In China spielt das Smartphone im täglichen leben eine Schlüsselrolle. Welche chinesische App ist für Sie besonders wichtig?
Dr. Jens Puttfarcken: Meine zwei wichtigsten Apps sind WeChat und Alipay. Alipay benutze ich einerseits zum Bezahlen, andererseits bekomme ich damit Zugang zu Gebäuden. Ich kann mit der App aber auch ein Fahrrad buchen oder ein Taxi rufen.
Kurt Schwaiger: Ich lasse meine Geldbörse seit langer Zeit zu Hause. Neben WeChat und Alipay ist mir die Navigations-App auf meinem Handy sehr wichtig. Sie sagt mir ganz genau, bis wohin ich mit meinem Autokennzeichen fahren darf, und hat mich noch nie im Stich gelassen.
Dr. Peter Schäfer: Im Dialog mit Menschen vor Ort in China hilft mir eine Übersetzungs-App. Es ist faszinierend und bereichernd, damit in den unmittelbaren sprachlichen Austausch zu kommen.
Wie wichtig sind Kooperationen mit der Wissenschaft für Ihre Arbeit?
Schwaiger: Sehr wichtig. Porsche Engineering pflegt eine langjährige Kooperation mit der Tongji-Universität. 2018 haben wir das Tongji Porsche Engineering Symposium ins Leben gerufen, das Top-Manager aus der chinesischen Automobilindustrie zusammengebracht hat und 2020 wegen Corona leider verschoben werden musste. Wir unterstützen mit unserem Wissen außerdem das studentische DIAN-Rennteam der Tongji-Universität bei der Entwicklung ihres E-Fahrzeugs für die Formula Student Electric. Zudem halten unsere Experten dort Lehrveranstaltungen ab, um den Studenten die neuesten Entwicklungen zu vermitteln. Und schließlich unterstützen wir den Lehrstuhl für intelligente und vernetzte Fahrzeuge. Gemeinsam mit Porsche China ist eine erstklassige Kooperation entstanden, bei der beide Seiten ihre jeweiligen Erfahrungen austauschen, die Wissenschaft und Ausbildung fördern und Technologien vorantreiben.
Apps stellen nur einen kleinen Ausschnitt technologischer Entwicklungen in China dar. Was findet darüber hinaus aktuell statt?
Puttfarcken: Zum Beispiel die fortschreitende Vernetzung. Die großen Städte sind seit letztem Herbst alle komplett mit 5G ausgestattet. Zum Beispiel für das Entsperren von Fahrzeugen wird die Gesichtserkennung immer wichtiger. Und schließlich dürfte die Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz bereits vorhandene Technologien und Anwendungen noch anwenderfreundlicher machen.
Schwaiger: Bezogen auf die Fahrzeugentwicklung spielt vor allem 5G eine sehr wichtige Rolle, etwa für das autonome Fahren. Viele Startups arbeiten hier an Lösungen wie etwa Robotertaxis oder selbstfahrenden Fahrzeugen. Porsche Engineering befindet sich in Jiading, wo es ein 30 Quadratkilometer großes Testgebiet gibt. Es ist vollständig mit 5G-Infrastruktur ausgestattet. Autonomes Fahren ist in der Öffentlichkeit erlaubt, und es finden täglich Tests mit dieser Technologie statt.
Schäfer: Wichtig zu wissen ist: In China wird die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Infrastruktur eine entscheidende Rolle spielen. Die genannten Technologien führen daher zu neuen Möglichkeiten, etwa bei Fahrerassistenzsystemen oder beim automatisierten Fahren. China ermöglicht eine enorm schnelle Entwicklung in diesem Bereich, gleichzeitig fordern auch die Kunden hier solche neuen Lösungen.
