Zu den Schwierigkeiten des Lebens als Schriftsteller, Künstler, Architekt und natürlich auch Designer gehört der Kampf mit dem leeren weissen Blatt Papier. Wie beginnen? Mit welchen Worten? Mit welchen Gedanken? Wie aus dem Nichts eine neue Welt erschaffen? Es gibt unzählige Berichte von Autorinnen und Autoren über die quälende Zeit des Anfangens, des Reinfindens in einen Text. Designer kennen das ebenfalls: Die schweigende Anklage des leeren Blatts, das stille Gefecht, das man mit ihm führt: „So, nun ist es an dir, etwas möglichst Bahnbrechendes auf mich zu zeichnen!“ Gedanken nehmen dann in schwarzen Strichen Form an. Die Skizze wird verworfen, neu gezeichnet, verfeinert. Der lange Weg zum fertigen Produkt, die schrittweise Materialisierung einer Idee in Titan, Edel stahl oder Aluminium haben ihren Ursprung hier am Zeichentisch. Es ist eine Abfolge von Herausforderungen, der sich die Designer stellen müssen. Bei Porsche Design sind sie besonders gross: „Ein Entwurf von uns sollte gestalterisches Neuland betreten, ein vorhandenes Prinzip neu denken, ausserordentlich funktional und selbstverständlich problemlos technisch umsetzbar sein“, sagt Christian Schwamkrug, Design Director im Studio F. A. Porsche.
Diese Anforderungen sind in die DNA des Unternehmens von Anfang an eingeschrieben. Professor Ferdinand Alexander Porsches Entwurf des Chronograph I etwa erfüllte sie in vollem Masse. Die Uhr sah mit ihrer schwarzen Beschichtung komplett anders aus als traditionelle Modelle ihrer Zeit, sie war radikal auf Funktionalität ausgelegt, schon durch die besondere Gestaltung des Zifferblatts, auf dem bei schwierigen Lichtverhältnissen und in Extremsituationen die Zeit einwandfrei ablesbar sind. Wie ein Schriftsteller uns mit seiner Geschichte eine neue Perspektive auf die Wirklichkeit schenkt, macht dies ein Designer mit einem gut gestalteten Produkt.
Es erfreut uns mit seiner klaren Schönheit und erleichtert uns den Alltag mit seiner eindeutigen Funktionalität auf eine neue Weise. Die komplexe Arbeit an ihm sieht man idealerweise nicht, aber sie ist durchaus entbehrungsreich. „Es ist vor allem nicht leicht, einer Sache, deren Prinzip eigentlich schon sehr gut durchdacht ist, noch einmal etwas Neues abzugewinnen“, sagt Christian Schwam krug. So hatte das Studio F. A. Porsche zum Beispiel vor nicht allzu langer Zeit den Auftrag, einen Dachziegel zu entwerfen. Und der hat ja eigentlich schon eine fast archetypische Form, die jedes Kind zeichnen kann. Ausserdem setzen festgelegte Dinge wie das Material Ton, das genormte Mass und der Herstellungsprozess der Gestaltung enge Grenzen. „Wo soll man da ansetzen? Was können wir noch auf neue Art anders machen, so dass es unseren Ansprüchen und denen des Kunden entspricht? Unsere Skepsis war am Anfang gross.“
Doch solche Momente trennen eben die wahrlich Kreativen von allen anderen. Im Studio machten sich die Designer Gedanken über die Funktion und die Form von Dachziegeln, etwa darüber, wie sie bei Regen den Wasserabfluss über die Ziegel verbessern könnten oder wie sie das Sonnenlicht reflektieren. "Es entstand eine intensive, kreative Dynamik", sagt Christian Schwamkrug. Und so er gaben sich elf Designs, die den Dach ziegel vor allem als Architekturelement betrachteten, die ein besonderes Lichtspiel, je nach Lichteinfall, ermöglichen, die jedem Haus ein neuartiges Aussehen verleihen. Aus solchen Ansätzen wählt Christian Schwamkrug als Design Direc tor im Normalfall vier bis fünf Konzepte aus, die dann mit 3D-Programmen visualisiert und letztlich gerendert werden, sodass sie schon sehr naturgetreu erscheinen und den Kunden vorgestellt werden können. »Im Fall der Dachziegel war der Favorit schnell gefunden. Er hatte eine prägnante V-Form, der Wasserabfluss wurde optimiert, die Reflexion des Lichts war als gestalterischer Effekt integriert", sagt Christian Schwamkrug. Der Kunde entschied sich sehr schnell, und nur zwölf Monate nach der ersten Skizze ging der Designdachziegel V11 in Serienproduktion. "Und er hat sich sehr erfolgreich im Markt etabliert", sagt Christian Schwamkrug.
