20 Jahre, das klingt nach einer harmonischen Beziehung. Du bist überhaupt erst der vierte Designchef in der Markengeschichte – nach F.A. Porsche, Anatol Lapine und Harm Lagaaij. Woher kommt diese Konstanz im Designbereich von Porsche?
Michael Mauer: Kontinuität ist bei Porsche ein wichtiger Aspekt der Unternehmensphilosophie. Als Luxusmarke lebt Porsche davon, Dinge nicht ständig neu zu erfinden, sondern Gutes kontinuierlich weiterzuentwickeln. Konsistenz ist Teil einer starken Markenidentität. Auch persönlich scheint es zwischen dem Unternehmen Porsche und mir gepasst zu haben – sonst hätten mir Dr. Wolfgang Porsche oder Ferdinand Piëch zu Beginn meiner Arbeit schnell wieder den Stecker gezogen (lacht).
Porsche ist eine der wenigen grossen Automobilmarken, die von einer Familie geführt wird. Hat das einen Einfluss auf die Arbeit eines Designers?
Mauer: Es ist natürlich eine besondere Situation, einem Aufsichtsratsvorsitzenden, der den Namen Porsche trägt, in einer Präsentation zu erklären, warum man davon überzeugt ist, dass ein neues Modell trotz grösserer visueller Veränderungen noch immer ein echter Porsche ist. Daran musste auch ich mich erst einmal gewöhnen. Gleichzeitig wird in Unternehmen mit einer langen Historie langfristig gedacht, man folgt nicht jeder Mode. Das spiegelt sich auch in den Werten, der evolutionären Designkultur von Porsche wider – und stützt letztendlich gutes, zeitloses Design.
„Kontinuität ist bei Porsche ein wichtiger Aspekt der Unternehmensphilosophie.“ Michael Mauer
Trotz aller Kontinuität hast du in den vergangenen 20 Jahren eine neue Designkultur bei Porsche etabliert. Was hast du anders gemacht als deine Vorgänger?
Mauer: Als ich bei Porsche anfing, wurden bei Porsche nur drei Baureihen produziert – der 911, der Boxster und der Cayenne. Die Designer sassen im Hof zusammen und philosophierten über Linienführungen, Deadlines galten als ungefähre Richtwerte. Man nahm sich die Freiheit der künstlerischen Kreativität. Ich hatte bei Mercedes-Benz, Saab und GM die straffen Prozessketten der Grossindustrie kennengelernt – und habe mit diesem Wissen begonnen, den Designbereich von Porsche neu zu organisieren. Statt leitende Designer für einzelne Baureihen zu berufen, habe ich den Arbeitsprozess in die Bereiche Exterieur- und Interieurdesign sowie Colour and Trim aufgeteilt und mit den kompetentesten Designern für das jeweilige Spezialgebiet und dem passenden Mindset besetzt. Das hat sich in Sachen Designqualität ausgezahlt. Zuletzt wurde der Bereich User Experience beziehungsweise Driver Experience, wie wir das bei Porsche nennen, ausgekoppelt, weil die digitalen Schnittstellen zwischen Auto und Mensch immer mehr an Relevanz gewinnen.
Als Leiter Style Porsche hältst du in diesem komplexen Prozess alle Fäden in der Hand. Gleichzeitig musst du Freiräume schaffen für Kreativität. Wie gelingt dir das?
Mauer: Gerade in den frühen Phasen eines Projektes muss und möchte ich mich sehr zurücknehmen, das Briefing möglichst offen halten und meine eigenen Ideen nicht durchblicken lassen. Sonst würge ich die Kreativität meines Teams komplett ab und alle Entwürfe sehen gleich aus. Man muss sich bewusst sein: Die Wahrscheinlichkeit, dass der Entwurf eines Designers sich im internen Wettbewerb durchsetzt und tatsächlich auf die Strasse kommt, ist recht gering. Trotzdem möchte ich mein Team motivieren, Vollgas zu geben und an ihre Ideen zu glauben. Meine Aufgabe ist es dann, die wirklich guten, nachhaltigen Ideen herauszufiltern und intern zu verkaufen.
Bist du als Designchef also eigentlich ein Ideenverkäufer, der andere Abteilungen und den Vorstand von neuen Ansätzen überzeugen muss?
