Sie ist die erste jemals neu gebaute Ballettschule Deutschlands. 90 Meter lang, eingebettet in ein Filetgrundstück der Innenstadt, ein Spagat über zehn Ebenen in Hanglage. Stufen wie die einer Karriereleiter.
„Nirgendwo sonst können Schüler mit den grossen Tänzern in einer Reihe stehen.“ Tadeusz Matacz
„Für Ballettbegeisterte ist das Stuttgarter Ensemble das, was für Autofans der Name Porsche ist”, sagt Tadeusz Matacz, seit 1999 Direktor der John Cranko Schule. Ihren herausragenden internationalen Ruf erlangte Stuttgart als Tanzstadt bereits Anfang des 18. Jahrhunderts, als der Württembergische Hof die grossen Stars der Pariser Oper in die Stadt holte. Seit dem sogenannten Stuttgarter Ballettwunder in den 1960er-Jahren unter Choreograf John Cranko blickt die ganze Welt in die schwäbische Hauptstadt.
Die enge Anbindung der Schule an das Stuttgarter Ballett ist aussergewöhnlich. „Nirgendwo sonst auf der Welt können die Schüler erste Erfahrungen als Teil der Compagnie machen und mit den grossen Tänzern in einer Reihe stehen. Das ist einmalig“, erklärt Matacz. Die überschaubare Zahl von 120 Schülern ermögliche zudem, mit jedem einzelnen intensiv zu arbeiten.
Markante Ästhetik, exzellente Komposition
Geradlinig und präzise gestaltete das Büro Burger Rudacs Architekten aus München die Schule als monumental imposante Geste: Terrassenartig schmiegt sich das Gebäude ins Gelände. Frei sollen sich die jungen Tänzer hier fühlen. „Wir glauben, dass Architektur und Ballett Wesensgemeinsamkeiten aufweisen“, erläutert Architektin Birgit Rudacs. „Beide Disziplinen behandeln Fragestellungen der Komposition, des Raumes und der Rhythmik, die in der Raumplastik der John Cranko Schule behandelt und, wie wir meinen, auch beantwortet sind.“
Anhand der Staffelung des Baukörpers lässt sich seine Nutzung ablesen. Im mittleren Bereich sind acht mit deckenhohen Spiegeln versehene Probesäle und die Verwaltung untergebracht, am Zugang der Werastrasse befindet sich der Internatsbereich für 80 Schüler. Einzigartig ist die Errungenschaft einer Probebühne, die exakt der Bühne des Opernhauses entspricht und einen Zuschauerraum für 200 Personen bietet. Sie ist als Black-Box-Theater im Innern des Hauses verborgen und tritt am Urbansplatz durch das grosse Foyerfenster in Erscheinung.
Weitläufige Flure, Säle und Treppen sind geprägt von hellem Sichtbeton. Klar, beruhigend, konzentriert. Kein Gestaltungsmerkmal lenkt ab vom Wesentlichen, dem Tanz. Durch grosse Fenster und vom Balkon sind das nahe Opernhaus und das Stadtpanorama allgegenwärtig.
Ziel und Publikum immer im Blick. Für die Schüler stellt dieser identitätsstiftende motivierende Ort räumlich eine wesentliche Verbesserung dar. „Unser vorheriges Domizil war in einem erbärmlichen Zustand“, erinnert sich Matacz an uninspirierte kleine Räume, deren Deckenhöhe keine grossen Sprünge erlaubte.
Tanz – eine Sprache, die jeder versteht
Aus 26 Nationen kommen die 120 Schüler der John Cranko Schule. Die meisten leben im neuen hauseigenen Internat. „Junge Menschen aus der ganzen Welt werden hier unter optimalen Ausbildungsbedingungen gefördert“, erklärt Andreas Haffner, Porsche-Vorstand für Personal und Sozialwesen. „Dadurch entsteht etwas sehr Wichtiges: Vielfalt! Auch in den Perspektiven. Mit mehr als 80 Nationalitäten in unserer Belegschaft wissen wir, wie wertvoll diese Vielfalt ist.“ Zwischen dem Stuttgarter Ballett und Porsche finden sich Analogien.
„In der Kultur werden über Jahrhunderte geprägte Stilformen immer wieder neu gestaltet. Gerade John Cranko war stets daran gelegen, seine Kunst permanent weiterzuentwickeln. Seine Choreografien schaffen Brücken zwischen Alt und Neu, zwischen Moderne und Klassik. Seine Offenheit und sein Drang zur Veränderung passen zu Porsche“, begeistert sich Haffner.
„Es entsteht etwas sehr Wichtiges: Vielfalt!“ Andreas Haffner
Tradition und Innovation. Kultur berührt Menschen weltweit. Für Porsche, seit 2012 Hauptsponsor des Stuttgarter Balletts, ist die Verbindung eine Herzensangelegenheit. Den Neubau unterstützte das Unternehmen mit zehn Millionen Euro.
Tadeusz Matacz freut sich besonders auf die Arbeit im Richard-Cragun-Saal, einem Proberaum ohne direktes Tageslicht: „Für mich wird das der interessanteste Saal sein, in dem es zu einer Verdichtung der Atmosphäre zwischen den Agierenden und der Musik kommt. Dieser Raum ermöglicht höchste Konzentration und Inspiration. Die Krönung ist ein besonderer Flügel mit aussergewöhnlichem Klang. Wie auf der Bühne, wo die Tänzer nur umgeben von Musik und Licht verbunden sind mit den Göttern und diese Magie weitergeben an das Publikum.“ Dafür braucht man eine aussergewöhnliche Gabe – und eben einen besonderen Ort.
John Cranko
„John Cranko war eine unglaubliche Persönlichkeit. Wie ein Magnet zog er die grössten Tänzer seiner Zeit an. Er steht für das grosse Bedürfnis nach höchster Qualität, Kunst und Emotion“, sagt Tadeusz Matacz. Nach seiner Ausbildung in Kapstadt begann die Karriere des Ausnahmechoreografen Cranko am Royal Ballet in London. Anfang der 1960er-Jahre kam er zunächst als Gastchoreograf nach Stuttgart und führte die Compagnie als Leiter innerhalb von nur zwölf Jahren zu Weltruhm. 1971 gründete Cranko die erste staatliche Ballettschule im damaligen Westdeutschland, die seit 1974 seinen Namen trägt.
Gabriel Figueredo
Der Tänzer Gabriel Figueredo war erst zwölf Jahre alt, als Tadeusz Matacz ihn zum ersten Mal in Brasilien sah. „Dass Körper und Musik so miteinander verschmelzen, ist sehr selten. Es ist ein Privileg, dass er zu uns nach Stuttgart kam.“ Vielfach ausgezeichnet, steht dem heute 20-Jährigen als Mitglied des Stuttgarter Corps de Ballet eine grosse Karriere bevor.
Mizuki Amemiya
Ihre Ballettausbildung begann die in Tokio geborene Mizuki Amemiya an der privaten Schule Hattori Ayako Ballet Class in ihrer Heimatstadt. 2014 brachte Matacz sie an die John Cranko Schule nach Stuttgart, wo sie 2017 ihren Abschluss machte. Als Hoffnungsträgerin im Stuttgarter Corps de Ballet begeistert ihr Tanz durch Grazilität und Leichtigkeit.
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche-Magazin Christophorus, Nr. 396.
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