Puttfarcken: Ein weiteres großes Thema sind elektronische Bauelemente. Es gibt derzeit einen akuten Chipmangel, weshalb sich China stärker von außen unabhängig machen möchte – etwa durch eine eigene Produktion. Es kann darum sein, dass das Land in wenigen Jahren seine eigene Technologie aufgebaut hat und dann technologische Anforderungen an Chips stellt, die sich am heimischen Markt orientieren und von der westlichen Welt nicht ohne Weiteres erfüllt werden können.
Welche Rolle spielt die Politik dabei?
Puttfarcken: Sie setzt mit ihren Fünfjahresplänen die Rahmenbedingungen. Man muss dabei verstehen: Ein Fünfjahresplan gleicht heute einer Unternehmensstrategie. Er definiert strategische Ziele, mit deren Umsetzung einzelne staatliche Stellen, aber auch Provinzen oder Unternehmen beauftragt werden. Die Umsetzung dieser Zielvorgaben fließt in die Bewertung von CEOs oder Parteisekretären ein, ist also ein wichtiger Karrierefaktor. Vor diesem Hintergrund versteht man auch die Geschwindigkeit, mit der hier Dinge umgesetzt werden. Im neuesten Fünfjahresplan sind für uns drei Themen wichtig. Erstens: China will die inländische Kaufkraft stärken und insbesondere die Nachfrage im Premiumsektor steigern. Gleichzeitig möchte man sich für ausländische Investitionen öffnen und stärker in den Export gehen. Alles geht einher mit der Tendenz, sich von westlichen Technologien zu entkoppeln und noch stärker auf Eigenentwicklungen zu setzen. Zweitens: China will ab 2030 den Anstieg der Kohlendioxid-Emissionen stoppen und 2060 CO2-neutral sein. Drittens: Die Regierung will Technologien wie Künstliche Intelligenz stärker fördern, um in diesen Bereichen Marktführer zu werden.
Schwaiger: Die Loslösung von westlichen Standards können wir bei der E-Mobilität sehen, zum Beispiel bei den chinaspezifischen Standards für die Ladetechnik. Aber auch die starke Förderung von eigenen E-Autos ist deutlich, zum Beispiel durch die staatliche Unterstützung von Startups aus diesem Bereich. Zugleich schafft China große Anreize für Konsumenten, sich ein Elektrofahrzeug zu kaufen – finanzieller Art, aber auch dadurch, dass man in Zukunft die Innenstädte vielleicht nur noch mit einem Elektrofahrzeug befahren darf.
Die chinesische Gesellschaft verändert sich ebenfalls. Wie bekommen Sie das zu spüren?
Puttfarcken: Unsere Kunden sind im Schnitt 35 Jahre alt und fast zur Hälfte Frauen. Wenn das so bleibt, werden die meisten Porsche-Käufer in fünf bis zehn Jahren Angehörige der Generation Z sein, also zwischen 1995 und 2010 geboren. Diese Generation ist wie überall auf der Welt mit der Digitalisierung aufgewachsen. Ständige Vernetzung ist für diese jungen Chinesen völlig normal. Chinaspezifisch ist allerdings: Diese Generation kennt keine schlechten Zeiten mehr. Wachsender Wohlstand ist für sie selbstverständlich, gerade der Konsum im Premium- und Luxussegment wird positiv gesehen. Das starke Wirtschaftswachstum und sicher auch das erfolgreiche Agieren während der Corona-Pandemie stärken diese Generation in ihrer Sicht, im weltweit besten System zu leben, das auch in Zukunft Wachstum und Konsum garantiert.
„Porsche Engineering in Shanghai spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Validierung von Funktionen für den chinesischen Markt.“ Kurt Schwaiger
Welche Auswirkungen ergeben sich daraus für die Automobilindustrie?
