Die ersten urkundlichen Erwähnungen von Weissach sind im Jahr 1100 sowie im Jahr 1254 bezeugt – weltbekannt wurde die Gemeinde aber tatsächlich erst im 20. Jahrhundert, als Porsche dort eine Teststrecke einrichtete, die heute mit 4.000 Mitarbeitern als Entwicklungs-, Design- und Testzentrum für die Serien- und Rennwagen dient.
Noch älter ist Pfaffenhausen im Unterallgäu, die Spuren führen bis ins 8. Jahrhundert zurück. Ein ruhiger, beschaulicher Fleck mit viel Landwirtschaft und etwas verarbeitendem Gewerbe. Pfaffenhausen ist aber auch Porsche-Land, genauer gesagt: RUF-Land, denn hier eröffnete Alois Ruf senior. 1939 eine Tankstelle und Werkstatt. Mitte der 50er-Jahre gesellte sich eine BMW-Vertretung dazu. Genau zu der Zeit, als BMW noch zwischen der Isetta und den grossen Achtzylindern schwankte. Sein Sohn Alois Ruf verfiel bereits als junger Bub der Marke Porsche, die er seit 1981 unter seinem eigenen Namen weiterentwickelt und in alle Welt verkauft. Allerdings arbeiten bei ihm deutlich weniger Mitarbeiter am Bau, am Service und an der Restaurierung der Porsche-Gefährte. Als Teststrecke fungieren die Landstrassen und die nahegelegene Autobahn. Und die Rennstrecken dieser Welt.
Hier im Allgäu arbeitet Hans-Peter Lieb als Werkstattleiter bei Alois Ruf. „Auch ich bin ein Porsche-Gewächs. Ich habe bei Porsche als Lehrling angefangen, habe zuerst in der Werkstatt in Werk 1 und dann im Fahrversuch gearbeitet und bin anschliessend auf die Meisterschule gegangen. Doch dann hatte Porsche einen Einstellungsstopp, woraufhin ich ein Angebot von Uwe Gemballa annahm und zwei Jahre lang an den Fahrzeugen des Edel-Tuners arbeitete. Viele seiner Fahrzeuge entstanden ja auf Porsche-Basis, die leistungsgesteigerten Motoren dazu lieferte Alois Ruf.“
Ein Kontakt, der 1988 zu einem Angebot von Alois Ruf führte, der für sein expandierendes Unternehmen einen routinierten Kfz-Meister suchte. So zog die Familie mit dem mittlerweile achtjährigen Sohn Marc nach Pfaffenhausen. Dort geriet der Junior, der bereits mit fünf Jahren das erste Mal in einem Gokart gesessen hatte, immer tiefer in den Bannkreis des Automobils: „Auf dem Werkstatthof habe ich meine ersten Runden in einem Auto gedreht – und natürlich bin ich hier auch nach vielen Fahrten auf dem Beifahrersitz zum ersten Mal hinter dem Steuer eines Porsche gesessen.“
Motorsport war in der Familie immer ein grosses Thema. Hans-Peter Lieb wäre auch gern Rennfahrer geworden, „doch das Geld dafür war nie da. Und ob ich wirklich schnell gewesen wäre?“ Da traf es sich gut, dass Marc sich für Motorsport interessierte. „Er war immer schnell, und wir hatten im Gokart ziemlich grosse Erfolge“, erinnert sich der Vater. 1994 wurde der damals 14-jährige Sohn Vizemeister in der deutschen ADAC-Gokart-Junioren-Meisterschaft, „da haben wir dann überlegt, ob und wo wir weiter Rennen fahren wollen, das Geld war immer knapp.“ Die Entscheidung, mit einem Renault Formel 1800 anzufangen, fiel 1996, darauf folgte ein Renault Formel 2000, im Jahr 1998 fuhr Marc Lieb, nachdem er 1997 den Vizemeistertitel eingefahren hatte, bei der Formel Renault mit.
