„In unserer Familie waren Autos zwar immer wichtig, aber als Vater mit drei Kindern fährt man nicht einfach einen Sportwagen, selbst wenn man seit über 20 Jahren bei Porsche arbeitet“, gesteht Jens Dietz, Leiter Aftersales bei der Porsche Schweiz AG, und lenkt seinen Wagen auf den Rathausplatz in Leuk. „Aber der Wunsch war in all den Jahren – auch während der Familienkombi-Zeit – stets vorhanden und logischerweise sollte es ein 911 sein“, ergänzt er lachend, während er Ausschau nach seinem Bruder hält. „Schliesslich habe ich einen 17 Jahre alten 996 gefunden und ihn mir gekauft.“
Der 2+2-Plätzer kam als fünfte Elfer-Generation Ende 1997 auf den Markt und war der erste mit einem wassergekühlten Sechszylinder-Boxermotor. Um ihn nicht mit dem kleineren Boxster verwechseln zu können, mit dem er sich damals einige Komponenten teilte, wurde im Heck auf das durchgehende Leuchtband zumindest vorübergehend verzichtet. In der Front wurde er mit den wegen ihrer Form auch „Spiegeleier“ genannten Scheinwerfern versehen.
Vom kleinen, beschaulichen Walliser Dörfchen aus will Jens Dietz zusammen mit seinem Bruder Jörg einen Teil der Grand-Tour-Etappe zwischen Zermatt und Lausanne unter die Räder nehmen. Die „Grand Tour of Switzerland“ verbindet die Strassen zwischen den wichtigsten Sehenswürdigkeiten in der Schweiz zu einem einzigartigen Roadtrip. Zu der insgesamt rund 1.600 Kilometer langen Route gehören 22 Seen und 13 UNESCO-Welterbestätten, selbstverständlich zählt auch der mit 2.429 Metern über dem Meeresspiegel höchste Pass der Schweiz, der Furka, zu dieser aussergewöhnlichen Rundreise.
Lange muss Jens Dietz vor der Sommerresidenz der Bischöfe aus dem 15. Jahrhundert mit den rundbogigen romanischen Fenstern und der markanten Glasspitze von Stararchitekt Mario Botta nicht warten. Schon rollt ein weiterer 996 auf den Leuker Kopfsteinpflasterplatz. „Mich hat es anfangs etwas gefuchst, dass ausgerechnet mein Bruder als erster in der Familie zum Porsche-Besitzer wurde. Schliesslich war ich der car guy in der Familie“, gesteht Jens Dietz. Nun haben beide einen 996 und sind beide emotional verbunden mit ihren Sportwagen aus Zuffenhausen. Jörg Dietz, Professor für Organizational Behavior an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Lausanne, erfreut sich an dem Design, das zu Beginn etwas umstritten war. Die Rundungen spiegeln genau die damalige Mode Ende der 90er-Jahre wider. „Danach wurden die Modelle wieder kantiger und aggressiver“, erläutert Jörg Dietz. „Während der Fahrt hat man immer die beiden vorderen Kotflügel im Sichtfeld. Zudem ist das Modell schon mit ABS und PSM versehen und absolut alltagstauglich“, urteilt er zufrieden. „Ich muss anmerken, dass es sich bei den Rückleuchten des 996 meines Bruders nicht um die Originallampen handelt“, ergänzt der Porsche-Fachmann in Jens Dietz. Sein Bruder schmunzelt nur.
Kommentare zu den „Spiegeleiern“ freuen die Brüder regelrecht: „Diese sanften und zugleich dynamischen Linien bewundere ich jedes Mal, bevor ich mich hinters Steuer setze“, erklärt Jens Dietz. „Mich faszinierte der 996 schon immer, da ich damals als Produktmanager bei der Porsche AG beispielsweise für die Schneeketten, Sportendrohre und das Dachträgersystem dieses Modells zuständig war.“ Die Brüder verbinden sehr viele positive Momente mit ihren 996 und schätzen es, einmal ganz ohne Zeitdruck unterwegs zu sein. Dann starten sie ihre Etappe auf der Grand Tour: Von Leuk geht’s zunächst runter ins Tal und entlang der Rhône weiter durchs Wallis. An den Porsche-Seitenfenstern ziehen die auf den Hügeln über Sion thronende Festung von Valère aus dem 11. Jahrhundert und das Schloss Tourbillon vorbei.
