Tylers Weg zum Glück

Unterwegs mit dem Filmproduzenten Tyler Thompson in seiner Heimatstadt New Orleans. Der Streifzug wird zur unterhaltsamen Zeitreise durch Thompsons bewegtes Leben.

Natürlich ist das völlig verrückt, was an diesem Frühlingsabend im Tipitina’s passiert, der legendären Musikkneipe in New Orleans. Tyler Thompson, der so grandiose Filme wie „Black Swan“, „Everest“ oder „The Trial of the Chicago“ 7 produziert hat, steht auf der Bühne. Der 34-Jährige spielt Gitarre und besingt die USA als „Land of The Free“, als den „Ort der Freien“. Es ist solide Rockmusik zum Fusswippen mit Textzeilen, die zum Nachdenken anregen: „You and me, we’ve got this thing that’ll fade if we stop runnin‘.“ – „Du und ich, wir haben da was am Laufen, aber das wird vergehen, wenn wir aufhören, davonzurennen.“ 

Tyler Thompson, 2021, Porsche AG
Neuerfindung: Tyler Thompsons Mut und Neugier wirken überfallartig. Als er keine Filme drehen konnte, beschloss er kurzerhand, Musiker zu sein.

Draussen steht ein Tourbus. Thompson hat ihn einfach gekauft, so wie er während der Pandemie einfach beschlossen hat, Musiker zu sein. An diesem Abend spielt er zum ersten Mal vor Publikum, wobei das bedeutet: Schwiegervater, ein Kumpel und der grosse Musikfotograf Danny Clinch. Auf der Tafel am Eingang steht: „Die Null-Fans-Tour – nur diese eine Nacht“. 

Tyler Thompson, 356 B, New Orleans, 2021, Porsche AG

Völlig verrückt? Natürlich, aber: Sind nicht am Ende oft die erfolgreich, die verrückt genug sind, an eine Idee zu glauben – und verrückt genug, sie auch umzusetzen? In „Land of The Free“ heisst es dazu: „Yeah we’re dreamers who believe we can turn nothing into something.“ – „Jawohl, wir sind Träumer, die daran glauben, aus dem Nichts etwas erschaffen zu können.“

So sind sie hier in New Orleans, das wird einem auch am Nachmittag vor dem Konzert bei der Spazierfahrt in Thompsons elfenbeinfarbenem Porsche 356 B von 1963 bewusst. Diese kleinen Gassen mit den Voodoo-Läden, all die schnuckeligen Restaurants mit frischem Fisch, die Livemusik an fast jeder Strassenecke. Wenn man kurz anhält, sprechen einen Bewohner sofort an, was zugegebenermassen auch am Auto liegt. Und dann reden plötzlich Fremde wie Freunde miteinander. Sie pflegen, obwohl es insgesamt fast 400.000 Einwohner sind, dieses schrullige Kleinstadtlebensgefühl. Das führt unweigerlich dazu, dass ein Tourist nach nur einer halben Stunde in dieser Stadt glaubt, jede Ecke und jeden Menschen zu kennen – ja, sich heimisch zu fühlen.

Dieses Gefühl vermittelt auch Thompson: Er behandelt einen sofort nach dem Kennenlernen wie einen langjährigen Freund. Ein Indiz, dass dieses Verrückte bei ihm eher eine Mischung aus Neugier und Mut ist, die sich als roter Faden durch sein Leben zieht. Neugier und Mut sind zwei Eigenschaften, die der Mensch oft verlernt, wenn er erwachsen wird.

„Es ist diese Coolness, die mich immer wieder zu Porsche zurückführt.“ Tyler Thompson

„Wissen Sie denn eigentlich, wie ich Produzent geworden bin?“, fragt er, als er in die berühmte Mardi-Gras-Partymeile Bourbon Street einbiegt, kurz parkt und zwischen lockeren Gesprächen mit Spaziergängern einen Netflix-Deal am Telefon einfädelt. Dabei strahlt er mit diesen braunen Lausbubenaugen, weil er genau weiss, dass die folgende Geschichte köstlich ist. Er hatte das Studium abgebrochen und langweilte sich kolossal in der Lastwagenfirma, die er gemeinsam mit seinem Vater Tim gegründet hatte. Er hörte, dass die mittlerweile verstorbene Schauspielerin Brittany Murphy das Ende der Dreharbeiten in New Orleans mit einer Party feiern würde: „Ich wollte da unbedingt hin!“

Tyler Thompson und seine Familie, 2021, Porsche AG
Lebensfreude: Familie Thompson geniesst das Flair von New Orleans. Vor allem im French Quarter reiht sich ein Musiklokal ans nächste.

Tyler borgte sich heimlich einen beeindruckenden Sportwagen aus der Garage des Vaters, fuhr einfach mal vor und tat so, als würde er dazugehören. Er durfte rein, und dann ging alles ganz schnell. Er lernte Leute aus der Filmbranche kennen, die luden ihn nach Los Angeles ein. „Ich habe mir falsche Visitenkarten gedruckt und so getan, als würde ich eine Cateringfirma leiten; ich dachte, so könnte ich vielleicht einen Fuss in die Tür kriegen“, sagt er lächelnd. Doch es kam alles anders.