Schäfer: Die jungen Kunden erwarten von ihren Fahrzeugen digitale Funktionen, die sie auch vom Smartphone gewöhnt sind. Außerdem erleben wir generell einen schnellen Wechsel der Trends und Technologien: Die Generation Z wird ihre Anforderungen in immer kürzeren Intervallen ändern. Unsere Herausforderung dabei ist, flexibel und schnell zu sein – und mit diesen Trends zu gehen. Aus diesem Grund brauchen wir kurze Innovationszyklen. Eine wesentliche Voraussetzung ist auch, vor Ort zu sein. Nur so kann die Industrie die chinesischen Kunden verstehen sowie neue Technologien entwickeln und erproben. Mit unserem Standort in Shanghai sind wir dafür gut aufgestellt. Dort entwickeln wir die digitalen Fahrzeugtechnologien des intelligenten und vernetzten Fahrzeugs der Zukunft.
Puttfarcken: Wir müssen für unsere Kunden aus der Generation Z relevant bleiben. Das bedeutet, aktuelle Entwicklungen genau zu beobachten und sie schnell umzusetzen. Deshalb ist die Zusammenarbeit mit Porsche Engineering und Porsche Digital so wichtig. Denn gerade im digitalen Bereich sehen wir die größten Anforderungen aus dem Markt.
Drei Megatrends sind E-Mobilität, Konnektivität und autonomes Fahren. Was tut sich hier?
Puttfarcken: China ist der größte Markt für batterieelektrische Fahrzeuge: Mehr als 1,5 Millionen E-Autos sind hier auf den Straßen unterwegs. Rund 50 Prozent davon sind im Prinzip Scooter mit vier Rädern und einer etwas größeren Fahrgastzelle. Doch auch hier geht der Trend inzwischen zu größeren Modellen aus dem C und E-Segment (Kompakt beziehungsweise obere Mittelklasse). Gemeinsam ist gerade den neueren Fahrzeugen ein hoher Grad an standardmäßiger Digitalisierung: Sie bieten zum Beispiel Gesichtserkennung und autonomes Einparken – bis hin zu Features, die aus westlicher Sicht nicht nötig sind, zum Beispiel weithin sichtbare Lichtkonzerte an Kühler und Heck oder individuelle Farb und Beleuchtungskonzepte im Inneren.
Schwaiger: In den vergangenen zehn Jahren hat man in China gelernt, Autos mit hoher Qualität zu bauen. OEMs entwickeln ihre Standardkomponenten mittlerweile selbst. In der nächsten Stufe geht es um intelligente elektronische Systeme, die sehr stark mit der Infrastruktur vernetzt sind. Der Trend geht in China klar in Richtung internetgestütztes Auto.
Wie geht Porsche mit diesen Trends und Herausforderungen um?
Puttfarcken: Wir werden in Zukunft die Anforderungen aus dem chinesischen Markt noch stärker und noch früher in unsere Prozesse integrieren. Wir bekommen hier vor Ort Informationen aus erster Hand, und diese fließen in die Entwicklung und Erprobung ein, die wir gemeinsam mit Porsche Engineering lokal durchführen. Denn in Deutschland können wir keine Produkte für die chinesische Verkehrsinfrastruktur entwickeln.
„Wir bekommen hier vor Ort Informationen aus erster Hand, und diese fließen in die Entwicklung und Erprobung ein, die wir gemeinsam mit Porsche Engineering lokal durchführen.“ Dr. Jens Puttfarcken
Welchen Ansatz verfolgt Porsche Engineering in China?
Schäfer: Wir haben eine lange Tradition der Zusammenarbeit mit chinesischen Kunden. Da wir seit mehr als 20 Jahren vor Ort sind, kennen wir den chinesischen Markt sehr gut und können dieses Wissen mit unserer spezifischen Expertise in der Automobil- und Softwareentwicklung kombinieren. Um die Anforderungen bei Innovationstreibern wie dem vernetzten Fahren und intelligenten Softwarelösungen erfüllen zu können, bauen wir unsere Zusammenarbeit mit unseren chinesischen Partnern und auch mit der Porsche AG vor Ort kontinuierlich aus. Wir sehen uns als Bindeglied zwischen dem Entwicklungszentrum in Weissach und den Aktivitäten in China. So wirken wir maßgeblich an den chinaspezifischen Eigenschaften und Funktionen eines Porsche-Fahrzeugs mit.