„Wir hatten eigentlich mit dem Motorsport abgeschlossen – doch dann kam die Porsche-Junior-Sichtungsfahrt. Marc fuhr im Carrera Cup und gewann zwei Jahre später die Meisterschaft.“ Hans-Peter Lieb
„1999 hatten wir eigentlich mit dem Motorsport abgeschlossen – das Geld für die zu erwartenden Pensionen und Lebensversicherungen war ausgegeben. Wir wären gerne in die Formel 3 gegangen, aber es war nichts mehr in der Kasse. Die Ampel stand auf Rot“, Hans-Peter Lieb erinnert sich, dass der Familienrat beschloss, dass nun das Abitur Vorrang hatte. Inzwischen war die Familie 1996 nach Leonberg gezogen, wo Vater Lieb bei Thomas Behringer, dem Chef der 1987 gegründeten Firma Techart als Werkstattleiter antrat – mit der Zusage des Chefs, dass er sich um die Karriere seines Sohnes kümmern, also bereits am Donnerstagabend zur Rennstrecke fahren und den Rennwagen betreuen konnte. Und Behringer sorgte für Sponsoren.
Dennoch drohte 1999 das Ende. Die fahrerischen Qualitäten von Marc Lieb hatten sich allerdings längst herumgesprochen – Porsche lud den 19-Jährigen ein, an Junior-Sichtungsfahrten teilzunehmen. Fahrten, bei denen er Burkhard Bechtel auffiel, der seit 1992 den Porsche Carrera Cup als Streckensprecher und TV-Kommentator betreute. „Ich hatte beobachtet, wie schnell Marc Lieb in der Formel Renault auch mit unterlegenem Material unterwegs war“, Bechtel legte Porsche Marc Lieb erfolgreich ans Herz. Der fuhr daraufhin drei Jahre lang Porsche Carrera Cup, wurde 2002 Meister und erhielt einen Vertrag als Porsche-Werksfahrer.
„Studieren und Rennen fahren – ich wundere mich noch heute, wie Marc das alles bewältigt hat.“ Hans-Peter Lieb
In dieser Zeit begann Porsche mit der Entwicklung eines neuen Rennwagens, des RS Spyder, der von 2005 bis 2008 gebaut wurde und etliche Siege und Titel einfahren sollte. Porsche bot Marc Lieb an, an der Entwicklung des Wagens mitzuwirken. „Ein Angebot, das wohl jeder angenommen hätte“, Hans-Peter Lieb wunderte sich aber wenig, als sein Sohn Marc die Offerte ablehnte und stattdessen das Angebot annahm – mit Unterstützung von Porsche –, an der Fachhochschule Esslingen Fahrzeug-Technik zu studieren und mit einer Abschlussarbeit zum Thema Differenzialgetriebesperre als Diplom-Ingenieur zu reüssieren. Dass er in diesen Jahren parallel noch auf höchstem Niveau Rennen fuhr und viele Siege und Titel einfuhr, macht die Karriere noch beeindruckender. Studium und Rennen? Beides erfolgreich? „Ich wundere mich noch heute, wie Marc das geschafft hat“, sagt der stolze Vater.
Befreit vom Studium war Marc Lieb dann auch an der Entwicklung des 911 GT3 R Hybrid und des 918 Spyder beteiligt, in dem er 2013 die Nürburgring-Nordschleife mit einer Rundenzeit von 6:57 Minuten umrundete. Eine Fahrt, die sich jeder bei YouTube einmal ansehen sollte. Zum Höhepunkt seiner Karriere sollte dann aber nach elf Anläufen der Le-Mans-Sieg 2016 mit dem Porsche 919 Hybrid werden – auf diesem Höhepunkt beendete Marc Lieb seine Karriere. „Ich habe eine Familie und einen fantastischen Job bei Porsche als Leiter des Vertriebs Europa Nord Motorsport und darf hin und wieder mit den neuen und historischen Rennwagen des Hauses fahren.“ Und Hans-Peter Lieb? „Ich kümmere mich um die wunderbaren Gefährten von Alois Ruf und freue mich, wie toll der Marc seinen Weg gefunden hat.“
Info
Autor: Jürgen Lewandowski
Fotograf: Markus Bolsinger
Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik 19.
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