Nach einem langen, spannenden Tag auf dem Goodwood Festival of Speed sassen meine deutschen Kollegen und ich bei einem wohlverdienten Feierabend-Drink zusammen. Das Dröhnen der Motoren klang noch in unseren Ohren als wir über die Eigentümlichkeiten des englischen Biers, das nicht kalt genug serviert wird, und die Schönheit Grossbritanniens, wenn es gerade einmal nicht regnet, scherzten.
Bald diskutierten wir die Unterschiede zwischen deutschem und britischem Humor. Dabei erwähnte ich, dass ein Verwandter von mir wohl Urheber eines Sketches ist, der über die Feiertage regelmässig im deutschen Fernsehen gezeigt wird. Nur eine Randbemerkung; ich hatte bis dato kaum darüber nachgedacht. Doch das Gespräch brach plötzlich ab.
Plötzlich bombardierte mich die eine Hälfte des Tisches – die deutsche Hälfte – mit Fragen: „Meinst du Dinner for One?“, wollte jemand wissen. „Ich liebe diese Sendung!“, lächelte der Nächste. „Das ist eine feste Institution zu Silvester“, erklärte der Kollege zu meiner Rechten. „Als Kind habe ich das Stück jedes Jahr gesehen – es dann zum erste Mal mit meiner Tochter am Fernseher zu verfolgten, war schon ein Erlebnis.“ „Was soll das heissen – ein Verwandter hat das Stück geschrieben?“, fragte ein anderer Kollege erstaunt. „Wie kann man das nicht sicher wissen?“, tönte es vom anderen Ende des Tischs.
Während die anwesenden Briten zunehmend verwirrt wirkten, warfen sich unsere Freunde aus Zuffenhausen Zitate an den Kopf, beschrieben ihre jeweiligen Lieblingsszenen und brachen immer wieder in schallendes Gelächter aus. Dann folgte die Schelte für mich: Wie könne es sein, dass ich die Sendung noch nie gesehen hatte? Mir wurde unmissverständlich aufgetragen, weitere Informationen einzuholen und herauszufinden, ob wirklich mein Verwandter der Autor des Stücks ist.
Es wurde spät an diesem Abend – trotzdem ging mir die Unterhaltung nicht mehr aus dem Kopf. Also fing ich an – wie man es heute tut – zu googeln. Ich fand schnell einige erstaunliche Fakten über Dinner for One, den 18-minütigen, in englischer Sprache aufgeführten Schwarzweiss-Sketch über den 90. Geburtstag der adeligen Miss Sophie.
Die am häufigsten wiederholte Fernsehproduktion aller Zeiten
Für alle, die die Handlung nicht kennen: James, der Butler von Miss Sophie, nimmt beim Abendessen nacheinander die Rollen der längst verstorbenen Freunde seiner Chefin ein. In jeder Rolle stösst er erneut mit Miss Sophie an und wird dabei immer betrunkener, woraus sich die Komik ergibt. Das Besondere: Seit 1972 wird die Sendung immer an Silvester ausgestrahlt, auf unterschiedlichen Sendern zu unterschiedlichen Tageszeiten, damit sie ja niemand verpasst.
Auch in Österreich, der Schweiz, Dänemark, Norwegen und Schweden wird der Sketch alle Jahre wieder gesendet. Kein Wunder, dass Dinner for One im Guinness-Buch der Rekorde einen Eintrag für die am häufigsten wiederholte Fernsehproduktion aller Zeiten hat. Millionen Menschen sehen zu – immer wieder. Die Sendung nimmt einen so wichtigen Platz im nationalen Bewusstsein ein, dass selbst Angela Merkel schon in einer Rede daraus zitiert hat. In einer Parodieversion spielen sie und der französische Präsident Macron die Hauptrollen; eine andere stellt das Geschehen mit animierten LEGO-Figuren nach.
Zu meiner Freude gibt es sogar ein Trinkspiel zu Dinner for One – und dennoch ist die Sendung in der englischsprachigen Welt praktisch unbekannt.
