Teloché bei Le Mans, Anfang der 1970er-Jahre. Das Porsche-Team bereitet sich hier in einer kleinen Werkstatt auf das 24-Stunden-Rennen vor. Es ist fast dunkel, als Motoreningenieur Valentin Schäffer dem damaligen Leiter der Rennabteilung, Ferdinand Piëch, und dem Leiter der Versuchsabteilung, Helmuth Bott, begegnet. „Ich erinnere mich noch genau“, erzählt der heute 92-jährige Schäffer, als wir ihn im Porsche Museum treffen. „Piëch fragte mich, was halten Sie von einem Turbo? Sie wissen doch, wir wollen in die Can-Am-Serie gehen.“
Große Erfolge in Le Mans
In Le Mans und in der Markenweltmeisterschaft war Porsche 1970 und 1971 mit dem 917 äußerst erfolgreich. Aber durch die Entscheidung der Regelhüter, nur noch Motoren mit maximal drei Litern Hubraum zuzulassen, hätte man mit dem 4,5-Liter-Motor in der nachfolgenden Saison nicht mehr antreten können. Deshalb steht jetzt ein Wechsel in die Can-Am-Serie (Canadian-American Challenge Cup) an. Sie bietet den Technikern ein Schlaraffenland. Der Fantasie und der Ingenieurskunst sind dort kaum Grenzen gesetzt. Die Wettbewerber treten teilweise mit 800 PS starken Achtliter-V8-Motoren an, deshalb braucht Porsche eine Alternative zum bewährten 4,5-Liter-V12-Saugmotor des 917. Experimente mit einem deutlich schwereren V16-Aggregat verlaufen im Sand, weil das Handling nicht überzeugt. Die Lösung könnte ein Turbomotor sein, doch niemand bei Porsche hat damit praktische Erfahrung.
Dabei ist die Technologie nicht neu, das erste Patent stammt aus dem Jahr 1905. In den 1960er- und 1970er-Jahren kommen Turbolader bei Dieselmotoren in Lkw, vereinzelt bei Pkw-Straßenmodellen und in Ovalrennen zum Einsatz. Ausgereift ist die Technik nicht.
Das Prinzip des Turboladers ist einfach erklärt
Das verbrannte Luft-Kraftstoff-Gemisch strömt aus dem Zylinder in die Abgasanlage und treibt auf dem Weg dorthin eine Turbine an. Die ist über eine Welle mit einem Verdichterrad auf der Einlassseite verbunden. Dieses presst Frischluft unter Druck in den Brennraum des Motors und ermöglicht so eine effizientere Verbrennung. Nach der Begegnung in Teloché bilden der verantwortliche Motorenentwickler Hans Mezger (1929–2020), Valentin Schäffer sowie weitere Ingenieure das, was man heute einen Thinktank nennen würde. Der 4,5-Liter-Saugmotor des 917 soll mit zwei Abgasturboladern aufgerüstet werden und bis zu 735 kW (1.000 PS) liefern. Das Team leistet Pionierarbeit – und schafft damit auch die Basis für den späteren Einsatz des Turbomotors in der Serie. Geheimhaltung ist oberstes Gebot.
Die Turbolader stammen von einem Zulieferer, der Erfahrungen mit Lkw-Motoren vorweisen kann. Erste Versuche auf dem Prüfstand bei Porsche verlaufen teilweise kurios. Zur Messung des Ladedruckes werden Quecksilbersäulen verwendet. „Als wir den Motor zum ersten Mal angelassen und Gas gegeben haben, spritzte alles aus den Röhren und regnete uns über die Köpfe“, erinnert sich Schäffer und lacht. „Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen.“
Es gilt jedoch, den Turbo zu zähmen
Am 30. Juli 1971 legt Werksfahrer Jo Siffert die ersten Kilometer im offenen 917/10 mit Turbo-Aggregat auf dem Hockenheimring zurück. Ein historischer Tag. „Mit den Fahrversuchen standen wir vor neuen Aufgaben“, erklärt Schäffer. „Die Fahrer sind teilweise in den Kurven geradeaus gefahren oder haben sich gedreht, weil die Leistung beim Beschleunigen so unerwartet einsetzte.“ Für diese Überraschungen sorgt das sogenannte Turbo-Loch – das charakteristische verzögerte Ansprechverhalten beim Gasgeben. Bis der Druck auf der Einlassseite aufgebaut ist, dauert es jeweils einen Moment. Dann aber entfaltet sich die Leistung brachial. Auf Ovalkursen ist das kein Problem, weil dort fast nur unter Volllast gefahren wird. Für Kurse mit engeren Kurven und vielen Lastwechseln gilt es jedoch, den Turbo zu zähmen, ihn fahrbarer zu machen.
