In Europa gelten die 24 Stunden von Le Mans als das prestigeträchtigste Automobilrennen überhaupt. Dieses Jahr bereits zum dritten Mal mit am Start: Nicolas „Niki“ Leutwiler. Der 61-jährige Schweizer aus Feusisberg bezeichnet sich selbst als Amateurfahrer – trotz eines Erfahrungsschatzes, der bis tief in die 1980er-Jahre zurückreicht. IMSA-Serie und Sportwagen-WM, Bathurst und die Avus, LMP2 und Porsche 944 Turbo Cup: Leutwiler ist ein Routinier. Als Privatier blieb der Motorsport jedoch stets ein ambitioniertes Hobby, war nie sein Beruf.
Nicht alle Privatfahrer im Rennsport bezeichnen sich gerne als Amateurfahrer, schliesslich versteckt sich in jedem Amateur immer auch ein Anfänger. Leutwiler stört sich daran nicht, er sei eben kein Berufsrennfahrer. Die etwas altertümliche, aber wohlwollendere Bezeichnung „Herrenfahrer“ lehnt er dankend ab, sie sei für ihn nicht ganz zutreffend. Denn: Herrenfahrer sind per definitionem Amateurrennfahrer, die mit ihrem eigenen Rennwagen antreten. Das tue er zwar, womit er heutzutage einer von Wenigen sei, allerdings nicht bei den 24 Stunden von Le Mans.
Paradebeispiel des modernen Kundensports
Leutwiler startet 2022 in der Sportwagen-Weltmeisterschaft WEC für das deutsche Porsche-Kundenteam Project 1. Das Einsatzfahrzeug vom Typ 911 RSR teilt er sich mit dem italienischen Berufsrennfahrer und früheren Porsche Young Professional Matteo Cairoli sowie mit dem dänischen Semiprofi Mikkel Pedersen. Das Fahrzeug stellt das Team, es befindet sich nicht im Besitz eines der drei Fahrer. Selbst ein Rennstall muss das Einsatzfahrzeug nicht zwangsläufig besitzen, auch für Motorsportmodelle bieten Hersteller Leasing- oder Finanzierungsmöglichkeiten an.
Die Konstellation zwischen Cairoli, Leutwiler und Pedersen ist ein Paradebeispiel des modernen Kundenmotorsports: Amateure fahren mit Profis auf demselben Fahrzeug. Es wird eingesetzt, betreut und verwahrt durch einen privaten Rennstall – eine Full-Service-Dienstleistung, für die meist die Amateure den Hauptteil der Kosten übernehmen. Die Profis entsendet häufig der Hersteller des Einsatzfahrzeugs als personelle Unterstützung an den Rennstall. Sie sind entweder beim Hersteller angestellt oder werden von diesem beauftragt und bezahlt.
Um als Amateurfahrer im Motorsport mitwirken zu können, sind zwei Dinge essenziell: die nötigen finanziellen Mittel und die richtigen Rennlizenzen. Talent und Schnelligkeit sind kein Muss, aber von Vorteil. Wer sicher und schnell unterwegs ist, lässt sich einfacher vermitteln. Das kann sich auch bei Preisverhandlungen mit einem Rennstall positiv auswirken: Von „Bruchpiloten“ verlangen Teams meist mehr als von Könnern.
Seit Jahren gilt die GT World Challenge Europe als erfolgreichste GT-Rennserie Europas – mit Ablegern weltweit. Zum Einsatz kommen Fahrzeuge nach FIA-GT3-Reglement, historisch betrachtet wohl der absatzstärksten Kundensportformel überhaupt. Anfangs mit mehr Amateuren als Berufssportlern im Feld, ist die Serie inzwischen stark professionalisiert. Einen grossen Teil des Feldes bilden die sogenannten Pro-Am-Paarungen mit einem Profi und zwei Amateuren. Wer hier als Amateur in einer Dreierpaarung nach dem Arrive-and-Drive-Prinzip eine komplette Saison bestreiten möchte, sollte derzeit schätzungsweise eine knappe Viertelmillion Euro einkalkulieren.