Auf der Höhe von Martigny überlegen die Brüder kurz, ob noch ein Abstecher zur Fondation Pierre Gianadda mit ihrem Skulpturenpark und der Oldtimer-Sammlung mit rund fünfzig Fahrzeugen aus den Baujahren 1897 bis 1939 eine Option wäre. Oder ob man die Abtei Saint-Maurice mit einem der reichsten Klosterschätze Europas, der auch schon im Louvre ausgestellt wurde, für eine Stippvisite ansteuern sollte. Sie entscheiden sich, rechts abzubiegen und die beiden 996 kurz zur ehemaligen Residenz der Ritter von Aigle zu lenken. Das Château d’Aigle liegt eingebettet in die bekannten Chasselas-Reben der Region und beherbergt ein kleines Museum für Wein, Reben und Weinetiketten.
„Für mich geht es beim Elfer nicht nur ums Fahren, Anschauen oder Besitzen, sondern auch um die Gewissheit, dass man vom Wagen mehr Leistung verlangen kann, wenn man Lust darauf hat“, so Jens Dietz mit verschmitztem Grinsen. „Ich schätze diese Dynamik des Wagens enorm.“ Daher sollten es für den Detailliebhaber auch unbedingt noch Sportendrohre und Turbo-Look-Alufelgen mit dem Design vom 993-Turbo sein. „Was sehr speziell ist: Wir haben beide einen 996 mit einem Heckscheibenwischer, den es aber eigentlich gar nicht braucht“, so Jens Dietz. Sein Bruder ergänzt: „Meiner hat sogar Parksensoren, auf die ich ebenfalls gut hätte verzichten können. Jedoch war es eher ein Spontankauf, den ich nie bereut habe. Ich hatte einen zusätzlichen Job und gönnte mir vom Zusatzverdienst den Porsche“, erinnert sich Jörg Dietz, während er am weltbekannten Wasserschloss Chillon vorbei Richtung Montreux fährt: „Ich habe den Wagen von einer Privatperson gekauft, die in die Niederlande zog und sich daher von ihrem Wagen trennen wollte.“
Die beiden 996 fahren weiter durchs schmucke Montreux, dem Austragungsort des legendären Jazz Festivals. Seit 1967 treten am Genfersee Stars wie Queen, James Brown oder Frank Zappa auf. Deep Purple nahmen nach dem Casinobrand von 1971 hier sogar den Welthit Smoke on the Water auf. Auf der Avenue Claude Nobs rollen die Porsche an der Miles Davis Hall und dem berühmten Fairmont Le Montreux Palace vorbei.
Weiter geht die Tour an mondänen Villen vorbei und entlang dem türkisblau schimmernden See bis Vevey. Hier könnten Jörg und Jens Dietz zwar einen Zwischenstopp in der Chaplin’s World einlegen, die dem gleichnamigen Stummfilmstar gewidmet ist, oder dem Alimentarium mit einer Dauerausstellung zu Lebensmitteln und der Geschichte des Weltkonzerns Nestlé, doch sie ziehen es vor, weiter Richtung Lavaux zu fahren.
Sie passieren die ersten Ausläufer der Weinterrassen des Lavaux und das Winzerdörfchen Saint-Saphorin, ehe sie im malerischen Cully Halt machen. Hier lassen die beiden im kleinen Restaurant Au Major Davel direkt bei der Schiffsanlegestelle den Tag auf ihrem Teilstück der Grand Tour mit den beiden Porsche nochmals Revue passieren und sind sich absolut einig: „Nur wir zwei und unsere beiden 996, das hat enormen Spass gemacht – das sollten wir unbedingt wiederholen.“