So fliessend und glatt läuft es nicht immer. Wie Schriftsteller oder Künstler kennen auch Designer Blockaden, wenn jeder Entwurf schal, kein Fortschritt mehr möglich ist. „Dann hilft es nur noch, sich zurückzunehmen, für einige Zeit an etwas anderes zu denken und – besonders wichtig – mit den Kollegen ins Gespräch zu kommen“, sagt Christian Schwamkrug.
„Es ist nicht leicht, einer Sache, deren Prinzip schon sehr gut durchdacht ist, etwas Neues abzugewinnen.” Christian Schwamkrug
Im Studio F. A. Porsche wird eine Kultur des Austauschs gelebt. Es bedarf vielerlei Perspektiven auf eine Sache, Diskussionen und Gespräche, bis sich ein ausgewogener und unvergleichlicher Entwurf aus den unterschiedlichen Grundgedanken herausschält. Eine Herausforderung sind auch die mannigfaltigen Möglichkeiten, die heute die Designsoftware bietet. Sie beschleunigt den Prozess der Gestaltung ungemein, denn aus einer Handskizze wird fix ein Rendering, das dann schon sehr greifbar und umsetzbar anmutet. „Es besteht die Gefahr, dass man sich als Designer zu schnell zufriedengibt, weil das virtuelle Modell schon nahezu perfekt wirkt. Doch es kommt auf die Details an, und die übersieht man dann leicht“, sagt Schwamkrug.
Deswegen gibt es viele Gespräche, in denen er mit dem Team diskutiert, warum jede einzelne Entscheidung getroffen wurde. „Ist das Argument des Designers für eine bestimmte Designentscheidung nicht plausibel und überzeugend, muss er nochmal ran“, sagt Schwamkrug, „und andererseits muss auch ich Standpunkte akzeptieren, wenn sie logisch begründbar, aber nicht unbedingt meine sind.“ Und so nähert sich das Studio Schritt für Schritt dem Ziel. Ein Projekt hat ungefähr sechs bis acht interne Abstimmungsrunden, bis es der Kunde oder der Herstellungspartner präsentiert bekommt. Entscheidend ist auch: Der Entwurf darf nicht nur eine innovative und attraktive Ästhetik haben, er muss auch ohne enormen Aufwand umsetzbar sein. Die Designer treten schon früh in Kontakt mit den Ingenieuren der Hersteller, um sicherzustellen, dass sie dem Produkt nicht etwas einschreiben, was konstruktiv nicht realisierbar ist.
Durch diesen ausbalancierten, präzisen Ablauf kann das Studio F. A. Porsche komplexe Aufträge übernehmen, etwa für eine Serie von Zahnarztstühlen für das japanische Unternehmen Morita, die spezielle Anforderungen in Sachen Ergonomie und Einsatzbereich an das Team stellte. Jeder Stuhl sollte sich an die Bedürfnisse des jeweiligen Zahnarztes anpassen lassen, sollte modular und trotz Serienproduktion individuell konfigurierbar sein. „Eine schwierige Aufgabe, die wir aber sehr gut gemeistert haben“, sagt Christian Schwamkrug. Die Dentaleinheit-Serie Signo 500T gewann 2019 den Red Dot Best of the Best Design Award. Nur einer der mehr als 250 Preise, die das Studio F. A. Porsche in seiner Geschichte gewonnen hat. Die Arbeit reiht sich nahtlos in das erfolgreiche Erbe von Porsche Design ein, das voller Produkte ist, die zu Klassikern wurden.