Kosten und Versicherung
„Erfahrungsgemäss ähneln sich die Paketpreise der unterschiedlichen Teams“, berichtet Leutwiler. Wer zu günstig offeriere, der könne im Wettbewerb auf der Strecke kaum bestehen; wer hingegen zu teuer offeriere, der finde nur schwerlich Fahrer. „Komplizierter wird die Preisgestaltung, wenn man sein eigenes Auto mitbringt, also eher im Sinne eines Herrenfahrers. Dann orientiert sich das Budget am Zustand des Fahrzeuges.“ Ein Team betrachte dabei die Laufleistung diverser Bauteile. Was absehbarerweise innerhalb des geplanten Fahrprogramms ersetzt werden müsse, koste Material und Arbeitszeit.
Basis für die Budgetkalkulation eines Rennstalls sind die Kosten, die ein Fahrzeug pro Kilometer verursacht. Damit wird hochgerechnet: Wie viele Test-, Trainings- und Rennkilometer sind zu absolvieren? Zur besagten GT World Challenge Europe zählt unter anderem das 24-Stunden-Rennen von Spa-Francorchamps – ein besonders kostenintensives Rennen, da in dessen Verlauf aussergewöhnlich viele Kilometer absolviert werden. Hinzu kommen umfangreiche Ausgaben für Personal und Logistik, darunter Arbeitskosten, Reise-, Transport- und Lagerungskosten.
Ein weiterer wesentlicher Kostenfaktor für Amateurfahrer sind Unfallschäden. Zwar gibt es auch im Motorsport Versicherungen, doch die Anbieter seien äusserst wählerisch, wie Leutwiler erklärt. „Die wollen sehr genau wissen, wer Sie sind und was Sie können – und auch, was Sie schon kaputtgemacht haben.“ Bei Unfällen spiele für die Versicherungen keine Rolle, wie diese zustande gekommen seien, ob es sich um Eigenverschulden, Fremdverschulden oder Force majeure gehandelt habe. Prinzipiell funktionieren Motorsport-Versicherungen ähnlich wie herkömmliche Kfz-Versicherungen: mit einem Maximalversicherungswert, einem Selbstbehalt und einer Prämie. „Anders als auf der Strasse ist es zwar möglich, aber sinnlos, das Fahrzeug zum Neuwert zu versichern – es wäre unverhältnismässig teuer“, so Leutwiler.
Ob Profi oder Amateur: Unfälle im Motorsport geschehen. Dennoch spielt der Profi in Pro-Am-Paarungen eine gewichtige Rolle für die sportliche Gesamtperformance. Leutwiler: „Wer mit wem fährt, darauf haben die Amateure durchaus Einfluss.“ Gute und gut gelittene Privatiers dürften beim Hersteller durchaus Wunschkandidaten benennen. Profis, die nicht mit einem Hersteller verbunden seien, böten ihre Dienste oft als Freelancer an.
Er stellt fest, dass der moderne Kundenmotorsport ohnehin ein viel grösseres und kostspieligeres Geschäft darstelle als früher. Zum einen, weil es viel aufwändiger geworden sei, ein Rennauto der Zeit einzusetzen, derart komplex sei die Technik der heutigen Fahrzeuge. Zum anderen sei das Wettbewerbsniveau höher geworden: Viele junge Fahrtalente fänden ihren Weg in den GT-Sport. Mehr Wettbewerb bedeute höhere Kosten. Zum Beispiel seien mehr Testfahrten nötig, um an den Rennwochenenden überhaupt mithalten zu können – „die übliche Spirale“, meint Leutwiler.
Dennoch floriert der globale Kundenmotorsport. Gerade im GT-Sport herrscht grosse Marken- und Modellvielfalt. Zudem bieten Aufbauprogramme wie die Porsche Racing Experience attraktive Hinführungsmöglichkeiten, um die ersten Schritte im Amateurrennsport zu gehen. Wer wie Leutwiler als Teil einer wettbewerbsfähigen Fahrerpaarung die 24 Stunden von Le Mans bestreitet, der hat die Spitze dessen erreicht, was für einen Amateur in der Szene überhaupt möglich ist. Oder wie er selbst sagt: „das höchste der Gefühle.“
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Gastautor: Matthias Wagner