Plattform für China: ein neues Steuergerät für Infotainment-Systeme

In China sind digitale Ökosysteme in den letzten Jahren mit hoher Geschwindigkeit gewachsen. Heute sind sie ein fester hochintegrierter Lebensbestandteil im Alltag. Dies hat entsprechende Auswirkungen auf die Erwartungshaltung an Infotainmentsysteme im Fahrzeug. Im Rahmen der Modellpflege haben Porsche und Porsche Engineering deshalb gemeinsam mit einem chinesischen Lieferanten ein neues Steuergerät für die Infotainment-Systeme der Porsche-Modelle Boxster, Cayman und Macan entwickelt – in Rekordzeit und „in China für China“.

Für chinesische Käufer spielt das Infotainmentsystem beim Fahrzeugkauf eine besonders große Rolle. Sie erwarten unter anderem eine komfortable, dialogorientierte Sprachsteuerung und die Verfügbarkeit populärer landesspezifischer Apps, zum Beispiel für den mobilen Zugriff auf Musik, Podcasts, Videos, Messengernachrichten sowie die Bereitstellung von Echtzeitinformationen mittels Cloud-vernetzter Karten- und Navigationsfunktionen. Zahlreiche lokale Verkehrsleitsysteme sind Cloud-integriert, sodass beispielsweise die Wartezeit vor der roten Ampel als Echtzeitinformation zur Verfügung steht und mit entsprechenden Apps dem Fahrer als Countdown angezeigt werden kann.

„Dafür muss ein Fahrzeug mit entsprechender Hard- und Software sowie einer ansprechenden Benutzeroberfläche ausgestattet sein. Darum unterziehen wir unsere Fahrzeuge regelmäßig einer Modellpflege, damit sie mit den sich rasch entwickelnden Kundenerwartungen Schritt halten können“, berichtet Michael Ackermann, Fachreferent Digital Baureihe Macan bei der Porsche AG. „Daher wurde 2022 beschlossen, für den 718 und den Macan eine neue Android-basierte Infotainment-Plattform zu entwickeln, die für die aktuellen Internet-Services in China geeignet ist und das bietet, was die Kunden von uns erwarten.“ 

Michael Ackermann, Fachreferent Digital Baureihe Macan bei Porsche, 2024, Porsche AG
Michael Ackermann, Fachreferent Digital Baureihe Macan bei der Porsche AG

Anspruchsvoller Zeitplan

So sollte das neue Infotainmentsystem unter anderem Zugriff auf populäre Apps bieten, zum Beispiel „Ximalaya“ für Nachrichten und Podcasts, WeChat für Messages, „iQIYI“ für Videostreams, und Kuwo Music, ein Streamingdienst vergleichbar mit Spotify. Verbesserungen waren auch für das Navigationssystem geplant, das künftig Karten und Verkehrsleitinformationen des chinesischen Anbieters Amap nutzen sollte. Die Sprachsteuerung sollte dank der neuen Software ebenfalls auf das nächste Level gehoben werden und umgangssprachliche Befehle wie etwa „Ich will zum Bahnhof und unterwegs tanken!“ problemlos verarbeiten können.

Neben der Technik gab es eine weitere Herausforderung: den anspruchsvollen Zeitplan. Wegen der rasanten technischen Entwicklung im Infotainment-Bereich sollte das Projekt möglichst schnell abgeschlossen werden. „So entstand die Idee, einen Lieferanten in China zu suchen, der die Entwicklung in China für China übernehmen konnte“, erklärt Ackermann. Hier kam Porsche Engineering ins Spiel: Das Unternehmen hat einen großen Entwicklungsstandort in Shanghai, viele einheimische Ingenieure und zahlreiche Testmöglichkeiten vor Ort. „Wir haben im Frühjahr 2022 ein internationales Team aus Kollegen in Deutschland und China gebildet“, sagt Thomas Pretsch, Leiter des Fachbereichs Infotainment bei Porsche Engineering. „Unsere erste Aufgabe bestand darin, die aktuellen Kundenerwartungen zu ermitteln und verschiedene chinesische Lieferanten zu bewerten. Außerdem haben wir alle Spezifikationen zusammengetragen, also für die Hard- und Software sowie für das Benutzer-Interface.“

Die Aufgabe des künftigen Lieferanten war ebenso klar wie anspruchsvoll: Es sollte ein neues Infotainmentsystem entstehen, das auf dem aktuellen Stand der Technik war – aber ohne dass der Umstieg auf die neue Lösung Änderungen an den beiden Fahrzeugmodellen erfordern würde. „So mussten unter anderem die Größe, die Aufnahmepunkte und die Belüftung gleich bleiben“, erklärt Pretsch. Nach einer umfangreichen Marktanalyse und einem „Proof of Concept“ durch zwei Lieferanten empfahl Porsche Engineering eine der beiden Firmen als Hersteller des neuen Infotainmentsystems. Das Unternehmen produziert unter anderem Head Units, Komplettbildschirme und Lösungen für das Rear Seat Entertainment. „Dieser Lieferant hatte eine geeignete Plattform als Basis für eine Neuentwicklung im Programm“, sagt Stefanie Ebert, die bei Porsche Engineering für die Leitung des Projektes verantwortlich ist. „Außerdem hat das Unternehmen bereits für Volkswagen gearbeitet, sodass man dort die Konzernprozesse kannte und an viele Systeme schon angebunden war.“

„Die Zusammenarbeit war hervorragend – und wir haben in kurzer Zeit viele neue Features zu den Kunden gebracht.“ Michael Ackermann, Fachreferent Digital Baureihe Macan bei Porsche

Porsche folgte der Empfehlung, und nach der Auswahl des Lieferanten galt es, das Projekt möglichst schnell zu starten. Um eine effiziente und schnelle Zusammenarbeit zu gewährleisten, stellte Porsche Engineering in Shanghai ein eigenes Entwicklerteam auf, zu dem mehrere Funktionsverantwortliche gehörten – zum Beispiel für das Navigationssystem und die Sprachsteuerung „Digital Assist“. Zu den Aufgaben der Entwickler zählten die Steuerung des Lieferanten und die Festlegung der Funktionsdefinitionen. Zudem begleiteten und stimmten sie alle Anpassungen der Benutzeroberfläche ab, ohne dabei die typische Porsche- Optik aus den Augen zu verlieren.