356 B, Carrera GT, 2021, Porsche AG

Er fand, kein Scherz, auf dem Rücksitz eines Taxis ein Drehbuch. „Ich hatte davor noch nie eines gelesen“, gibt er zu. Von diesem Moment an war er gefesselt von dieser faszinierenden, aber eben bisweilen auch gnadenlosen Branche. Er wollte aus diesem Drehbuch den Film „Burning Palms“ machen und bat seinen Vater um Unterstützung.

Der ist, das sollte man wissen, ein hemdsärmeliger Typ, der sich mit dem Sohn noch immer bei jeder Gelegenheit freundschaftlich kabbelt. Also zum Beispiel darüber, wem dieser seltene Porsche Carrera GT gehört, von dem nur 1.270 Exemplare hergestellt wurden. Er gehört dem Vater. Tim Thompson ist reich geworden in der Ölbranche und hat zahlreiche Firmen gegründet, die allesamt mit Ärmel-Hochkrempeln zu tun haben. Und aus dieser Warte blickte er zunächst eher ungläubig auf die Träume des Sohnes von einem Leben als Künstler. Er wusste aber auch, dass Tyler keineswegs verrückt, sondern mutig und neugierig war. Mit diesen Eigenschaften konnte er was anfangen, also investierte er in den Tylers Traum.

Dieses erste Projekt war ein grandioser Flop, doch spornte das den Junior nur noch mehr an. Die harte Lektion wurde die Basis für die Unternehmensgründung von Cross Creak Pictures. Tyler hatte vom Vater den Ehrgeiz geerbt, nicht beim ersten Scheitern aufzugeben. Das Drehbuch von „Black Swan“, davor von anderen Produzenten abgelehnt, faszinierte ihn. Er produzierte den Ballett-Thriller für 13 Millionen Dollar. Tylers Gespür zahlte sich aus: „Black Swan“ spielte weltweit rund 330 Millionen Dollar ein, Natalie Portman bekam den Oscar als beste Hauptdarstellerin.

Tyler und sein Vater Tim Thompson, 356 B, Carrera GT, 2021, Porsche AG
Raumgefühl: Tyler und sein Vater Tim Thompson sind sich absolut einig darüber, dass 5,7 Liter Hubraum im Porsche Carrera GT einen fulminanten Resonanzkörper ergeben.

Ebenfalls vom Vater angenommen hat er die Leidenschaft für Porsche. „Ich habe viele Autos probiert, manche wollte ich unbedingt haben; aber es ist diese Coolness, die mich immer wieder zu Porsche zurückführt“, sagt er über die Marke.

„Sei neugierig, nicht wertend“, hat der grosse amerikanische Poet Walt Whitman einmal gesagt. Thompson versucht, sich an diesen Satz zu halten und auch andere dafür zu begeistern: „Ich habe mal vor Filmstudenten gesprochen, draussen wurde gerade gedreht. Ich sagte: ‚Ihr müsstet eigentlich da draussen sein! Redet mit Autoren, der Regisseurin, der Crew. Dort lernt ihr mehr als hier drinnen!‘“

Sumpf, New Orleans, 2021, Porsche AG
Ruhepol: Hundert Kilometer südwestlich von New Orleans prägen Sümpfe die Landschaft. Das
New Orleans, 2021, Porsche AG
Das Bootshaus ist der Rückzugsort der Familie.

Er erzählt die Geschichte, wie er den Film „Everest“ nur deshalb produziert hat, weil er sich in der Lobby eines Hotels umhörte, worüber sich die Leute so unterhielten. Er schnappte das Gespräch über eine Expedition zum höchsten Berg der Welt auf, gesellte sich hinzu – und zwei Jahre später eröffnete die Abenteuergeschichte die Filmfestspiele von Venedig.

Natürlich hört sich das einfach an, doch: Wer sucht wirklich in einer Lobby nach Inspiration und spricht zwei Fremde an? Thompson ist so einer, und deshalb kann er die Geschichte erzählen, wie er Red-Hot-Chili-Peppers-Sänger Anthony Kiedis bat, ihm das Surfen beizubringen und Tyler dabei beinahe ertrunken wäre. Oder wie er 2018 – erfolgreich – versucht hat, als Qualifikant bei dem bedeutenden Tennisturnier von Indian Wells aufgenommen zu werden. So gehen fast alle Tyler-Thompson-Anekdoten: augenzwinkernd, selbstironisch, die Helden sind andere. Und vielleicht sagt er genau deshalb über seine Karriere als Produzent, dessen Filme innerhalb von zehn Jahren mehr als eine Milliarde Dollar eingespielt haben: „Da war schon sehr, sehr viel Glück dabei.“ So ziemlich jeder, der ihn seit Jahren kennt, ob Schwiegervater, Kumpel oder Bandmitglied, sagt, dass dies das Glück des Tüchtigen sei.

