Keinen halben Quadratkilometer misst der Hafenbezirk von Monaco, dem berühmten Zwergstaat an der Côte d’Azur. Fürst Charles III. machte einst aus der Not eine Tugend: Zur Ferien- und Erholungsstätte für den europäischen Hochadel sollte das neue „Monte-Carlo“ avancieren. Oliven- und Johannisbrotbäume brachten ab 1848 keine Einnahmen mehr, die landwirtschaftlichen Nachbargemeinden Roquebrune-Cap-Martin und Menton wollten lieber wieder zu Frankeich gehören. So sollte eine von Charles’ Sohn Albert I. mitinitiierte Sternfahrt noch mehr Upperclass-Touristen herbeilocken, vor allem während der Wintersaison.
Dass 20 Teilnehmende im Januar 1911 dem Ruf von Albert folgten, gilt als Geburtsstunde der traditionsreichen Rallye Monte Carlo. Sie und der ab den Fünfzigern ausgetragene Grand Prix trugen seither wesentlich zum elitären Image des Motorsports bei. Zweimal im Jahr versammelte sich die Weltspitze des Automobilsports im winzigen, aber glamourösen Monte Carlo. Wenig Boden also, der viel Prestige bedeutet: Das Formel-1-Rennen steht heute in einer Reihe mit Le Mans und dem Indy 500. Die „Monte“ geniesst gar Alleinstellung, sofern man die Paris–Dakar als Rallye Raid als eigene Kategorie betrachtet.
Schon 1965 besass die Monte Carlo grosse Werbewirksamkeit. Schnee und Eis machten sie zu einer tückischen Herausforderung. Besonders für ihr Schwarzeis fürchten sie Teams und Fahrer seit eh und je: stellenweiseauftretendes Glatteis, das aufgrund weniger Lufteinschlüsse durchsichtig daherkommt auf dem dunklen Asphalt. Zwei Jahre nach der Premiere des 911 wollte auch Porsche für sein neues Modell PR generieren – und errang einen Achtungserfolg in den Bergen oberhalb der Küstenstadt. Herbert Linge und Beifahrer Peter Falk wurden sensationell Gesamtfünfte.
T für Tausendsassa
Nach drei mässig beachteten EM-Titeln und einem Beinahe-Sieg an der Monte gelang der ganz grosse Wurf erst 1968: Mit 76 Sekunden Vorsprung holten Vic Elford und David Stone im 911 T den ersten wahrlichen Prestige-Sieg für den Elfer. Auf Platz zwei: Pauli Toivonen und Martti Tiukkanen – ebenfalls auf Porsche 911 T. Elford, fortan unter dem Spitznamen „Quick Vic“ bekannt, fasste die Talente des Zuffenhausener Sportwagens in der Folge so zusammen: „Es ist das einzige Automobil, das man unter allen denkbaren Umständen einsetzen kann. Schnee, Eis, Asphalt, bergauf, bergab, schnell oder langsam – der 911 packt alles.“
Seitdem ist mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen. Der Porsche 911 ist in seiner achten Modellgenerationangelangt. Hat er seine Rallyefähigkeiten eingebüsst auf dem eher von Rundstrecken geprägten Weg ins Heute? Oder meistert er die schmalen Serpentinen in den südlichen Seealpen noch immer so souverän wie damals?
Der 911 T markierte bereits 1968 den puristischen Einstieg in die Baureihe. Ambitionierte Sportfahrer schätzten die schlanke Ausstattung und das daraus resultierende Gewicht von nur 1020 Kilogramm. Die Leistung im Serienzustand betrug 110 PS, nur für „Quick Vic“ rüstete die Rennabteilung den Boxermotor auf 180 PS hoch. Als Gesamtpaket bestach der 911 T durch seine aussergewöhnliche Handlichkeit. Er galt als direkt, agil, berechenbar und spurtreu – perfekt für die Monte.
Auch 2024 gibt es den Elfer noch unter dem Buchstaben T, welcher für „Touring“ steht: Der 911 Carrera T, so sein voller Name, kombiniert den Dreiliter-Sechszylinder-Boxer aus dem 911 Carrera mit einer betont sportlichen Fahrwerksabstimmung, mechanischer Hinterachs-Quersperre und einer optionalen Hinterachslenkung. Geschaltet wird über ein Porsche-Doppelkupplungsgetriebe. Wer Handarbeit mag, ordert jedoch die Version mit manueller Schaltung. Wie damals bei Elford und Co. Und natürlich werden – genau wie damals – ausschliesslich die Hinterräder angetrieben.