Mauer: Sagen wir es mal so: Im nächsten Leben studiere ich Politikwissenschaften und Rhetorik, fürs Zeichnen reicht ein Volkshochschulkurs (lacht). Aber im Ernst: Gute Ideen mit stimmigen Argumenten zu präsentieren, die Logik dahinter verständlich zu machen, und alle Entscheider mit auf die Reise zu nehmen ist sicherlich eine meiner wichtigsten Aufgaben.
Durch die Digitalisierung – und seit neuestem die künstliche Intelligenz – hat sich der Designprozess radikal verändert. Dennoch wird bei Porsche weiterhin gezeichnet und an Tonmodellen gefeilt. Warum?
Mauer: Die Digitalisierung hat unsere Prozesse radikal beschleunigt. Früher hat es mitunter Wochen gedauert, ein Modell zu überarbeiten. Heute wird es über Nacht neu gerendert und am nächsten Morgen sieht man bereits das Ergebnis. Mithilfe von KI kann ein Datenmodelleur in Minuten verblüffend realistische Visualisierungen erstellen. Wenn es aber um die Qualität von Flächenbehandlungen geht, sind physische Massstabsmodelle weiterhin unerlässlich. Man sieht es einem Auto an, ob es ausschliesslich am Computer entworfen wurde. Oder ob ein Designer ihm – wie beim Porsche 911 – per Hand den letzten Feinschliff gegeben hat. Ein geschulter Gestalter nimmt beim Kontakt mit einem 1:1-Modell im Raum intuitiv Dinge wahr, die ihm beim 3D-Modell nicht unbedingt auffallen würden. Zudem hat das Handwerk für die Identität und das Storytelling einer Luxusmarke eine ganz spezielle Bedeutung. Der menschliche Faktor ist und bleibt ein Verkaufsargument und Qualitätsmerkmal – gerade in Zeiten künstlicher Intelligenz.
„Der menschliche Faktor ist und bleibt ein Qualitätsmerkmal.“ Michael Mauer
Gleichzeitig hat sich aber der Designprozess dramatisch beschleunigt. Kann der menschliche Geist da überhaupt noch mithalten?
Mauer: Das stimmt. Aber egal ob ich als Designer ein Auto mit Stift und Papier oder am Tablet entwerfe – die geistige Leistung bleibt dieselbe. Früher hat es drei Tage gedauert, ein Modell fräsen zu lassen. Heute lässt sich das in einer Stunde umsetzen. Aber der kreative Verarbeitungsprozess lässt sich nicht unendlich beschleunigen. Man muss Ideen und Entwürfen weiterhin Raum geben, um wirken zu können. Und Gestaltern die Zeit einräumen, um nachzudenken und ihre Arbeit kritisch zu hinterfragen. Auch glückliche Zufälle beim Ausprobieren und Tüfteln – wir nennen sie „Happy Accidents“ – gehören dazu. Sie erhöhen schlussendlich die Designqualität.
Früher wurden Autodesigner vor allem als exaltierte Stylisten und Künstler betrachtet, die den Entwicklungen der Ingenieure eine schöne Hülle verliehen. In den vergangenen Jahrzehnten, und beeinflusst vom Siegeszuges des „Design Thinking“ im Silicon Valley, hat sich aber eine ganzheitlichere Definition des Designers durchgesetzt. Was ist deiner Ansicht nach heute und in Zukunft die Rolle eines Designers im Unternehmen?
Mauer: In der Vergangenheit war Automobildesign vor allem Verpackungsarbeit – wir kamen ins Spiel, wenn die Grundstruktur eines Autos bereits als Blaupause festgelegt war. Aber gutes Design lebt von perfekten Proportionen. Und die werden bereits beim Packaging definiert. Deshalb setzte ich mich dafür ein, die Designabteilung schon von Anfang an in die Konzeption neuer Produkte einzubeziehen. Gleichzeitig haben Designer einen ganzheitlichen Blick auf die Dinge: Sie definieren mit ihrer Arbeit die Markenidentität und ganzheitliche Markenwahrnehmung – und sind deshalb auch strategisch von grosser Bedeutung für die Weiterentwicklung der Customer Experience. Die Designprinzipien und Markenwerte, die wir mit Blick auf unserer Historie definiert haben und mit denen wir täglich arbeiten, können auch anderen Bereichen im Unternehmen Orientierung und Mehrwert bieten. Gerade wenn es darum geht, neue Wege zu gehen. Sie leiten uns in die richtige Richtung wie ein Kompass – aber begrenzen unsere Bewegungsfreiheit nicht wie ein Navigationssystem, das aufgrund von Berechnungen den genauen Streckenverlauf vorgibt.
