpaceX auch Trucks, Boote und Flugzeuge mit Daten versorgen.
Bislang fehlt eine europäische Alternative zu Starlink. Um das zu ändern, haben der Münchner Raketenhersteller Isar Aerospace gemeinsam mit Reflex Aerospace und dem Spezialisten für Laserkommunikation Mynaric Ende 2021 das Konsortium UN:IO gegründet. Es erhält von der EU 1,4 Millionen Euro, um bis 2025 eine Studie für eine eigene europäische Satellitenkonstellation zu konzipieren. Neben Anwendungen wie Breitband-Konnektivität, Grenzüberwachung und Zivilschutz betrachtet das UN:IO-Projekt auch vernetzte beziehungsweise autonome Fahrzeuge als mögliche Nutzer seines Angebotes.
„Dienste wie Videotelefonie, Streaming oder auch Anwendungen aus dem Bereich des autonomen Fahrens werden erst möglich sein, wenn genügend Satelliten im Orbit sind“, sagt Ballheimer. Verglichen mit Starlink will UN:IO aber deutlich weniger künstliche Trabanten ins All schießen. „Wir planen mit einigen Hundert Satelliten im LEO für schnelle Kommunikation und ein paar Dutzend im höheren Orbit für die Verteilung von gleichartigem Content wie Softwareupdates“, so Ballheimer. „Statt den niedrigen Erdorbit mit Zehntausenden Satelliten zu verstopfen, erreichen wir durch intelligente Kombination unterschiedlicher Orbits mit nur einigen Hundert Satelliten noch höhere Kommunikationsleistungen.“
Mehrere europäische Automobilhersteller zeigen großes Interesse, mit Satellitenbetreibern wie Starlink oder UN:IO zu kooperieren. Sie könnten dadurch von der vorhandenen Infrastruktur und Expertise der Weltraum-Unternehmen profitieren. Der chinesische Automobilhersteller Geely setzt hingegen auf eine eigene Satellitenflotte. Sie soll nicht nur Daten an die Fahrzeuge liefern, sondern auch hochpräzise Navigationsdaten für die autonom fahrenden Autos des Unternehmens zur Verfügung stellen. Noch ist unklar, ob weitere OEMs diesem Modell folgen werden. Als Betreiber einer eigenen Satellitenflotte wären sie unabhängig von bestehenden Unternehmen, könnten die Technik für ihre Bedürfnisse optimieren und ihre Startslots frei bestimmen.
Auch die Porsche SE investiert in das Weltraumgeschäft: Sie hält seit Juli 2021 eine Beteiligung an Isar Aerospace. Das Unternehmen entwickelt seine Raketen in der Nähe von München und zeichnet sich gegenüber Wettbewerbern insbesondere durch eine hohe Wertschöpfungstiefe aus: Alle wesentlichen Komponenten werden von Isar Aerospace selbst entwickelt. Für Ende 2022 plant Isar Aerospace einen ersten Testflug seiner zweistufigen Trägerrakete „Spectrum“ von der norwegischen Insel Andøya aus. Später soll sie Kleinsatelliten unter anderem für Kunden wie das UN:IO-Konsortium ins All bringen – und so einen Beitrag dazu leisten, dass der Verkehr auf der Erde etwas sicherer und das Reisen angenehmer wird.
Info
Text erstmals erschienen im Porsche Engineering Magazin, Ausgabe 2/2022.
Autor: Ralf Kund
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