Die Action an der Monte Carlo findet auf den Bergstrassen im Hinterland statt. Bei Dunkelheit, Schnee und Regen entscheidet gutes Handling nicht nur über Sieg und Niederlage, sondern auch über Ankommen oder Abfliegen. Aber schon im Getümmel des fürstlichen Stadtstaats glänzt der Carrera T mit seiner Benutzerfreundlichkeit: Der Druckpunkt der Kupplung sitzt am rechten Fleck, die Gänge schalten sich knackig, aber geschmeidig, alles geht uns mühelos von der Hand. In der Enge bleibt der Elfer übersichtlich, bietet trotz seiner Kompaktheit genügend Stauraum– ohne die optionale Rückbank umso mehr. Was uns gelegen kommt, denn wir wollen campen auf unserem Retro-Rallye-Roadtrip.
Kurvenjagd mit Bett am Dach
Zugegeben, das seit 2022 erhältliche Tequipment-Dachzelt aus dem offiziellen Porsche-Zubehör macht den Gewichtsvorteil des T zunichte. Dass es bei unserem pythongrünen Exemplar über einem Carbondach thront, hilft auch nur bedingt. Aber immerhin: Mit dem T samt Dachzelt wiegen wir nur 20 Kilo mehr als ein PDK-geschalteter 911 Carrera ohne Dachzelt – Pi mal Daumen. Neben dem Dach und der abwesenden Rückbank tragen auch Leichtbauglas und weniger Dämmung zur Gewichtsreduzierung bei.
Wir fahren raus aus der Stadt, die Strassen aber bleiben eng und unübersichtlich. Schon die Anfahrt zum berühmten Col de Turini erfüllt uns mit Respekt. Die Fahrbahn wurde hier regelrecht in den Fels gestemmt, windet sich wie ein schmaler Saum um den Berg herum. Links ragt das Gestein bedrohlich in die Fahrbahn, rechts manifestiert sich eine radhohe Mauer. Dahinter stürzt der Blick in die Tiefe.
Ab jetzt jagt eine Kurve die nächste, die Strecke lässt sich selten einsehen, überrascht wieder und wieder: Schlaglöcher, Geröll auf der Strasse, Gegenverkehr. Im Rallye-Alltag haben die Fahrer dann und wann noch mit übermütigen Zuschauern zu tun – und mit dem erwähnten Schwarzeis, sofern nicht Schnee den Boden vollständig bedeckt.
Vertrauen zwischen Piste und Passagieren schafft also allenfalls ein ausbalanciertes Gefährt. Was sich in der Stadt schon andeutete, bestätigt sich hier draussen: Seine gezielt sportliche Abstimmung erleichtert die Handarbeit und macht den T leicht kontrollierbar. Wir bremsen stilecht mit links, können so die Lastwechsel genau nach unseren Wünschen feintunen. Plus: Wir stehen notfalls schneller auf der Bremse. Auf dem Weg hinein in die Kurve halten wir hier und da den Pedaldruck etwas länger aufrecht, können so mit noch mehr Grip an der Vorderachse einlenken.
Ab der Kurvenmitte steigen wir dosiert rauf aufs Gas. Das Heck setzt sich und verzahnt die Pirellis unter der Last des Boxers im Asphalt. Vor allem aber die Lenkung schafft das Gefühl unmittelbarer Verbundenheit. Leichtgängig genug, um dem Piloten die Arbeit nicht zu erschweren, und doch mit genügend Widerstand, um den Strassenzustand in die Fingerspitzen zu übertragen – wichtig für Rallyes, die naturgemäss auf wechselnden Untergründen stattfinden.
Nächstes Mal im Januar!
Selbstverständlich gewinnen wir auf unserer Ausfahrt nur eine vage Idee vom Mythos Monte. Wir verstehen aber sehr wohl, was Elford meinte, als er die Vielseitigkeit des Elfers pries. „Der 911 packt alles“, tönen seine Worte in unseren Ohren, als wir wieder unten am Fusse des legendären Turini unser Nachlager aufschlagen. An ein Dachzelt und Camping-Equipment hat er damals sicher nicht gedacht.
Während das letzte Licht zwischen den Bergen verschwindet, malen wir uns aus, wie es wäre, wenn gleich die Rallye-Boliden ums Eck geflogen kämen. Ja, wir hätten doch schon im Januar kommen sollen! Zur „Nacht der langen Messer“ am besten. Und wir fragen uns, was „Quick Vic“ wohl halten würde vom Carrera T. Nur zu gern sähen wir ihn jetzt mit Vollspeed an uns vorbeirauschen.
Info
Text: Philipp Aeberli
Fotos: David Künzler