„Ein erfolgreicher Designer kann gut mit Menschen umgehen.“ Michael Mauer
Der Designbereich von Porsche in Weissach arbeitet bereits Tür an Tür mit der Fahrwerksentwicklung, vor dem Fenster drehen die Prototypen ihre Runden auf der Teststrecke. Ist diese räumliche Nähe typisch Porsche?
Mauer: Auf jeden Fall! Die grösste Herausforderung auf unserem Wachstumskurs ist es, unseren Spirit zu erhalten – und die Durchlässigkeit der Studios in Weissach und das Miteinander der Fachbereiche ist dabei ein unglaublicher Vorteil. Als Designer haben wir im Unternehmen eine Querschnittsfunktion. Man muss immer im Austausch sein. Mit den Strategen diskutierst du über Marktchancen, mit Vertrieblern über Verkaufsargumente, mit Technikern über die Grenzen des Möglichen, mit Kollegen aus der Qualitätssicherung über Aspekte der Umsetzbarkeit. Ein Produktspezialist wird dir sagen, dass deine Idee zwar gut aussieht, sich das Blech aber niemals so biegen lässt, wie du es dir wünschst – bis du ihn vom Gegenteil überzeugst. Ein erfolgreicher Designer kann gut mit Menschen umgehen, gemeinsam mit ihnen arbeiten und nicht gegen sie. Ich wünschte mir manchmal, dieses Wissen würde bereits an der Hochschule vermittelt. Die meisten Entscheidungen im Designprozess werden eben nicht im Sitzungszimmer getroffen, sondern beim Austausch auf dem Flur, an der Kaffeemaschine. Dieser Geist weht in Weissach.
Als du vor 20 Jahren bei Porsche angefangen hast, gehörte zu deinen Aufgaben auch die Weiterentwicklung des Porsche 911 – einer etablierten Designikone. Hast du dich auf diese Aufgabe gefreut? Oder sass dir die grosse Verantwortung im Nacken?
Mauer: Den Porsche 911 als Designer authentisch weiter entwickeln zu dürfen ist beides – ein riesengrosses Privileg, und eine gewaltige Herausforderung. Umso glücklicher ist man, wenn es einem gelingt, ihn authentisch in die Zukunft zu geleiten. Gleichzeitig gibt es bei Porsche viele Projekte, bei denen man mit einem weissen Blatt Papier beginnen darf – bei Showcars oder Supersportwagen wie dem 918 und dem Mission X. Diese Bandbreite gibt es nur bei Porsche. Mir persönlich bereitet es aber besonders viel Freude, nicht nur das Erscheinungsbild einzelner Modelle, sondern die Ausrichtung der Marke mitzugestalten.
Welche drei Modelle, an denen du in den letzten 20 Jahren gearbeitet hast, liegen dir besonders am Herzen?
Mauer: Da ist zunächst einmal der Taycan. Die Vorbehalte in der Community waren gross: Nach dem Wechsel vom luft- zum wassergekühlten Boxermotor war der reine Elektroantrieb schliesslich der zweite grosse Paradigmenwechsel unserer Epoche. Der Vertrieb hätte sich vielleicht eher ein SUV gewünscht – aber ich war der Ansicht, dass der erste vollelektrische Porsche ein echter Sportwagen sein musste. Und das Package ist verdammt nah an der Konzeptstudie geblieben. Das zweite Auto ist der Macan der ersten Serie. Auch hier haben wir Neuland betreten und mit einer Plattform aus dem Konzern gearbeitet. Ich freue mich noch immer an der schlichten Eleganz des Entwurfs. Und dann ist da natürlich der Porsche 911 des Typs 997– der erste Elfer, bei dem ich mich vollständig einbringen konnte. Die Proportionen, die schmalen Rückleuchten – dass sich dieser Entwurf durchgesetzt hat, freut mich noch immer.