Tyler Thompson, 356 B, New Orleans, 2021, Porsche AG
Musikmetropole mit Flair: In New Orleans ist Tyler Thompson zu Hause. Mit seinem elfenbeinfarbenen Porsche 356 B von 1963 zeigt er uns seine Stadt.
Tyler Thompson und seine Familie, 2021, Porsche AG
Enge Verbindung: Mit seiner Familie verbringt er so viel Zeit wie möglich. Auch beim Fotoshooting sind Frau und Kinder ganz selbstverständlich dabei.
Tyler Thompson, 2021, Porsche AG
Neue Wege: Schon lange träumte Thompson davon, Musiker zu werden. Er begriff die Pandemie als Chance – und verfolgt ehrgeizig wie immer sein neues Ziel.
Tyler Thompsons Band gibt in der Musikkneipe Tipitina's ihr Debüt, 2021, Porsche AG
Bewährungsprobe: In der legendären Musikkneipe Tipitina’s gibt Thompsons Band ihr Debüt. Noch ist das vor grossem Publikum nicht möglich.
Tyler Thompson, Tipitina's, 2021, Porsche AG
Lampenfieber: Auch ein Tyler Thompson ist nervös auf der Bühne. Anfangs. Dann verliert er sich in fast kindlicher Freiheit und singt seine Lieder.
Tyler und Tim Thompson, 2021, Porsche AG
Familienbande: Mit seinem Vater Tim teilt Tyler Thompson nicht nur den Ehrgeiz, Ziele zu verwirklichen, sondern auch die Liebe zu Porsche. Gemeinsam geht es zum Bootshaus – natürlich in einem Porsche.
Tyler Thompson, 2021, Porsche AG
Rückzugsort: Im Bootshaus der Familie, idyllisch gelegen in der Sumpflandschaft südwestlich von New Orleans, geniesst Tyler Thompson Ruhe und tankt Energie.
Tyler Thompson, 356 B, New Orleans, 2021, Porsche AG
Sympathische Prominenz: In New Orleans bleibt Tyler Thompson nicht lange unerkannt. Die Fans lieben seine Filme wie „Black Swan“ und „The Trial of the Chicago 7“. Thompson nimmt sich gerne Zeit für ein Gespräch.

Es gibt Menschen, die in Krisen ängstlich werden, und es gibt andere, die in schwierigen Zeiten regelrecht aufblühen. Thompson konnte keine Filme drehen, das verstand er als Aufforderung an sich selbst, wie er in Land of „The Free“ singt, zum Träumer zu werden und aus dem Nichts etwas zu erschaffen. Es gelingt ihm, weil er zum einen den Mut hat, es zu versuchen und andere ungeniert um Hilfe zu bitten; zum anderen, weil er schnell lernt, wie im Gespräch auffällt. Er stellt dauernd Fragen, hört geduldig zu, versucht zu analysieren. Den ganzen Nachmittag über ruft er immer wieder bei seiner Frau an, um sich Erlebnisse erzählen zu lassen – als hätten die beiden nicht den ganzen Vormittag gemeinsam mit ihrer Tochter und den drei Söhnen gespielt.

„Ich sah die Pandemie als Chance, meinen Musikertraum zu verwirklichen“, sagt Thompson, der zugibt, dass er erst die Schritte zwei bis fünf machte. Also: Tourbus kaufen, Aufnahmestudio buchen, Auftritte planen, Produzent anheuern. Er engagierte Steve Jordan, der bereits Musik von Grössen wie Keith Richards, Eric Clapton und John Mayer produzierte und ausserdem zu den begehrtesten Schlagzeugern der Szene gehört. „Erst danach habe ich bemerkt, dass ich wohl Gesangsunterricht nehmen sollte. Weil die Stimme auf der Bühne anders klingt als unter der Dusche“, reflektiert Tyler. Er nahm sich Zeit, absolvierte den nötigen ersten Schritt, feilte an Songs und Stimme. Dann war es an der Zeit, die Werke aufzuführen – bei diesem Null-Fans-Konzert.

New Orleans, 2021, Porsche AG

Thompson steht auf der Bühne im Tipitina’s. Man merkt, wie nervös er zu Beginn ist, obwohl nur ein paar Leute da sind. In der Mitte des ersten Liedes erinnert er sich aber an eine dritte kindliche Fähigkeit, die Erwachsene oft verlernen: Einfach mal Spass haben! Und plötzlich spielt diese Drei-Mann-Band, als wäre die Kneipe rappelvoll.

„Wir sind Träumer, die daran glauben, aus dem Nichts etwas erschaffen zu können.“ Tyler Thompson

Natürlich hat Thompson Konzerte für die nächsten Monate organisiert, natürlich wird das Album erfolgreich sein – nicht nur deshalb, weil Tyler Thompson verrückt genug war, seinen Traum umzusetzen. Sondern weil es einfach gute Musik ist von einem, der immer das tut, was er gerade tun will.

Info

Text erstmalig erschienen im Porsche-Kundenmagazin Christophorus, Nr. 399.

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