Stefanie Ebert, Projektleiterin bei Porsche Engineering, 2024 Porsche AG
Stefanie Ebert, Projektleiterin bei Porsche Engineering

„Zusätzlich zur täglichen Kooperation mit dauerhaft eingesetzten Resident-Engineers des Lieferanten bei Porsche Engineering China fanden mindestens einmal pro Woche in China Meetings zu neuen Software-Releases statt“, berichtet Ebert. Zudem stimmten sich die Entwickler von Porsche Engineering in Shanghai permanent mit ihren Kollegen in Deutschland ab. Diese waren wiederum die Schnittstelle zur Porsche AG, unter anderem zu den Verantwortlichen im Entwicklungsbereich Infotainment und User-Interaction. Axel Huber, Projektleiter im Bereich Infotainment und User-Interaction der Porsche AG: „Uns war es wichtig, einen kompetenten Partner zu haben, der die Prozesse bei Porsche kennt und selbstständig und eigenverantwortlich agieren kann, ohne bei wichtigen Entscheidungen die notwendigen Rücksprachen mit uns aus den Augen zu verlieren. Die Zusammenarbeit mit Porsche Engineering und dem Systemlieferanten war stets sehr konstruktiv.“ Weitere Schnittstellen zu Porsche waren die Baureihen Macan und 982 sowie die Qualitätsabteilung, der Einkauf und der Vertrieb.

Das systematische Testing von Hard- und Software wurde von Porsche Engineering in Shanghai durchgeführt. „Dabei profitierten wir von der lokalen Expertise und den Marktkenntnissen unserer chinesischen Kollegen“, berichtet Ebert. „Hinzu kommt: In Deutschland wären viele Tests überhaupt nicht möglich gewesen, weil sich zum Beispiel das installierte Kartenmaterial bewusst auf China beschränkt.“

In kürzester Zeit zum Erfolg

Neben der Anpassung der Benutzeroberfläche an das Porsche-Design und den strikten Bauraum-Vorgaben erwies sich auch die elektrische Kompatibilität des neuen Infotainmentsystems zu bestehenden Komponenten wie Bedienelementen, Kombiinstrument und Rückfahrkamera als technische Herausforderung. Da ein Großteil der Kunden sich für einen Bose-Verstärker in ihrem neuen Macan oder 718 entscheiden, musste sich auch dieser via Lichtwellenleiter an die neue Hardware anschließen lassen. „Dafür nutzen wir MOST als Schnittstelle, womit der Lieferant aber noch keine Erfahrungen gesammelt hatte“, so Pretsch. „Die chinesischen Ingenieure arbeiteten sich mit großem Engagement in das für sie neue Thema ein und konnten auch diese Schnittstelle erfolgreich in die neue Hardware-Plattform integrieren.“ Nachdem sichergestellt war, dass die Entwicklung allen umfangreichen Anforderungen gerecht wurde, erteilte Porsche Engineering die Freigabeempfehlung für das neue Infotainmentsystem.

„In Deutschland wären viele Tests überhaupt nicht möglich gewesen, weil sich zum Beispiel das installierte Kartenmaterial bewusst auf China beschränkt.“ Stefanie Ebert, Projektleiterin bei Porsche Engineering

Porsche und Porsche Engineering führten dieses anspruchsvolle Projekt gemeinsam mit dem Lieferanten in kürzester Zeit zum Erfolg: Ende September 2023 startete in China die Produktion des neuen Infotainmentsystems, Ende November begann in Deutschland der Einbau in die Macan- und Boxster- beziehungsweise Cayman-Fahrzeuge, die Anfang 2024 an die ersten Kunden ausgeliefert wurden. Wie anfangs geplant, mussten die Fahrzeuge dafür nicht verändert werden – selbst der Kabelstrang mit seinen zahlreichen Verbindungen zur Infotainment-Hardware blieb genau gleich. „Die Kollegen in der Produktion können nur am Label erkennen, dass sie in die Fahrzeuge für China eine andere Hardware einbauen“, freut sich Ackermann.

„Trotz der sehr engen Zeitschiene von nur 18 Monaten haben wir das Projekt im vorgegebenen Zeit- und Kostenrahmen abgeschlossen“, fasst Ackermann zusammen. „Normalerweise hätten wir dafür drei Jahre gebraucht. Das konnten wir nur erreichen, weil wir interne Prozesse verkürzt und auf das Wesentliche reduziert haben – natürlich ohne Abstriche in Bezug auf Qualität oder rechtliche Vorgaben zu machen.“ Der Zulieferer habe großes Engagement gezeigt und alle Herausforderungen schnell gelöst. Auch die Zusammenarbeit mit Porsche Engineering war aus seiner Sicht vorbildlich: „Wir hatten während des Projekteseinen intensiven Austausch, wobei die Kollegen immer sehr gut vorbereitet waren. Insgesamt war die Zusammenarbeit hervorragend – und wir haben in kurzer Zeit viele neue Features zu den Kunden gebracht.“

Info

Text erstmals erschienen im Porsche Engineering Magazin, Ausgabe 1/2024.

Text: Christian Buck

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