Als Beobachter von aussen sieht man einen neuen Porsche bei seiner Enthüllung zum ersten Mal. Als Designer hast du einen ganz anderen Blickwinkel: Du weisst, gegen welche Entwürfe sich diese Version durchgesetzt hat. Du kennst die Entstehungsgeschichte jedes Details. Gibt es auch Momente, in denen du ein Auto anschaust, und etwas bereust?
Mauer: Für mich sind die aktuellen Neuheiten ja fast schon Oldtimer (lacht). Oft ist es Jahre her, dass wir an ihnen gearbeitet habe. Darum habe ich einen gewissen Abstand. Aber natürlich ist einem die Entstehungsgeschichte bewusst – und sicherlich habe ich mich nicht immer mit meinen persönlichen Präferenzen durchgesetzt. Aber das gehört dazu.
Ein Thema, an dem sich gerade die Geister scheiden, ist das Interface Design. Braucht ein Porsche wirklich einen riesigen Bildschirm?
Mauer: Die Gestaltung des User Interface und der User Experience ist meiner Meinung nach sehr wichtig: Hier findet der Kontakt zwischen Mensch und Maschine statt. Und auch hier sollte die Identität der Marke Porsche spürbar sein. Gleichzeitig ist es wichtig, nicht nur auf die Wettbewerber zu schauen und deren Bildschirme abzumessen, sondern unseren eigenen Weg zu gehen: Ein Porsche ist ein Sportwagen, der Fokus des Fahrers liegt auf der Strasse. Bei grösseren, komfortableren Modellreihen wie dem Cayenne spielt das Thema Entertainment natürlich eine grössere Rolle als in einem GT3 RS, da darf die Bildschirmdiagonale mit den allgemeinen Kundenbedürfnissen mithalten, die uns der Vertrieb spiegelt. Gleichzeitig wird der Bedarf für einzelne grosse Bildschirme ja immer geringer – Informationen werden auf die Scheibe projiziert, man interagiert mit dem Auto per Sprachsteuerung. Den Bildschirm auf Rädern fürchte ich nicht.
„Den Bildschirm auf Rädern fürchte ich nicht.“ Michael Mauer
Auch wenn du zu Stillschweigen verpflichtet bist – wie werden die Porsche der Zukunft aussehen?
Mauer: Man wird sie noch immer auf den ersten Blick als Porsche erkennen. Als einen neuen Porsche. Es wird immer eine stringente, eher evolutionäre Designphilosophie geben, die beispielsweise durch die Lichtsignatur einen Wiedererkennungswert schafft. Gleichzeitig sind unserer Kreativität bei der Weiterentwicklung der Marken- und Produktidentität kaum Grenzen gesetzt. Das haben wir mit dem Mission X demonstriert. Wir werden als Marke weiter wachsen, es wird also neue Modelle in Kategorien geben, in denen wir heute noch nicht zuhause sind. Gleichzeitig werden wir unser Erbe natürlich nicht vergessen, sondern zu unseren Designprinzipien stehen, uns treu bleiben. Auch visionäre Luxusmarken wie Louis Vuitton oder Bottega Veneta behalten ihr Klassiker stets im Programm, während sie kreativ neue Bereiche erkunden. Am Ende müssen sich etablierten Klassiker und die Neuentwicklungen die Waage halten. Für jedes neue komfortable SUV im Portfolio muss ich auch einen radikalen Sportwagen bauen.
Wenn du frei nach Ferry Porsche deinen ganz persönlichen Traumwagen entwerfen dürftest – und der TÜV würde zum Jubiläum auch ein Auge zudrücken: Welches Auto würdest du bauen?
Mauer: Das wäre eine Strassenversion des Porsche Vision Spyder 551, den wir ja im Buch «Porsche Unseen» gezeigt haben. Ein spiritueller Nachfolger des Porsche 550 – kompakt, leicht, puristisch, agil. Aber eigentlich habe ich mein Traumauto bereits gefunden: Seit zwei Wochen fahre ich einen Boxster Spyder RS. Er basiert auf dem Elfer der Baureihe 991, hat den GT3-Motor, ein kompaktes Cockpit, kompakte Abmessungen – und ich sehe genau, wo die Karosserie endet. Damit im Schwarzwald oder in den Alpen unterwegs zu sein, ist für mich die Erfüllung. Und ein toller Ausgleich nach einem langen Tag im Studio. Eigentlich brauche ich kein anderes Auto mehr.
Info
Das Gespräch führte Jan Baedeker.