Mit dem Porsche Taycan hat die Schweiz ihren perfekten Reisewagen gefunden: Von Zürich nach Genf? Von Basel nach Lugano? Selbst bei sportlicher Fahrt mit einer Akkuladung kein Problem. Doch wie steht es um die Reisetauglichkeit des Taycan, wenn man die Metropolen und helvetischen Highways verlässt und sich vorwagt in die besonders entlegenen Alpentäler, die für elektrische Sportwagen noch nicht erschlossen sind? Wie unbeschwert gestaltet sich das vollelektrische Reisen an den Rändern der automobilen Zivilisation?
Am südlichen Ende Graubündens – jenseits des Glamours von St. Moritz, der traditionsreichen Eleganz von Sils Maria, der Serpentinen des Maloja-Passes – und nur wenige Kilometer von der italienischen Grenze entfernt, liegt das Bergell. Nicht viele Orte in der Schweiz sind so wild, ursprünglich und rau wie das abgeschiedene Bergtal. Und so schattig. „Wir haben hier im Bergell während des Winters drei Monate lang keine Sonne,“ berichtete schon der Maler Giovanni Giacometti aus dem bergeller Dorf Stampa. „Wenn sie nun im Frühjahr wieder hinter den hohen Berggipfeln auftaucht und der Schnee verschmolzen ist, so erscheint das ganze Tal mit goldigem Staub bestreut.“ Selbst bei Google Maps liegt die Talsohle in dunklem Schatten. Warum also nicht die letzten Sonnenstrahlen einfangen, bevor sich das Bergell in den Winterschlaf verabschiedet?
Nicht viele Orte in der Schweiz sind so wild, ursprünglich und rau wie das abgeschiedene Bergtal.
Die Reise beginnt in Zürich. Sanft gleitet der Porsche Taycan Turbo S über die Autobahn, am Horizont leuchten weiss verschneit die Gipfel der Glarner Alpen, im See spiegelt sich der Novemberhimmel. Als Basisstation aller Elektropioniere auf dem Weg in die Bündner Berge hat sich die Raststätte mit dem schönen Namen Heidiland und den praktischen Schnellladesäulen von Ionity etabliert: Bei einem Outdoor-Znüni mit Kaffee und Gipfeli weht einem hier bereits die frische Alpenluft um die Nase, während der Porsche eine Extraladung Energie für den Aufstieg sammelt. Schliesslich möchte man mit einem 761 PS starken Sportwagen, der in 2,8 Sekunden auf Tempo 100 zu sprinten vermag, auf den Bilderbuchserpentinen des Flüelapasses nicht auf die Bremse drücken. Wobei: Das hochalpine Kurvenfahren am Steuer eines Stromsportlers mit Bremskraftrekuperation hält auch ganz neue Freuden bereit. So lässt sich nämlich beim beherzten Spiel von Beschleunigung und Verzögerung die Energiebilanz immer wieder ausgleichen – ein überraschend freudvolles Nullsummenspiel zwischen Sprint und Entschleunigung.
Das Hochtal des Engadins ist schnell durchmessen, die Sonne leuchtet über gelbgoldenen Lärchen den Weg in Richtung Südwesten. Und tatsächlich: Erstrahlte der Silsersee vor wenigen Augenblicken noch in goldenem Herbstlicht, taucht man kurz hinter Maloja auf 1.815 Metern über dem Meer hinab in die blauschattige Dunkelheit des Bergells. Nach wenigen Augenblicken stehen 356 Höhenmeter weniger auf dem Altimeter, während die Akkuleistung mit jeder der 22 Kurven weiter nach oben steigt. Weiter geht es in sanften Schwüngen, durch tiefe Nadel- und Kastanienwälder, weiter hinab ins Tal. Die wilde Natur des Bergells zieht übrigens nicht nur Wanderer und Bergsportler an – sondern seit kurzem auch wieder Wölfe. Der Städter erinnert es mit leichtem Schauer.
Erster Halt: Der Palazzo Castelmur, ein prachtvolles Patrizierhaus aus dem 18. Jahrhundert. Vom Mailänder Architekten Giovanni Crassi-Marliani nach venezianisch-maurischem Vorbild um 1850 mit Türmen und Zinnen erweitert, zeugt der Palast von der Bündner Rückwandererkultur. Passend hierzu findet sich im Obergeschoss eine Dauerausstellung über die Geschichte der Bündner Zuckerbäcker, die einst der Armut der Bergtäler entflohen – und oft mit Reichtümern und kosmopolitischen Ambitionen zurückkehrten. So wundert sich der Reisende fortan auch nicht mehr über die Rokokopaläste und prachtvollen italienischen Gärten, ein für Schweizer Bergdörfer doch recht ungewohnter Anblick – erst recht, wenn auf den alten Pflastersteinen davor eine weisse Zeitmaschine parkt.
Nun wird es im Schatten doch etwas frisch, und so folgt man der Strasse hinauf auf den Südhang des Piz dal Märc, wo sich auf einer Sonnenterrasse auf 1.090 Metern über dem Meer die kleine Ortschaft Soglio befindet. 2015 zum „schönsten Dorf der Schweiz“ gewählt, war Soglio über Jahrhunderte der Sitz der Bündner Adelsfamilie von Salis. Man spaziert zwischen Natursteinhäusern durch enge Gassen, blickt in verschlafene Gärten von mediterraner Pracht, träumt vom bescheidenen Zweitwohnsitz – und geniesst schliesslich bei einem sonnigen Lunch vor dem historischen Palazzo Salis die hausgemachten Kastanienmehlgnocchi oder das geschmorte Gitzi aus Soglio mit Polenta aus Poschiavo. Derart entschleunigt ist man fast geneigt, es berühmten Gästen wie Giovanni Segantini, Rainer Maria Rilke oder Alberto Giacometti gleich zu tun, eines der 16 charmanten Hotelzimmer zu beziehen – und nach einem Ladekabel für den Reisewagen zu bitten.
Doch andererseits gibt es bei Sankt Moritz eine Schnellladestation, die freilich noch getestet werden muss. Und dann sind da noch die 22 Kurven des Malojapasses, die unbedingt nochmals in umgekehrter Reihenfolge bergwärts durchsurrt werden wollen, bevor über dem Silsersee die Novembersonne untergeht. Und morgen ist schliesslich auch noch ein Tag, an dem man die zahlreichen Perlen des Bergells weiter erkunden kann: Die Ateliers von Giacometti und Segantini, die wunderbare Villa Garbald in Castasegna mit ihrem futuristischen Betonturm der Architekten Miller & Maranta. Also schwingt man sich wieder hinter das Steuer des Porsche Taycan, blickt auf die Berggipfel im Abendlicht und wundert sich nun doch ein wenig darüber, wie abenteuerlich einem dieser vollelektrische Abstecher ins wilde Bergell doch erschienen ist. Range Anxiety? Ab sofort wohl eher Range Euphoria.