Schwaiger: Porsche Engineering Shanghai entwickelt Lösungen für chinesische OEMs und den VW-Konzern inklusive Porsche. Derzeit arbeiten bei Anting rund 100 Ingenieure in allen Bereichen der automobilen Mobilität. In Zukunft werden wir noch mehr chinaspezifische digitale Funktionen entwickeln. Es geht darum, die Funktionen der mobilen Geräte in das Fahrzeug zu integrieren, wie zum Beispiel WeChat oder Alipay. Daneben beschäftigen wir uns intensiv mit dem hochautomatisierten Fahren. Das kann man nur in der hier vorhandenen Verkehrsinfrastruktur entwickeln und testen.
Puttfarcken: Für uns ist das ein ideales Setup. Porsche China hat die Aufgabe, unsere Fahrzeuge in den Markt zu bringen. Dafür brauchen wir aber auch die technische Expertise von Porsche Engineering in China. Die Kooperation bietet uns die hervorragende Möglichkeit, Wünsche aus dem Markt vor Ort umsetzen zu können. Diese fruchtbare Zusammenarbeit wollen wir in Zukunft noch intensivieren.
Lokale Entwicklung und Tests in China sind also unverzichtbar?
Puttfarcken: Ja, denn hier gelten andere Verkehrsregeln, und auch beim Autofahren gibt es große Unterschiede. Denken Sie an die Hochstraßen oder daran, dass man zuweilen ganz nach rechts fahren muss, um links abzubiegen. Das kann man nur hier vor Ort testen.
Schwaiger: Zudem ist es nicht erlaubt, geobasierte Daten oder Videodaten außerhalb des Landes zu bringen. Porsche Engineering in Shanghai spielt deshalb eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Validierung von Funktionen für den chinesischen Markt.
Wie wird der chinesische Automobilmarkt im Jahr 2030 aussehen?
Puttfarcken: Der gesamte Automobilmarkt wird auch in Zukunft mit beachtlichen Raten wachsen und die Zahl der Neuzulassungen in den kommenden Jahren auf 30 Millionen steigen. Das Premium und Luxussegment dürfte sich dabei noch besser entwickeln als der Gesamtmarkt. Zugleich werden wir einen deutlichen Schub bei den batterieelektrischen Fahrzeugen erleben, weil sie den Einstieg in die digitale Vernetzung und digitalen Dienste leichter machen. So werden die Automobilhersteller ihre Produkte am besten mit der Lebenswirklichkeit ihrer Kunden verbinden, die eben stark von Vernetzung geprägt ist.
„Wir kennen den chinesischen Markt sehr gut und können dieses Wissen mit unserer spezifischen Expertise in der Automobil- und Softwareentwicklung kombinieren.“ Dr. Peter Schäfer
Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was essen Sie in China am liebsten?
Puttfarcken: Essen ist in China fast wie eine Religion. Alles ist von hoher Qualität und schmeckt hervorragend. Hier in Shanghai mag ich vor allem die Teigtaschen. Chinaweit ist mein Favorit die Sichuan-Küche mit ihrer Schärfe und Raffinesse.
Schäfer: Ich bin fasziniert von der unglaublichen Vielfalt der chinesischen Küche. Mein Favorit ist Gemüse aller Art. Das ist jedes Mal ein Hochgenuss für mich.
Schwaiger: Mich spricht vor allem die chinesische Kultur des Teilens an. Essen wird stets gemeinschaftlich verstanden. Diese offene Art schätze ich sehr – sie fördert den Austausch und Dialog.
Info
Text: Jost Burger
Fotos: Yolanda vom Hagen, Martin Stollberg
Text erstmals erschienen im Porsche Engineering Magazin, Ausgabe 2/2021.