Darunter natürlich der Chronograph I, die Wechselglasbrille P’8478 und der Kugelschreiber LaserFlex, der F. A. Porsches Formel „Wenn man die Funktion eines Produktes überdenkt, ergibt sich die Form manchmal wie von allein“ geradezu perfekt umsetzt. Der Schaft des Stiftes besteht aus Edelstahl, und dennoch ist er flexibel, weil er mit Lasertechnologie in feine Ringe geteilt wurde. Sie sind durch ihre feine Mäanderstruktur nicht voneinander lösbar. Zwischen den Ringen befinden sich Fugen; addiert man diese Fugen, ergibt sich genau der Weg, der benötigt wird, um die Mine herausfahren oder wieder zurück in den Schaft gleiten zu lassen. Der ganze Stift verdichtet sich, wenn man den Schaft drückt, und die Mine springt heraus. Die initiale Konzentration auf die Funktion eines Kugelschreibers führte zu einer Form, die aussergewöhnlich und neuartig ist.
Ähnlich war es bei der sogenannten Frühstücksserie für Siemens, die bis heute zu Christian Schwamkrugs Lieblingsprodukten gehört. Auch weil ihre Entstehungsgeschichte ungewöhnlich ist. „Bis Mitte der 1990er Jahre waren Kleinküchengeräte meistens aus Kunststoff und recht einfachem Material hergestellt. Als wir den Auftrag von Siemens erhielten, solche Geräte zu entwerfen, standen eine hochwertige Anmutung und Materialauswahl im Vordergrund“, sagt Christian Schwamkrug. Also gestaltete das Studio F. A. Porsche einen Toaster, einen Wasserkocher und eine Kaffeemaschine von klarer, schnörkelloser Schönheit und in Aluminium gehüllt. Objekt und Gerät in einem. „Ich war überzeugt von unseren Entwürfen, dachte, das kann überhaupt nicht schiefgehen“, so Schwamkrug.
Trotzdem belegte das Studio bei der ersten Kundenbefragung nur den zweiten Platz hinter einem Konkurrenten, den Siemens ebenfalls beauftragt hatte, ein Konzept für Kleingeräte zu entwickeln. "Ich war schockiert", sagt Christian Schwamkrug. Doch dann passierte etwas Ungewöhnliches: Der Geschäftsführer Kleingeräte bei Siemens folgte seinem Bauchgefühl und nicht dem ersten Eindruck der Kunden und gab dem Studio F. A. Porsche den Auftrag. „Das war sehr mutig von ihm, es hätte ja auch nach hinten losgehen können.“ Der Mut sollte sich auszahlen. Aufgrund des hohen Verkaufspreises – Aluminium ist nicht günstig, die Herstellungskosten waren vergleichsweise teuer – ermittelte Siemens, dass mindestens 100.000 verkaufte Exemplare – kalkuliert für den Wasserkocher – notwendig waren, um den Breakeven zu erreichen. Letztlich waren es aber dann unglaubliche 1,2 Millionen.
Mehr als das Zehnfache. „Die Serie weckte eine ganz eigene Begehrlichkeit. Plötzlich war man stolz, eine solche Kaffeemaschine zu besitzen oder diesen Wasserkocher. In deutschsprachigen Krimiserien wie ›Tatort‹ oder ›Derrick‹ waren sie oft in den Küchen zu sehen. Niemand hätte diesen Erfolg prophezeien können“, sagt Schwamkrug. Und doch ist er kein Zufall. Natürlich kann man Erfolg nicht planen, aber man kann ihn wahrscheinlicher machen. Porsche Design beweist das immer wieder aufs Neue, indem die Designer des Unternehmens sich mit jedem Detail intensiv auseinandersetzen, bis es keine Fragen mehr offenlässt; in dem sie nicht vergessen, wie wichtig Material, Funktionalität und die puristische Form sind. Es ist jedes Mal ein kleines Wunder, wenn aus einer Idee, aus vielen Gedanken ein Produkt wird, das man berühren und verwenden kann, das einem den Alltag erleichtert und bereichert. Damit dieses Wunder Wirklichkeit wird, muss man viele Hürden nehmen. Porsche Design weiss seit 50 Jahren sehr genau, wie man dieses Ziel erreicht.