Daher brauchte es einiges an Recherche und einen regen E-Mail-Austausch mit den Familienhistorikern in der Verwandtschaft, um zu bestätigen, dass Dinner for One tatsächlich von meinem Grossonkel Maurice Samuelson stammt, dessen Künstlername Lauri Wylie war.
Es stellte sich heraus, dass sich Lauri in den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts als Schauspieler versuchte und auch „Bücher“, wie man damals sagte, für Varietésketche und Theaterstücke schrieb – eines davor zusammen mit dem göttlichen P. G. Wodehouse.
Ausserdem wirkte Lauri bei einigen Stummfilmen von G. B. Samuelson mit, seinem Bruder und meinem Grossvater, der zu den allerersten Pionieren der britischen Filmindustrie gehörte. Bedauerlicherweise starb Lauri bevor Dinner for One berühmt wurde und lange vor meiner Geburt. Trotzdem beschloss ich die Geschichte mithilfe eines kleinen Auto-Ausflugs weiterzuverfolgen.
Da ich schon lange Porsche-Fan bin und mich meine Porsche-Kollegen auf die Spurensuche gebracht hatten, erschien es mir angemessen, die Fahrt am Standort der Porsche-Niederlassung im Londoner Stadtteil Mayfair zu beginnen – nur einen Katzensprung von Theatreland entfernt, wo sich mein Grossonkel seinerzeit gerne aufhielt. Im Zentrum der britischen Hauptstadt traf ich mich also mit Automobilfotografen Mark Fagelson, der mich als Copilot auf der Reise begleiten sollte. Unsere erste Station war das Prince of Wales Theatre, wo Dinner for One 1934 uraufgeführt wurde.
Als wir uns den Weg durch den dichten Verkehr im London des Jahres 2019 bahnten, fühlte ich zum ersten Mal den Nachhall der Schritte meines Grossonkels. Vor langer Zeit stand Lauri hier auf der Bühne. Er würde die prachtvollen alten Gebäude auch heute noch wiedererkennen, trotz Grossflächen-Reklame davor.
Von hier aus brachte uns der 911 nach Norden in die Grafschaft Lancashire. Dort liegt der Geburtsort von Lauri und rein zufällig auch mein aktueller Wohnort.
Lauri starb 1951 kinderlos und in Armut. Er war ohne grossen Reichtum aufgewachsen, in einer Wohnung über dem Tabakladen seiner Eltern in der Küstenstadt Southport. An der Wand des Gebäudes, das heute einen Spielsalon beherbergt, erinnert eine Gedenktafel an die Geburtsstätte meines Grossvaters. Ein lohnendes Ziel für uns. Zunächst legten wir aber einen Zwischenstopp zu Hause im Gebiet des Forest of Bowland ein, um noch ein wenig in den Familienarchiven zu stöbern. Dabei ergab sich eine überraschende Wendung in der Geschichte.
Meine Porsche-Kollegen und ich hatten auch darüber diskutiert, wieso dieser überaus englische Sketch ausgerechnet in Deutschland so viel Anklang findet. Online sind viele Artikel dazu zu finden – doch im Familienarchiv stellte sich heraus, dass Lauri deutsche Wurzeln hatte. Unsere Ahnentafel zeigt, dass sein Vater (also mein Urgrossvater) auf dem Gebiet des damaligen Preussens geboren wurde. Erst in den 1840er-Jahren wanderte er aus und landete nach einem kurzen Aufenthalt in Dublin schliesslich in der Nevill Street 41 in Southport, dem letzten Ziel von Mark Fagelson und mir auf unseren Roadtrip.
Noch immer habe ich Dinner for One nicht gesehen, aber Silvester ist es so weit. Mit meiner Frau und den Kindern werde ich den Grundstein für eine neue britisch-deutsche Tradition legen. Wir werden auf meinen Grossonkel anstossen und auch auf die grossartigen Menschen aus Zuffenhausen trinken, die uns auf diesen lustigen wie eigenartigen Schwarzweiss-Sketch aufmerksam gemacht haben. Wie der Butler immer so schön sagt: „Cheerio, Miss Sophie!“
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Text: Ben Samuelson
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