Mit einem Bypass-Ventil – auch Wastegate genannt – finden die Porsche-Ingenieure eine praktikable Lösung. Es öffnet sich bei zu hohem Ladedruck und leitet die Abgase am Turbolader vorbei. Dadurch wird einerseits der Motor geschont, andererseits lässt sich das Turbo-Loch besser regulieren. So kann man Turbolader verwenden, die im niedrigen Drehzahlbereich genügend Ladedruck generieren. Porsche wagt 1972 als einziger Hersteller das Turboexperiment in der Can-Am-Serie. Maßgeblich an den Entwicklungsfahrten beteiligt ist Rennfahrer und Ingenieur Mark Donohue. Bei der Rennpremiere im 917/10 Spyder am 11. Juni im kanadischen Mosport unterbietet der US-Amerikaner den Rundenrekord auf Anhieb um vier Sekunden. Das sind im Rennsport Welten.
Zahlreiche Siege für den Porsche 917
Nach 19 Runden rollt Donohue mit einem Defekt an die Box. Schäffer identifiziert das Problem schnell. „Wegen einer eingeschnappten Zugfeder war eine Klappe hängengeblieben. Ich schlug mit einem Hammer gegen die Achse, da sprang die Feder wieder auf“, berichtet der ehemalige Porsche-Ingenieur. Donohue holt zwei Runden Rückstand auf und wird am Ende noch Zweiter. Wegen einer Verletzung muss er bei den weiteren Rennen pausieren. Ersatzfahrer George Follmer gewinnt bei seinem Debüt auf der Road Atlanta. Insgesamt sechs Siege und der Titel in der Can-Am-Serie gehen 1972 auf das Konto des 917/10 Spyder.
Im folgenden Jahr schreibt der 917/30 die Erfolgsgeschichte fort. Der weiterentwickelte luftgekühlte Zwölfzylinder mit 5,4 Litern Hubraum entfaltet eine Leistung von mehr als 800 kW (rund 1.100 PS). Über ein Dampfrad im Cockpit kann der Fahrer den Ladedruck regeln. Beim Start wird hochgedreht, im Lauf des Rennens herunter. Das entlastet den Motor und spart Kraftstoff. „Die Leistung war beim Turbo nie das Problem, wir mussten aber die Temperatur aller Komponenten im Blick haben“, sagt Schäffer. Donohue gewinnt 1973 sechs von acht Rennen der Can-Am-Serie und fährt den Meistertitel ein. Im Jahr darauf ist Porsche nur noch bei einem Rennen am Start, denn die Regelhüter haben ein Verbrauchslimit eingeführt. Die Serie findet nach dieser Saison ohnehin ein jähes Ende. Infolge der Ölkrise und einer Rezession in Nordamerika ziehen sich die Sponsoren zurück.
Ab dem Jahr 1972 gehen private Rennteams mit dem 917 bei der Interserie – dem europäischen Pendant zur Can-Am-Serie – an den Start. 1975 startet auch Porsche nur noch in der Interserie. Im furiosen Finale wartet für den 917 in diesem Jahr ein Weltrekord. Zum ersten Mal sind Ladeluftkühler verbaut. Sie kühlen die stark erhitzte Ansaugluft herunter. Durch die höhere Dichte der kälteren Luft steigt der Füllungsgrad im Zylinder, die Leistung erhöht sich. Auf dem 4,28 Kilometer langen Oval Talladega Superspeedway im US-Bundesstaat Alabama schafft Donohue ein Durchschnittstempo von 355,84 km/h, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 382 km/h. Der Rekord bleibt zehn Jahre lang unangetastet.
Porsche konzentriert sich mittlerweile wieder auf den 911. Die Abgasturboaufladung hält nun auch im 911 Carrera RSR Turbo 2.1 Einzug. „Wir konnten viele Erkenntnisse aus dem 917 weiterverwenden“, sagt Schäffer. Erste Testfahrten mit dem rund 368 kW (500 PS) starken Elfer finden im November 1973 auf dem südfranzösischen Circuit Paul Ricard statt. Bei den 24 Stunden von Le Mans im Jahr 1974 sorgt der Carrera RSR als erstes Modell mit Turbomotor in der Marken-WM für eine Sensation: In der Sportwagenklasse angetreten, behaupten sich Gijs van Lennep und Herbert Müller gegen die favorisierten, wesentlich leistungsstärkeren Prototypen und werden Zweite im Gesamtklassement. „Das war unglaublich. Das hat es vorher nie gegeben“, schwärmt Schäffer.
„Wo andere Motoren aufhören, fängt der Turbo erst an“
Die revolutionäre Turbotechnik, die Mezger und Schäffer im Rennsport etablieren, bildet dann auch die Grundlage für den Porsche 911 Turbo, der 1974 in Paris präsentiert wird. Hans Mezger bringt die Faszination des damals stärksten Seriensportwagens der Marke auf den Punkt: „Wo andere Motoren aufhören, fängt der Turbo erst an.“
Info
Text erstmals erschienen im Christophorus Magazin, Ausgabe 411.
Text: Bianca Leppert
Fotos: Unternehmensarchiv Porsche AG
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